II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 287

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5. KET
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Die Berliner Theatersaison 1895/96.
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und wird dann von einem Vermummten heimgesucht, der sich als
der siegreiche König Heinrich zu erkennen giebt. Drob tritt eine
kulturhistorische Kunstpau## ein, und zu Papst Gregor spricht König
Heinrich das Bramarbaswort: „Hörst du das Schweigen um uns
her? Das ist die Welt, die den Athem anhält, weil wir zum ersten
Male allein sind!“ Heinrich kommt, nicht nur die Kaiserkrone,
sondern auch seinen in Canossa verlornen Gottesglauben zurück¬
zufordern, und der Papst (man erinnere sich wohl, daß es Gregor
der Siebente ist) wird wiederum von Bräutigamsgefühlen ange¬
wandelt: „Wie sein Herz nach mir schreit — wie mein Herz ihm
Antwort giebt!“
Gregor fleht Heinrich um Versöhnung an, die für ihn freilich
nichts Geringeres bedeutet, als Beugung unter das Joch der Kirche.
Heinrich schleudert ihm darauf das Schimpfwort „Betrüger“ ent¬
gegen, und das kann sich Seie Heiligkeit unmöglich gefallen
lassen. Nun verfluchen sie einander gegenseitig; aber den Papst
greift das Alles (dazu — auch ein „unholdes“ Motiv — die ab¬
gehauene Hand Rudolfs von Schwaben, die Heinrich ihm vor die
Füße geworfen hat) so sehr an, daß er draufgeht. Freilich stirbt
er nur langsam und nicht ohne in einem jungen Kleriker, dem
einzigen, der ihm treu bis in den Tod geblieben ist, die Zukunft zu
begrüßen, von der sein letzter Seufzer weissagt: „Die Zukunft ge¬
hört mir doch!“
Was Wunder, wenn die vorlauten Berliner dazu Na! Na!
gesagt hätten; aber, o größeres Wunder, in ihrer kompakten Ma¬
jorität folgten die Berliner keineswegs dem Beispiel Heinrichs des
Siebenten, der an diesen Papst Gregor nicht glauben wollte. Sie
retteten durch ihren Beifall, den sie dem Salierstücke spendeten,
das gefährdete Schicksal des „Berliner Theaters“ und überließen
es eine, anders denkenden Zukunft, die Wildenbruchische Puppen¬
tragöde den Hohenstaufereien Raupachs einst anzuordnen.
Nicht von einer Idee, sondern von einem Zustand ist Gerhart
Hauptmann beim „Florian Geyer“ ausgegangen. Ihm lag duran,
den Helden aus seiner Zeit, seiner Landschaft, seinem Volk heraus¬
wachsen zu lassen. Deutlicher und umständlicher, als den Helden
selbst, zeigt er daher den Boden, auf dem Florian Geyer steht.
Wie im modernen naturalistischen Drama, so ist auch in dieser
Historiendichtung das Milieu die Hauptsache. Bei Wildenbruch
stehn sich „Spieler" und „Gegenspieler“ fast isolirt gegenüber; die
andern Figuren sind mehr oder minder nur ihre dienstbaren Geister.