Liebelei
5. Seneenenn
box 10/4
Ts Nachrichten-Burean „Argus“
grosse Rotunde. Eigenes Telephon.
ückerstr. 5. Telephon VII, 4096.
New-York.
Paris.
#gen der Welt und liefert aus denselben
sschnitte über jeden Gegenstand.)
Bonner Zeitung.
9APR 98
eel einfach und
bezeichnens neum: der eine, Theodor, blasirt, kühl,
„verständig“ der andere, Fritz, mit einem letzten unbe¬
stimmten, haltlosen idealistischen „Dusel“, um das Wort
zu gebrauchen; der eine „genießt“ mit Behagen, der an¬
dere mit gelegentlichen Gewissensbissen. Da sind ferner
zwei „Madeln“, eine kleine Modistin Mitzi und ihre
Freundin Christine, die Tochter eines Musikers vom
Josephstädter Theater. Theodor hat eine Liebschaft mit
Mitzi; um seinen Freund aus dem unerquicklichen Ver¬
hältmis zur Frau eines Dritten zu befreien, macht er
ihn mit Mitzis Freundin Christine bekannt. Aber
Christine's Liebe zu Fritz erweist sich von anderer Art,
als man in solchen Verbindungen voraussetzt. Als Fritz
von dem betrogenen Gatten im Duell erschossen worden
ist, entflieht sie aus der väterlichen Wohnung, um ihm
in den Tod zu folgen.
Das Stück behandelt einen peinlichen Stoff und wird
Manche schon allein deshalb peinlich berühren. Es ist
aber in diesem Punkte zum mindesten nicht schlimmer
um das nächstliegende Beispiel nochmals zu
als —
nennen — die Sudermann'schen Dramen, und in der
Behandlung des Stoffes vermeidet es das Anstößige
durchaus, — nicht freilich im Sinne einer empfehlens¬
werten Mädchenlektüre, aber im Sinne der Kunst für
erwachsene und verständige Männer und Frauen. Wenn
ich Sudermann zweimal zur Vergleichung genannt habe,
so ist das nicht so zu nehmen, als ob Schnitzler irgendwie
an Sudermann als „Vorbild“ erinnere. Weit eher weist
das Stück hier und da auf ältere und höherstehende Vor¬
bilder zurück; die beiden jungen Männer z. B. dürften
in ihrer Charakter=Zeichnung, ihrer Gegenüberstellung
und ihrem Verhältnis zu einander noch manchen außer
mir an Goethes Carlos und Clavigo erinnert haben.
Auch der einfache, klare und saubere dramatische Aufbau¬
könnte an das Studium jenes in dieser Hinsicht besten
Goetheschen Dramas oder Lessings denken lassen.
An manchen Stellen — vorab in der Zeichnung Christines
und vielleicht noch mehr ihres Vaters — überrascht
etwas, was man in der modernsten deutschen Dramatik
nur zu selten findet, — nämlich Anmut. Das mag
ebenso wie die gelegentliche Neigung zur Gefühlsseligkeit
ohne allzu störenden Beigeschmack — süddeutsch sein,
beides erinnert aber auch unabweisbar an französische
Vorbilder, die ja dem Wiener überhaupt gut zu liegen
scheinen.
Das Stück hat wie vielleicht jedes Kunstwerk seinen
schwachen Punkt, — seinen locus minoris resistentiae,
wie die Aerzte sagen. Er ist leichter zu empfinden als
zu finden. Wenn ich nicht irre, liegt er irgendwo in
der Zeichnung des Hauptpaares Fritz und Christine.
