II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 315

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5. Snnnen
's Nachfichten-Burean „Argus“
grosse Rotunde. Eigenes Telephon.
dekerstr. 5. Telephon VII, 4098.
New-Fork. Paris.
#ngen der Welt und liefert aus denselben
Eschitte über jeden Gegenstand.)
Bonner Zeitung.
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Theater.
ru. Am Freitag ist in unserem Stadttheater das
neue Schauspiel „Liebelei“, von dem Wiener Arzte
Dr. Arthur Schnitzler, zum ersten Male aufgeführt
worden, und zwar mir Frau Doré m der Hauptrolle
(Christine). Um die ganz besondere Bedeutung diesee
Theaterabends festzulegen, ist es dienlich, einPlatt in
unserer Bonner Schauspielchronik zurückzübleltern. Ur¬
sprünglich hatte die Theaterleitung zzur Abschiedsvor¬
stellung von Frau Adele Doré die Wiederholung (ich
weiß im Augenblick nicht die wievielte) von Sudermanns
„Heimat“ am Ostersonntag bestimmt. Dank
der zwiefach ungeschickten Wahl war die Vorstellung
schwach besucht und verlief ohne eine Kundgebung des
Dankes, den das Bonner Publikum der nunmehr leider
scheidenden Künstlerin schuldet. Seitens der Kritik wurde
an dieser Stelle auf das bedauerliche Vorkommnis hin¬
gewiesen, und aus der Mitte der Bonner Theaterfreunde
erhob sich das vielstimmige Verlangen nach einer Vor¬
stellung, die es ermögliche, das Versäumnis wieder gut
zu machen. Die Theaterleitung hat diesem Verlangen
am Freitag genügt. Sie hat ihren Lohn dafür in Ge¬
stalt eines „ausverkauften Hauses“ bekommen, und das
Bonner Publikum ist auf solchem Umwege noch eben
vor Thoresschluß zur Bekanntschaft mit einer dramat¬
ischen Neuheit gelangt, die unter den „modernen“ Neu¬
erscheinungen dieses Winters vielleicht die erste Stelle
verdient. Wir dürfen uns also sagen, daß wir alle mit
einander diesmal mehr Glück als Verstand gehabt
haben.
Arthur Schnitzler, der Dichter der „Liebelei“ ist jetzt
vierunddreißig Jahre alt. Es giebt bereits ein älteres
Schauspiel „Märchen“ von ihm, das er 1894 veröffent¬
lichte, also genau im selben Lebensjahre, in welchem
Sudermann mit der „Ehre“ das Grund=Kapital seines
Erfolges erwarb. Ich kenne jenes ältere Schauspiel
nicht und kenne ebenso wenig Schnitzlers Novellen, die
er unter der Gesamtaufschrift „Sterben“ im vorigen
Jahre veröffentlicht hat. Sie sind im Hauptverlage
„entschieden moderner“ Literatur, bei S. Fischer i
Berlin, erschienen und werden von den Herolden der an¬
geblichen „modernen Richtung“ warm empfohlen, was ja
noch nichts für sie oder wider sie beweist. Einen ganz
entschiedenen Erfolg hat Schnitzler jetzt mit der „Liebelei“
errungen. In Wien, Berlin und anderswo hat das
Stück das größte Aufsehen erregt; über den Erfolg in
Köln schreibt mir ein „glaubenswerter Mann“ von
dort, daß die Liebelei „beim Publikum den größten
Erfolg seit zehn Jahren“ erzielt habe. Das wäre denn
um so höher zu veranschlagen, als sich Schnitzler der
grob-theatralischen Schlager, wie sie z. B. Sudermann
besonders in seinem ersten und seinem dritten Stücke so
skrupellos verwendete, fast ganz enthalten hat.
„Liebelei“ ist ein Trauerspiel bitterster Art. Die
tra##rige Geschichte, die es erzählt, braucht an sich nicht
nn weudig in Wien geschehen zu sein, die geschieht auch
anderswo so oder ähnlich oft genug. In ihren beson¬
deren Einzelzügen aber ist sie wohl ausgesprochen
wienerisch, was man bei Beurteilung des Stückes nicht
außer Acht lassen darf. Da sind zwei junge Lebemänner
jetzt in Paris und anderswo vielleicht Grisette nennt,
womöglich noch weniger. Aber eben weil diese Christine
fast noch eher gretchenhaft als grisettenhaaft gedacht ist,
scheint mir zur klaren Veranschaulichung ihres feelischen
Verhältnisseszu Fritz auf Seitedes letzterenetwas zu fehlen.
