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5. Lausei
er Theatersaison 1895/96.
sgut ist wie er selbst, über Wasser ge¬
tte ein Ende, wenn nicht, wie bei Haupt¬
und beim frommen Glauben, in höchster
hsten wäre. Gott schickt, ein wenig ex
tsch=Amerikaner, der nach einiger Wider¬
Päckchen Geldmangels und Herzensfülle
kmmt und an den Sonnenschein trägt.
fück sind die Menschen. Sie sind von
schildert, die zugleich lächelnd auf sie
or ihnen auf den Knieen liegt. Der
ter, der Bub, sie leben und sind liebens¬
fanche Züge mögen zu unmittelbar aus
kein, stellen sich nicht genügend in den
ptivirung und Oekonomie, sind zu wenig
mmigkeit des Mädchens, die lyrische
lismutter, die Zuneigung des rettenden
Familie, das Judenthum des künftigen
dadurch ein Uebererichthum an Charak¬
schlanke Bäumchen zu üppig in die
heiten erkennt man, daß die Dichterin
zu lieb war, nicht ganz frei geworden
als erfunden. Der Komposition fehlt
so verflatternd die Handlung ist, so
tails; entzückende Einfälle, entzückende
Herzensgrund geholt. Für unser Ber¬
kmend, daß diese „Gefühlskomödie“, die
ziemlich weit entgegenkam, einen viel
als Schönthan=Koppels windige
(Lessingtheater oder gar im Königlichen
nieks dummdreiste „Kranke Zeit“.
Milieurealisten steht der Dichterin von
sten Georg Hirschfeld, an dem jener
der Hofbühne umsonst sein kraftloses
kühlen wagte. Frau Bernstein und
rt Hauptmann tief angeregt worden.
icht ihr berühmtes Muster, dem ein
kenlos nachahmt. Vielmehr scheint er
elen gewesen zu sein. Sie haben sich
t, nicht wie vor zwanzig Jahren Lindau
und Dumas, sondern wie vor hundert¬
box 10/3
491
Die Berliner Theatersaison 1895/96.
zwanzig Jahren der junge Goethe an Shakespeare. Mit ihrer
reichern Bildung, ihrem reifern Geist, ihren tiefern Kunsterfahrungen
steht Frau Bernstein dem voranschreitenden Dichtgenossen freier
gegenüber, als der blutjunge Hirschfeld, der vom Eindruck noch
befangen ist und sich selbst noch sacht. Wie im „Tedeum“, so
handelt sichs auch in den „Müttern“ um einen Musikanten, der
sich in den Nöthen des Lebens nicht zu helfen weiß, um dessen
Schicksal Freundesherzen zittern, Freundeshände sorgen. Dort
ein Alter, hier ein Junger. Jener konnte was in seiner Kunst,
dieser möchte was können. Beide lassen sich „bemuttern“. Im
„Tedeum“ steht die Dichterin selbst ihrem „großen Kinde“ mütter¬
lich=töchterlich gegenüber; der freie Blick der Liebe schuf hier ein
entzückend wahres Charakterbild. In den „Müttern“ scheint der
Dichter sein „kleines Kind“ in sich selbst gesucht zu haben. Er gab
ihm das eigne Weh; so stand ihm die Gestalt zu nah, als daß er
sie hätte überblicken können. Das alte Mißgeschick deutscher Roman¬
helden, in denen sich das eigne Ich ihcer Dichter spiegeln sollte,
ereilte auch diesen urmen Judenknaben Robert Frey: das Interesse
des Dichters an sich selbst macht theils zu viel Wesens mit ihm,
theils zieht ihn des Dichters moralischer Katzenjammer zu tief ins
Schwächliche, Weichliche hinunter. So schwankt etwas armselig
seine verschwommene Gestalt zwischen unausgeglichenen Gegensätzen
und wird allmählich uninteressant. Das künstlerische Meisterstück,
sich selbst zu objektiviren, ist Goethe im „Werther“ und im „Wilhelm
Meister“, Keller im „Grünen Heinrich“ und in „Pankraz dem Schmoller“
gelungen. Wenn es dem jungen Hirschfeld nicht gelungen ist, so
darf er sich (unsre Dramatiker haben dieses Schwerste selten genug
gewagt) mit unzähligen ältern Romanschriftstellern trösten. Auch
in den „Müttern“ wühlt der schmerzenreiche Kampf um eine arme
Seele, an der wir uns nicht wärmen können. Desto heißer erregt
der Kampf selbst, erregen diejenigen, die den Kampf führen. Es
sind (der Titel trifft Wesen und Werth des Stückes) „die Mütter“
Robert ist von einer Mutter zur andern gegangen; von seiner leib¬
lichen Mutter zu einer Art Pflegemutter. Diese Pflegemutter ist
sein Verhältniß, seine Geliebte, mit der er nicht nur, wie es in
Sudermanns „Ehre“ heißt, „geht“, sondern bei der er sogar ein¬
liegt. Der verlorne Sohn des wohlhabenden Fabrikantenhauses
findet in der Arbeitstube dieser armen Proletarierin Bett und Tisch,
und Alles nur um Liebe! Sie fühlt sich Mutter seines Kindes,
aber noch mehr ist sie ihm selbst, dem hilflosen, willensschwachen
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5. Lausei
er Theatersaison 1895/96.
