Liebele
5. L 21
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u
#####. G.#.
Liebelei.
Schauspiel in drei Akten von Artkur Schnitsler.
D
Während der Aufführung von Arthur Schnitzlers „Liebelei“ am hiesigen „Neuen Theater“
sass in meiner Nähe ein reizendes Mädchen oder, wenn es eine Frau wwar, eine
entzückend schöne Frau. Man sah es den schwarzen, leuchtenden Augen an, wie lebhaft
das junge Herz der Dichtung entgegenschlug, wie es so warm und so innig in der Stim¬
mung des Werkes lebte und aufging. Und in den beiden ersten Akten beneidete ich den¬
glücklichen, über Nacht berühmt gewordenen Autor mehr noch um diesen herrlichen
Widerschein seines Werkes als um sein Werk, trotzdem es mich selbst in der tiefsten
Seele ergriff. Als aber der letzte Akt kam und die arme Christine da oben verzweif¬
lungsvoll den Tod des Geliebten betrauert und immer wieder betrauert und so entsetzlich
lange jammert und wehklagt, bis sie selber in den Tod geht, da beneidete ich den Dichter
nur mehr um die Thränen, welche das schöne Wesen neben mir bitterlich weinte.
Auf dem Heimwege hatte ich die grosse Ehre, aus dem Munde einer hiesigen
litterarischen Tagesgrösse kritische Aufklärungen über das vorher gesehene Stück zu
erhalten. Zu meiner Verwunderung vernahm ich, dass dieses Schauspiel überhaupt kein
Schauspiel wäre, sondern höchstens eine willkürliche Zusammenstellung dreier „Kata¬
strophen“, ohne jeden seelischen Konflikt und innerlichen Zusammenhang, ein Konglo¬
merat von sehr viel Stimmung und geschickter Kleinmalerei, aber eben alles andere ener,
nur kein Schauspiel. Die alten Grundsätze des alten Aristoteles wurden mir wieder
einmal aufgetischt, der ehrliche Gustav Freitag wurde citiert und aus Gottschalls Poetik
wurde gepredigt. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich gleichfalls, dass Schnitzler den schön¬
1383
sten Teil seines zweiten Aktes einfach aus Goethes Faust „entlehnt“ hätte, nämlich jene
Scene, wo Faust im Zimmer Gretchens alles so anheimelnd, so wohlbekannt findet. Ich¬
sehe noch jetzt das triumphierende Gesicht meines Kritikers, dieses stolze, durch die
eigene grossartige Entdeckung verklärte Gesicht. Der Weg nach Hause war weit, und
infolgedessen erfuhr ich noch mehr, sellsamerweise Dinge, die mir im Theater gar nicht
aufgefallen waren. So wurde ich z. B. belehrt, dass Frau Frank ihrer tief-leidenschaft
lichen Rolle gar nicht gewachsen war. Das Kalte, Unsympathische ihrer Stimme sei durch
ihre Kurzatmigkeit noch viel störender aufgefallen wie sonst, ähnlich wie bei Herrn Otto,
dessen häufige Unbeholfenheit den übrigen guten Eindruck seines Spieles wieder ver¬
wischte. Wie im Traume ging ich bei all' diesen Auseinandersetzungen neben meinen
Kritiker her und bewunderte stellenweise den grossen Scharfsinn dieses Mannes, der sie
in lauter Berufstreue durch nichts hatte beeinflussen lassen, durch keine Stimmung de
Bühne und keine Regung des eigenen Herzens. Er kam mir manchmal vor wie en
Botaniker, der die Schönheit einer herrlichen Rose dadurch zu ergründen glaubt, dasse
ihre einzelnen Blätter mit hungrigen Fingern auf die geheimsten Bestandteile untersücht
Ich wandelte, wie gesagt, wie im Traume, denn meine Gedanken schweiften stets aufs
neue zu den wunderbaren Erlebnissen des Abends zurück, und dazwischen sahich immer.
wieder das schöne, leidenschaftliche Gesicht neben mir, das beim Tode der armen
Christine so bitterlich weinte.