Die künstlerische Wirkung würde, glaube ich, gewinnen¬
und vorab der Ausgang überzeugender erscheinen, wenn
in der Charaktermischung des jungen Mannes jene
Spuren Edelmetalls deutlicher hervorträten, welche
das Mädchen verleiteten, ihn für pures Gold zu halten.
Auch für diese Kunst der Charakterzeichnung ist Goethes
Clavigo ein großes Muster. Möglich, daß der Dichter
der „Liebelei“ die — unbegründete — Furcht hatte, durch
eine solche Hervorhebung des tragischen Zuges in Fritz
möchte die in seinem Werke liegende unausgesprochene,
Strafrede an die Gesamtheit der jungen und alten Lebe¬
männer an Deutlichkeit verlieren. Möglich auch, daß
mein Bedenken weniger im Werke als in der hiesigen
Darstellung begründet liegt. Denn allerdings entsprach
die Wiedergabe des Fritz durch Herrn Monnard auch
äußerlich kaum den Absichten des Dichters. Vornehm
und fein — sein bis zur Schwäche — muß Christine's
Geliebter jedenfalls erscheinen; und das verfehlte Herr
Monnard nun leider vollständig. Sein Fritz Lobheimer
erschien weniger geistig müde, als vielmehr physisch ver¬
katert. Fast noch mehr mißraten war die bis zur
Grenze des Komischen übertriebene Darstellung des ge¬
täuschten Gatten durch Herrn Bohnée, von dem wir
an anderen, für ihn glücklicheren Abenden so manche
treffliche Leistung gesehen haben. Im übrigen wurde
das Stück vorzüglich gespielt. Frl. Glümer gab die
Mitzi sehr glücklich, Frau Lonius entzückte in der
Rolle einer dumm=schlauen pharisäischen Nachbarin, Herr¬
Beck als Christines Vater bot eine prächtige, über¬
zeugende und ergreifende Leistung, und Herr Leyrer
fand als Theodor Raum, alle Vorzüge jener Eigenart
zu zeigen, die ihn zum Röcknitz in Sudermanns „Glück
im Winkel“ ungeeignet, zu Rollen wie die dieses
blasirten Wiener Lebemanns aber geradezu vorbestimmt
erscheinen läßt. Cristine endlich, von deren Darstellung
der künstlerische Erfolg des Stückes doch abhängt, wurde
von Frau Doré mit vollkommener Meisterschaft
geben. Die Rolle bot ihr Gelegenheit, die ganze Skala
ihres wahren, tiefen und klaren Könnens wechselnd an¬
klingen zu lassen, und sie that es in einer Weise, die
uns nun das Scheiden noch schwerer macht. Das Pub¬
likum, welches der Vorstellung mit lebhafter Spannung
und Beifall folgte, gab Frau Doré seinen Dank
mit einer hierorts seltenen Begeisterung kund. Nach dem
dritten Akte wurde der gefeierten Künstlerin eine wahr¬
hafte „Fülle“ von Kränzen und kostbaren Blumenspenden
dargebracht, Beifall und Hervorruf wollten nicht enden.
Die Kritik hat hier weiter nichts hinzuzufügen, als de¬¬
Ausdruck der herzlichen Freude darüber, daß der be¬
schämende — nicht für die Künstlerin beschämende —
Verlauf der Östervorstellung einen so angenehmen Wider¬
ruf gefunden hat.
Zum Nachtisch wurde in stylvoller Ausführung noch
eine kleine Neuheit gegeben, „Fräulein Witwe“
von Ludwig Fulda. Ohne Zweifel ist Fulda eines der
vielseitigsten Talente unter unseren mitlebenden Dichtern.
In diesem Punkte wird er selbst von Ernst Eckstein
kaum übertroffen. Die verschiedensten Dinge versucht er
und bringt sie jedes in seiner Art auch ganz nett fertig,
während er sein Bestes, allerdings als Nach dichter,
in den meisterlichen Molière=Uebertragungen liefert. Auch
die Ausführung des kleinen Stückchens, welches unter
dem Namen Luftspiel den tollsten Karnevalsulk bietet,
erinnert an ähnliche Molieresche Scherze, z. B. an die
„Précieuses ridicules“, Aber der Geschmack ändert sich
auch in diesen Dingen, und wenn wir dem alten fran¬
zösischen Klassiker gelegentlich auch einen Bockssprung?
oder Purzelbaum zugestehen, so berührt uns die Nach¬
ahmung dieser gymnastischen Uebung durch unseren
liebenswürdigen Zeitgenossen doch zum mindesten be¬
fremdend. Auf keinen Fall paßte der überderbe Scherz#
zum Abschluß dieses Abends.