II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 289

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Die Berliner Theatersaison 1895/96.
mann die Bühne nur als das nothgedrungne Gefährt an, das ihn
in eine historische Vergangenheit tragen sollte. Jener hat zu viel,
dieser zu wenig an die spezifischen Bedingungen des Theaters gedacht.
Wohin den Dichter des „Florian Geyer“ sein starkes revo¬
lutionäres Streben, das Theater nicht bloß mit moderner, sondern
auch mit historischer Realität zu füllen, führt, muß die Zukunft
lehren. Wohin den Dichter des „König Heinrich“ sein nicht minder
starkes reaktionäres Streben, mit der historischen Realität auf dem
Theater grellen Mummenschanz zu treiben, führt, braucht nicht erst
erwiesen zu werden. Schon während der letzten Saison hat sich
in dieser Hinsicht Wildenbruch selbst ad absurdum geführt. Bald
nach dem fast von der gesammten Presse hochbelobten „König
Heinrich“ ließ er im Lessingtheater zwei kleinere Stücke aufführen,
„Jungfer Immergrün" und „den Jungen von Henners¬
dorf", die fast von der gesammten Presse und auch vom ent¬
täuschten Publikum als thöricht verworfen wurden. Schärfere
Augen haben die Spur dieses dramatisirten Kinderfreundpatriotismus
bereits im „König Heinrich“ zu entdecken vermocht. Hier bereits wie
dort ist Ernst v. Wildenbruch in Reih und Glied mit jenen zumeist
ihm unebenbürtigen Autoren getreten, die das Sommertheater des
Treptower Ausstellungsparks durch ihre kindischen Szenerien aus
Alt=Berlin zum kläglichsten Krach brachten.
Mit dieser jetzt in Schwung gekommenen puerilen Historien¬
dichterei, die sich streberhaft auf ein mißverstandnes Kaiserwort stützt
und hoffentlich zu Unrecht auf dieses Wort verläßt, steht in Reih'
und Glied auch ein Repertoirstück der Königlichen Schauspiele, Otto
v. d. Pfordtens Yorkdrama ,1812“. Wie hier auf dem Königs¬
berger Schloß Napoleon keift und dann York mit Stein sich
in den Haaren liegt, müßte man fabelhaft nennen, wenn es nicht
vielmehr fiebelhaft wäre. Daß trotzdem dieses Stück die beträcht¬
lichste Novität der Hofbühne geblieben ist, beweist deutlicher als
irgend etwas andres, wie wenig während der abgelaufenen Saison
die Hofbühne literarisch und künstlerisch in Betracht gekommen ist.
Sieht man von einigen älteren Dichtwerken ab, die für Fräulein
Poppe und Herrn Matkowsky hervorgezogen wurden, nimmt man
allenfalls noch eine unklare Maeterlink=Nachempfindung des Jour¬
nalisten Theodor Wolff aus, so hat das Theater Sr. Majestät
seit vorigem Herbst kaum das geleistet, was vor etwa zwanzig
Jahren das niedergehende Wallnertheater als seine Aufgabe erkannte:
für hausbackenes Vergnügen zu sorgen. Die besten Winterwochen