II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 274

Lieb
5. ei
eatersaison 1895/96.
mütterliche Gefährtin, die ihn hält
agerstatt, an ihrem kargen Herd, im
nd er jenen Reichthum der Liebe, jene
ihn aus dem sichern Elternhause ver¬
kind des vierten Standes findet der
nur nicht das, was er verloren hat. In
Armeleutgeruch bleibt die Sehnsucht
diese Sehnsucht macht seine Lage
se Fühlung zurück zum Elternhaus,
harte Hand des Vaters lastei Un¬
Schwester und Mutter; nach der
ens öffnet die rechte, die leibliche
verlorne Sohn, weinend wie ein
ihrem Schoße. Nun erst sieht der
er Muiter und Schwester verkannt
sund seind wurde. Sie hatten unter
hwer gelitten wie er, aber sie waren
gelt sie aufrecht. Die Pflicht aber,
hatte das Mutterherz rauh gemacht.
kilzt die Kruste; die Gefühle quillen
in der Heimath erst heimisch werden.
iebe, ihr Recht der Rettung fordernd,
Mutter seines Kindes. Sie kommt
muß sehn, daß sie den Liebsten ver¬
bilden Haß gegen die, denen sie ihn
das Geheimniß ihres Mutterschoßes
hierher hat der junge Dichter sicher
beiden Müttern, hüben wie drüben,
brientirt, sondern auch unsern innigen
fen gewonnen. Besonders das Leben
eisterstück gegenständlicher Poesie, eine
isrer an tauben Nüssen so reichen
r sind wir uns über die zwiespältige
er Mütterkonflikt auf der Spitze und
dramatischen Kraftaufgabe geräth die
Dichters in leise Verlegenheit. Viele,
warfen ihm vor, daß er einer Scéne¬
Rüttern ängstlich aus dem Wege geht.
u starker Bühnenwirkung führen und
plikums mannigfach befriedigen. Aber
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Die Berliner Theatersaison 1895/96.
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für den Gang der innern seelischen Handlung, auf die hier Alles
ankommt wäre solch eine Szene überflüssig. Denn die beiden
Mütter haben sich nichts mehr zu sagen. Sie haben ihren Kampf
um das Herz des Kindes gleichsam in absentir geführ: Des
Kindes Heimweh nach der ersten Mutter war in diesem Kampf
die siegendste, die tödtendste Waffe. Die eigne Mutter bietet
großmüthig Frieden, einen faulen Frieden, einen Frieden auf
gemeinschaftlichen Besitz hin. Das sichrere Gefühl der Andern
sieht weiter. Sie kann ihre Liebe nicht theilen. Aber das
Anerbieten der Gegnerin bricht ihren Trotz. Sie räumt freiwillig
das Feld, sie opfert sich. Thäte sie das nicht, ließe sie sich mit
all ihrer robusten Unbildung in die gute Stube aufnehmen, so
käme die scène-à-faire später, dann erst wäre sie berechtigt. Duß
sich die trotzige Feindin für besiegt erklärt, scheint die sang## lieber¬
redungskraft der Schwester bewirkt zu haben. Ueberredungskünste
überzeugen auf der Bühne selten, obgleich im Leben oft das
Wichtigste durch Ueberredung geschieht. Hier aber spricht die
Schwester doch nur aus, was der fremde Eindringling dumpf
schon fühlt. Kaum hat die Arbeiterin da Bürgerhaus betreten,
so weiß sie, daß ihre Sache verloren ist. Nun könnte sie im
Hasse gehn, aber ihre Liebe ist stärker, ihre Liebe ist opferfähig.
Wohin das arme Weib seine Muttergefühle trägt, hat der Dichter
selbst nicht recht gewußt. Bei der allerersten Aufführung des
Stückes, im Mai 1895 auf der Freien Bühne, ließ er sie ins
Wasser gehn. Dann hörte er auf den Einwand einiger Kritiker
und ließ sie leben. Ueber diese Aenderung war Niemand empörter,
als die kongeniale Darstellerin des Mädchens, Else Lehmann, die
gewiß keine kritische und ästhetische Unfehlbarkeit besitzt. Viel¬
leicht aber hat hier die Darstellerin tiefer und rechter empfunden,
als der schwankende Dichter selbst. Vielleicht auch nicht! Das
Problematische des Abschlusses ergiebt sich aus der unsichern
Führung des ganzen letzten Aktes und aus der Verschwommenheit.
des passiven Helden. Trotzdem sind Hirschfelds „Mütter“ neben
„Tedeum“ und „Liebelei“ die feinste Gabe des letzten Jahrs.
„Liebelei“ ist vom Wiener Arzt Arthur Schnitzler ver¬
faßt, der hier ein schon oft skizzenhaft von ihm behandeltes Thema
hier ein sozialer
tiefer varüirt. Wie bei Hirschfeld liegt auch
Gegensatz zwischen Liebstem und Liebster vor. Auch hier faßt das
Mädchen die Beziehung tiefer als der Mann. Für sie ist Liebe,
was für ihn nur Liebelei sein sollte. Mann wie Mädchen sind