II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 271

Liebel
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Die Berliner Theatersaison 1895/96.
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seiner Familie, die so seelensgut ist wie er selbst, über Wasser ge¬
halten. Aber auch das hätte ein Ende, wenn nicht, wie bei Haupt¬
manns Kollegen Crampton und beim frommen Glauben, in höchster
Noth Gottes Hilfe am nächsten wäre. Gott schickt, ein wenig ex
machina, einen reichen Deutsch=Amerikaner, der nach einiger Wider¬
borstigkeit das ganze liebe Päckchen Geldmangels und Herzensfülle
in seine breiten Hände nimmt und an den Sonnenschein trägt.
Das Reizende in dem Stück sind die Menschen. Sie sind von
einer dichterischen Frau geschildert, die zugleich lächelnd auf sie
herabsieht und anbetend vor ihnen auf den Knieen liegt. Der
Papa, die Mama, die Tochter, der Bub, sie leben und sind liebens¬
würdig in jeder Faser. Manche Züge mögen zu unmittelbar aus
dem Leben übernommen sein, stellen sich nicht genügend in den
Dienst der künstlerischen Motivirung und Oekonomie, sind zu wenig
verwerthet: z. B. die Frömmigkeit des Mädchens, die lyrische
Jugendpoesie der alten Hausmutter, die Zuneigung des rettenden
Nabobs gerade für diese Familie, das Judenthum des künftigen
Schwiegersohns. Es tritt dadurch ein Ueberreichthum an Charak¬
teristik hervor, als schössen schlanke Bäumchen zu üppig in die
Zweige. An solchen Einzelheiten erkennt man, daß die Dichterin
vom Stoff, der ihr vielleicht zu lieb war, nicht ganz frei geworden
ist. Sie hat mehr entdeckt als erfunden. Der Konvosition fehlt
das starke Rückgrat. Aber so verflatternd die Handlung ist, so
fest und tief sind die Details; entzückende Einfälle, entzückende
kleine Genrebildchen, aus Herzensgrund geholt. Für unser Ber¬
liner Publikum ist es beschämend, daß diese „Gefühlskomödie“, die
dem Unterhaltungsbedürfniß ziemlich weit entgegenkam, einen viel
geringeren Erfolg hatte, als Schönthan Koppels windige
„Comtesse Guckerl“ im Lessingtheater oder ### im Königlichen
Schauspielhause Skowronneks dummdreiste „Kranke Zeit“.
Unter den andern drei Milieurealisten steht der Dichterin von
„Tedeum“ weitaus am nächsten Georg Hirschfeld, an dem jener
diesjährige Tantiémedichter der Hofbühne umsonst sein kraftloses
Beschimpfungsmüthchen zu kühlen wagte. Freu Bernstein und
Hirschfeld sind von Gerhart Hauptmann tief angeregt worden.
Hauptmann war freilich nicht ihr berühmtes Muster, dem ein
knechtischer Affentrieb gedankenlos nachahmt. Vielmehr scheint er
der Erwecker ihrer Dichterseelen gewesen zu sein. Sie haben sich
an ihm künstlerisch ermuthigt, nicht wie vor zwanzig Jahren Lindau
und Blumenthal an Sardon und Dumas, sondern wie vor hundert¬
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