sgut ist wie er selbst, über Wasser ge¬
tte ein Ende, wenn nicht, wie bei Haupt¬
und beim frommen Glauben, in höchster
hsten wäre. Gott schickt, ein wenig ex
tsch=Amerikaner, der nach einiger Wider¬
Päckchen Geldmangels und Herzensfülle
kmmt und an den Sonnenschein trägt.
fück sind die Menschen. Sie sind von
schildert, die zugleich lächelnd auf sie
or ihnen auf den Knieen liegt. Der
ter, der Bub, sie leben und sind liebens¬
fanche Züge mögen zu unmittelbar aus
kein, stellen sich nicht genügend in den
ptivirung und Oekonomie, sind zu wenig
mmigkeit des Mädchens, die lyrische
lismutter, die Zuneigung des rettenden
Familie, das Judenthum des künftigen
dadurch ein Uebererichthum an Charak¬
schlanke Bäumchen zu üppig in die
heiten erkennt man, daß die Dichterin
zu lieb war, nicht ganz frei geworden
als erfunden. Der Komposition fehlt
so verflatternd die Handlung ist, so
tails; entzückende Einfälle, entzückende
Herzensgrund geholt. Für unser Ber¬
kmend, daß diese „Gefühlskomödie“, die
ziemlich weit entgegenkam, einen viel
als Schönthan=Koppels windige
(Lessingtheater oder gar im Königlichen
nieks dummdreiste „Kranke Zeit“.
Milieurealisten steht der Dichterin von
sten Georg Hirschfeld, an dem jener
der Hofbühne umsonst sein kraftloses
kühlen wagte. Frau Bernstein und
rt Hauptmann tief angeregt worden.
icht ihr berühmtes Muster, dem ein
kenlos nachahmt. Vielmehr scheint er
elen gewesen zu sein. Sie haben sich
t, nicht wie vor zwanzig Jahren Lindau
und Dumas, sondern wie vor hundert¬
box 10/3
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Die Berliner Theatersaison 1895/96.
zwanzig Jahren der junge Goethe an Shakespeare. Mit ihrer
reichern Bildung, ihrem reifern Geist, ihren tiefern Kunsterfahrungen
steht Frau Bernstein dem voranschreitenden Dichtgenossen freier
gegenüber, als der blutjunge Hirschfeld, der vom Eindruck noch
befangen ist und sich selbst noch sacht. Wie im „Tedeum“, so
handelt sichs auch in den „Müttern“ um einen Musikanten, der
sich in den Nöthen des Lebens nicht zu helfen weiß, um dessen
Schicksal Freundesherzen zittern, Freundeshände sorgen. Dort
ein Alter, hier ein Junger. Jener konnte was in seiner Kunst,
dieser möchte was können. Beide lassen sich „bemuttern“. Im
„Tedeum“ steht die Dichterin selbst ihrem „großen Kinde“ mütter¬
lich=töchterlich gegenüber; der freie Blick der Liebe schuf hier ein
entzückend wahres Charakterbild. In den „Müttern“ scheint der
Dichter sein „kleines Kind“ in sich selbst gesucht zu haben. Er gab
ihm das eigne Weh; so stand ihm die Gestalt zu nah, als daß er
sie hätte überblicken können. Das alte Mißgeschick deutscher Roman¬
helden, in denen sich das eigne Ich ihcer Dichter spiegeln sollte,
ereilte auch diesen urmen Judenknaben Robert Frey: das Interesse
des Dichters an sich selbst macht theils zu viel Wesens mit ihm,
theils zieht ihn des Dichters moralischer Katzenjammer zu tief ins
Schwächliche, Weichliche hinunter. So schwankt etwas armselig
seine verschwommene Gestalt zwischen unausgeglichenen Gegensätzen
und wird allmählich uninteressant. Das künstlerische Meisterstück,
sich selbst zu objektiviren, ist Goethe im „Werther“ und im „Wilhelm
Meister“, Keller im „Grünen Heinrich“ und in „Pankraz dem Schmoller“
gelungen. Wenn es dem jungen Hirschfeld nicht gelungen ist, so
darf er sich (unsre Dramatiker haben dieses Schwerste selten genug
gewagt) mit unzähligen ältern Romanschriftstellern trösten. Auch
in den „Müttern“ wühlt der schmerzenreiche Kampf um eine arme
Seele, an der wir uns nicht wärmen können. Desto heißer erregt
der Kampf selbst, erregen diejenigen, die den Kampf führen. Es
sind (der Titel trifft Wesen und Werth des Stückes) „die Mütter“
Robert ist von einer Mutter zur andern gegangen; von seiner leib¬
lichen Mutter zu einer Art Pflegemutter. Diese Pflegemutter ist
sein Verhältniß, seine Geliebte, mit der er nicht nur, wie es in
Sudermanns „Ehre“ heißt, „geht“, sondern bei der er sogar ein¬
liegt. Der verlorne Sohn des wohlhabenden Fabrikantenhauses
findet in der Arbeitstube dieser armen Proletarierin Bett und Tisch,
und Alles nur um Liebe! Sie fühlt sich Mutter seines Kindes,
aber noch mehr ist sie ihm selbst, dem hilflosen, willensschwachen