An sich ist die Charakteristik Christines ja ganz meister¬
lich und klar; so klar, daß es mir schwer wird zu
folgen, wenn sorgfältige Kritiker in ihrem Schicksal etwas
von „Grisettentragik“ wittern. Von der Paviser Grisette
jener entschwundenen Zeiten, für die Murgers „Scènes
de la vie de Rohème“ die klassischen Normalbilder be¬
wahren, hat Christine nichts, und von dem, was man
jetzt in Paris und anderswo vielleicht Grisette nennt,
womöglich noch weniger. Aber eben weil diese Christine
fast noch eher gretchenhaft als grisettenhaaft gedacht ist,
scheint mir zur klaren Veranschaulichung ihres seelischen
Verhältnisseszu Fritz auf Seitedes letzterenetwas zu fehlen.
Die künstlerische Wirkung würde, glaube ich, gewinnen
und vorab der Ausgang überzeugender erscheinen, wenn
in der Charaktermischung des jungen Mannes jene
Spuren Edelmetalls deutlicher hervorträten, welche
das Mädchen verleiteten, ihn für pures Gold zu halten.
Auch für diese Kunst der Charakterzeichnung ist Goethes
Clavigo ein großes Muster. Möglich, daß der Dichter
der „Liebelei“ die — unbegründete — Furcht hatte, durch
eine solche Hervorhebung des tragischen Zuges in Fritz
möchte die in seinem Werke liegende unausgesprochene,
Strafrede an die Gesamtheit der jungen und alten Lebe¬
männer an Deutlichkeit verlieren. Möglich auch, daß
mein Bedenken weniger im Werke als in der hiesigen
Darstellung begründet liegt. Denn allerdings entsprach
die Wiedergabe des Fritz durch Herrn Monnard auch
äußerlich kaum den Absichten des Dichters. Vornehm
und sein — sein bis zur Schwäche — muß Christine's
Geliebter jedenfalls erscheinen; und das verfehlte Herr
Monnard nun leider vollständig. Sein Fritz Lobheimer
erschien weniger geistig müde, als vielmehr physisch ver¬
tatert. Fast noch mehr mißraten war die bis zur
Grenze des Komischen übertriebene Darstellung des
täuschten Gatten durch Herrn Bohnée, von dem wir
Abenden so maliche
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5. Seneenenn
box 10/4
Ts Nachrichten-Burean „Argus“
grosse Rotunde. Eigenes Telephon.
ückerstr. 5. Telephon VII, 4096.
New-York.
Paris.
#gen der Welt und liefert aus denselben
sschnitte über jeden Gegenstand.)
Bonner Zeitung.
9APR 98
eel einfach und
bezeichnens neum: der eine, Theodor, blasirt, kühl,
„verständig“ der andere, Fritz, mit einem letzten unbe¬
stimmten, haltlosen idealistischen „Dusel“, um das Wort
zu gebrauchen; der eine „genießt“ mit Behagen, der an¬
dere mit gelegentlichen Gewissensbissen. Da sind ferner
zwei „Madeln“, eine kleine Modistin Mitzi und ihre
Freundin Christine, die Tochter eines Musikers vom
Josephstädter Theater. Theodor hat eine Liebschaft mit
Mitzi; um seinen Freund aus dem unerquicklichen Ver¬
hältmis zur Frau eines Dritten zu befreien, macht er
ihn mit Mitzis Freundin Christine bekannt. Aber
Christine's Liebe zu Fritz erweist sich von anderer Art,
als man in solchen Verbindungen voraussetzt. Als Fritz
von dem betrogenen Gatten im Duell erschossen worden
ist, entflieht sie aus der väterlichen Wohnung, um ihm
in den Tod zu folgen.
