N
Liebelei
5 box 10/3
Die Berliner Theatersaison 1895/96.
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etwas höher gestellt als bei Hirschfild. Das Mädchen ist nicht
Fabrikarbeiterin, sondern, wie Luise Millerin (auch hier kommen
wir wieder unter Musikanten) die Tochter eines Geigers. Der
junge Mann ist zwar auch Bourgeois, aber Einer, der zur jeunesse
dorée aufwuchert. Wie das züchtige Bürgerskind zögernd und
doch verlangend in die Wunder der flotten Welt eingeweiht wird,
wie sie, von Wiener Gemüthlichkeit und Wiener Lebenslust um¬
würzt, im Genuß halb zweifelnd halb andächtig, halb befremdet,
halb bezaubert umhertastet, ist von feiner kundiger Künstlerhand
mit aller Kraft, aller Grazie, aller Laune dargestellt — ein Akt,
an Sicherheit der Zeichnung des völlig andern Milieus mit dem
Hinterhausakt „der Mütter“ wetteifernd. Die kleine, bleiche
Christine geht auf in der Liebe zu ihrem feschen Fritz. Fritz aber
läßt sich im Zweikampf von einem Ehegatten, den er betrog,
tödten. Daß Christine das Schicksal dieses Rache übenden Mannes
theilte, daß durch denselben Treubruch auch sie betrogen ward,
erfährt sie erst, als sie den Geliebten verloren hat. Nun ist
rascher Entschluß schlimmer Entschluß. Sie überleht es nicht.
Wenn dieses Stück stärkern Zulauf fand als „Tedeum“ und auch
wohl die „Mütter“ an äußerm Erfolg noch übertrifft, so verdankt
es dies gewiß seinen feinen und intimen Reizen, die im Einzelnen
liegen und an Ort und Stelle empfunden sein wollen. Noch mehr
aber verdankt es dies seinem Stoffe; denn nichts ist auf dem
Theater willkommner, als das Thema: „a bisserl Lieb und a
bisserl Treu und a bisserl Falschheit is alleweil dabei.“ Freilich
darf nach der Mengenmeinung die Falschheit nicht entscheiden.
Am wenigsten darf sie tragisch entscheiden. Darum hat man auch
bei Schnitzler am letzten Akt, so schön ihn Frau Sorma spielte,
unnöthigen Anstoß genommen. Wäre Fritzerl gesund wie ein
Fisch aus dem Zweikampf heimgekehrt, hätte er seinem Mädel
versprochen, so was nicht wieder zu thun, hätte sich das Mädel
nach einigem Schmollen in seine Arme geworfen, so wäre das
Plaudite noch allgemeiner gewesen. Daß ein so liebes Herzchen
brechen muß, wird als zu grausam empfunden. Christinchen nahm
Liebelei für Liebe und der muntere Berliner sagt: „Wenn schon!“
Christine geht nicht schweigsam und fügsam in den Tod. Sie
bringt sich und den Andern ihre Lage voll zum Bewußtsein.
Aus ganzem Klarwerden entsteht ihr Lebensüberdruß. Wie den
Sterbenden oft das Auge heller wird, so wird diesem armen
aber
bild gestalten
künstlerisch eini
theils zu wirr.
wurde. Jahrz
Charakterkomöd
war Bretterwe
schuf eine Char
wie jeder
auch,
rkli
Le
#t.
Liebelei
5 box 10/3
Die Berliner Theatersaison 1895/96.
494
etwas höher gestellt als bei Hirschfild. Das Mädchen ist nicht
Fabrikarbeiterin, sondern, wie Luise Millerin (auch hier kommen
wir wieder unter Musikanten) die Tochter eines Geigers. Der
junge Mann ist zwar auch Bourgeois, aber Einer, der zur jeunesse
dorée aufwuchert. Wie das züchtige Bürgerskind zögernd und
doch verlangend in die Wunder der flotten Welt eingeweiht wird,
wie sie, von Wiener Gemüthlichkeit und Wiener Lebenslust um¬
würzt, im Genuß halb zweifelnd halb andächtig, halb befremdet,
halb bezaubert umhertastet, ist von feiner kundiger Künstlerhand
mit aller Kraft, aller Grazie, aller Laune dargestellt — ein Akt,
an Sicherheit der Zeichnung des völlig andern Milieus mit dem
Hinterhausakt „der Mütter“ wetteifernd. Die kleine, bleiche
Christine geht auf in der Liebe zu ihrem feschen Fritz. Fritz aber
läßt sich im Zweikampf von einem Ehegatten, den er betrog,
tödten. Daß Christine das Schicksal dieses Rache übenden Mannes
theilte, daß durch denselben Treubruch auch sie betrogen ward,
erfährt sie erst, als sie den Geliebten verloren hat. Nun ist
rascher Entschluß schlimmer Entschluß. Sie überleht es nicht.
Wenn dieses Stück stärkern Zulauf fand als „Tedeum“ und auch
wohl die „Mütter“ an äußerm Erfolg noch übertrifft, so verdankt
es dies gewiß seinen feinen und intimen Reizen, die im Einzelnen
liegen und an Ort und Stelle empfunden sein wollen. Noch mehr
aber verdankt es dies seinem Stoffe; denn nichts ist auf dem
Theater willkommner, als das Thema: „a bisserl Lieb und a
bisserl Treu und a bisserl Falschheit is alleweil dabei.“ Freilich
darf nach der Mengenmeinung die Falschheit nicht entscheiden.
Am wenigsten darf sie tragisch entscheiden. Darum hat man auch
bei Schnitzler am letzten Akt, so schön ihn Frau Sorma spielte,
unnöthigen Anstoß genommen. Wäre Fritzerl gesund wie ein
Fisch aus dem Zweikampf heimgekehrt, hätte er seinem Mädel
versprochen, so was nicht wieder zu thun, hätte sich das Mädel
nach einigem Schmollen in seine Arme geworfen, so wäre das
Plaudite noch allgemeiner gewesen. Daß ein so liebes Herzchen
brechen muß, wird als zu grausam empfunden. Christinchen nahm
Liebelei für Liebe und der muntere Berliner sagt: „Wenn schon!“
Christine geht nicht schweigsam und fügsam in den Tod. Sie
bringt sich und den Andern ihre Lage voll zum Bewußtsein.
Aus ganzem Klarwerden entsteht ihr Lebensüberdruß. Wie den
Sterbenden oft das Auge heller wird, so wird diesem armen
aber
bild gestalten
künstlerisch eini
theils zu wirr.
wurde. Jahrz
Charakterkomöd
war Bretterwe
schuf eine Char
wie jeder
auch,
rkli
Le
#t.