Das Stück behandelt einen peinlichen Stoff und wird
Manche schon allein deshalb peinlich berühren. Es ist
aber in diesem Punkte zum mindesten nicht schlimmer
um das nächstliegende Beispiel nochmals zu
als —
nennen — die Sudermann'schen Dramen, und in der
Behandlung des Stoffes vermeidet es das Anstößige
durchaus, — nicht freilich im Sinne einer empfehlens¬
werten Mädchenlektüre, aber im Sinne der Kunst für
erwachsene und verständige Männer und Frauen. Wenn
ich Sudermann zweimal zur Vergleichung genannt habe,
so ist das nicht so zu nehmen, als ob Schnitzler irgendwie
an Sudermann als „Vorbild“ erinnere. Weit eher weist
das Stück hier und da auf ältere und höherstehende Vor¬
bilder zurück; die beiden jungen Männer z. B. dürften
in ihrer Charakter=Zeichnung, ihrer Gegenüberstellung
und ihrem Verhältnis zu einander noch manchen außer
mir an Goethes Carlos und Clavigo erinnert haben.
Auch der einfache, klare und saubere dramatische Aufbau¬
könnte an das Studium jenes in dieser Hinsicht besten
Goetheschen Dramas oder Lessings denken lassen.
An manchen Stellen — vorab in der Zeichnung Christines
und vielleicht noch mehr ihres Vaters — überrascht
etwas, was man in der modernsten deutschen Dramatik
nur zu selten findet, — nämlich Anmut. Das mag
ebenso wie die gelegentliche Neigung zur Gefühlsseligkeit
ohne allzu störenden Beigeschmack — süddeutsch sein,
beides erinnert aber auch unabweisbar an französische
Vorbilder, die ja dem Wiener überhaupt gut zu liegen
scheinen.
Das Stück hat wie vielleicht jedes Kunstwerk seinen
schwachen Punkt, — seinen locus minoris resistentiae,
wie die Aerzte sagen. Er ist leichter zu empfinden als
zu finden. Wenn ich nicht irre, liegt er irgendwo in
der Zeichnung des Hauptpaares Fritz und Christine.
An sich ist die Charakteristik Christines ja ganz meister¬
lich und klar; so klar, daß es mir schwer wird zu
folgen, wenn sorgfältige Kritiker in ihrem Schicksal etwas
von „Grisettentragik“ wittern. Von der Paviser Grisette
jener entschwundenen Zeiten, für die Murgers „Scènes
de la vie de Rohème“ die klassischen Normalbilder be¬
wahren, hat Christine nichts, und von dem, was man
jetzt in Paris und anderswo vielleicht Grisette nennt,
womöglich noch weniger. Aber eben weil diese Christine
fast noch eher gretchenhaft als grisettenhaaft gedacht ist,
scheint mir zur klaren Veranschaulichung ihres seelischen
Verhältnisseszu Fritz auf Seitedes letzterenetwas zu fehlen.
Die künstlerische Wirkung würde, glaube ich, gewinnen
und vorab der Ausgang überzeugender erscheinen, wenn
in der Charaktermischung des jungen Mannes jene
Spuren Edelmetalls deutlicher hervorträten, welche
das Mädchen verleiteten, ihn für pures Gold zu halten.
Auch für diese Kunst der Charakterzeichnung ist Goethes
Clavigo ein großes Muster. Möglich, daß der Dichter
der „Liebelei“ die — unbegründete — Furcht hatte, durch
eine solche Hervorhebung des tragischen Zuges in Fritz
möchte die in seinem Werke liegende unausgesprochene,
Strafrede an die Gesamtheit der jungen und alten Lebe¬
männer an Deutlichkeit verlieren. Möglich auch, daß
mein Bedenken weniger im Werke als in der hiesigen
Darstellung begründet liegt. Denn allerdings entsprach
die Wiedergabe des Fritz durch Herrn Monnard auch
äußerlich kaum den Absichten des Dichters. Vornehm
und sein — sein bis zur Schwäche — muß Christine's
Geliebter jedenfalls erscheinen; und das verfehlte Herr
Monnard nun leider vollständig. Sein Fritz Lobheimer
erschien weniger geistig müde, als vielmehr physisch ver¬
tatert. Fast noch mehr mißraten war die bis zur
Grenze des Komischen übertriebene Darstellung des
täuschten Gatten durch Herrn Bohnée, von dem wir
Abenden so maliche
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