Endlich war ich zu Hause und sass an meinem Schreibtische, um meinem Auftrag
gemäss Arthur Schnitzlers „Liebelei“ zu besprechen. Aber was sollte ich schreiben:
Mein Freund, der Kritiker, ist ein kluger Kopf, das wusste ich so. gut wie viele andere,
und seine Aussprüche sind von einer geradezu mathematischen Logik. Aber schon der
Gedanke, das kalte Resultat seiner Gehirnthätigkeit auf dieses Schauspiel anzuwenden,
erschien mir wie ein grosses Unrecht gegen den Dichter und gegen das reizende Ge¬
schöpf neben mir, das beim Tode der armen Christine so bitterlich weinte. In diesem
Dilemma überlegte ich lange, lange, bis ich plötzlich statt des Schauspiels die Kritik
kritisierte. Und da kam ich zu der festen Uberzeugung, dass die kalte logische Ver¬
nunft in ihrer ganzen Isoliertheit und ohne Kontakt mit dem Herzen kein Recht hat, ein
poetisches Meisterwerk zu beurteilen, dass in erster Linie das warme, menschliche Em¬
pfinden entscheidet, geläutert durch den Verstand, kurzum, dass man einem Botaniker
keine frischen, lebensfreudigen Rosen überlassen soll, sondern höchstens vergilbte, aus¬
gepresste, zwecklose Blätter. Ja, Schnitzlers Schauspiel ist wie ein ganzer Garten blühen¬
der Blumen, und sind sie auch nicht in die traditionellen Beete gezwängt, so duften sie
doch nicht minder schön wie die schönsten in- und ausländischen Treibhauspflanzen. Hier
nicken in stiller Heimlichkeit die treuesten Veilchen, hier lachen herrlich entfaltet die
freudigsten Rosen, und über den Schwestern schwankt ernst und schweigsam die stolze
Lilie des Todes.
In meiner heutigen Stimmung muss ich es mir versagen, auf den Inhalt des Stückes
1
näher einzugehen. Ich möchte kaum erwännen, dass für mein Empfinden der letzte Akt
etwas gewaltsam gedehnt erscheint, denn ich fürchte mit dieser Ansicht vielleicht ebenso
unrecht zu haben wie mein kritischer Freund mit seiner Gesamtbeurteilung. Was die
Leistungen der Schauspieler und des Regisseurs anbelangt, so wiederhole ich, dass mir
nicht der geringste Fehler auffiel, der nur einen Augenblick die wunderbare Stimmung
des Ganzen zu trüben vermocht hätte. Nach meinem Gefühl passte alles vortrefflich zu¬
sammen, und gerade Frau Frank fesselte mich durch die tiefe Innigkeit, mit der sie ihre
schwierige Rolle bis zum Schlusse darzustellen wusste.
Beim Lesen dieser Zeilen wird mein Freund, der Kritiker, verächtlich mit den
Achseln zucken — ich sehe es deutlich voraus — und wenn gerade ein Gesinnungsgenosse
bei ihm weilt, so wird er ihm diese Blätter hinschleudern mit den Worten: „Lies einmal!
Das soll eine Kritik sein!“ So hat eben jeder seine eigene Anschauung und verteidigt
sie als die rechte. Aber, offen gestanden, tausendmal lieber als diese mathematische,
kalt berechnende Gehirnarbeit ist mir und, ich glaube auch dem Dichter, das ursprüng¬
liche, leidenschaftliche Empfinden, tausendmal lieber sind mir jene Thränen, welche das
schöne Wesen neben mir über den Tod der armen Christine so bitterlich weinte.
Dietrich Eckart.
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Liebelei.
Schauspiel in drei Akten von Artkur Schnitsler.
D
Während der Aufführung von Arthur Schnitzlers „Liebelei“ am hiesigen „Neuen Theater“
sass in meiner Nähe ein reizendes Mädchen oder, wenn es eine Frau wwar, eine
entzückend schöne Frau. Man sah es den schwarzen, leuchtenden Augen an, wie lebhaft
das junge Herz der Dichtung entgegenschlug, wie es so warm und so innig in der Stim¬
mung des Werkes lebte und aufging. Und in den beiden ersten Akten beneidete ich den¬
glücklichen, über Nacht berühmt gewordenen Autor mehr noch um diesen herrlichen
Widerschein seines Werkes als um sein Werk, trotzdem es mich selbst in der tiefsten
Seele ergriff. Als aber der letzte Akt kam und die arme Christine da oben verzweif¬
lungsvoll den Tod des Geliebten betrauert und immer wieder betrauert und so entsetzlich
lange jammert und wehklagt, bis sie selber in den Tod geht, da beneidete ich den Dichter
nur mehr um die Thränen, welche das schöne Wesen neben mir bitterlich weinte.
Auf dem Heimwege hatte ich die grosse Ehre, aus dem Munde einer hiesigen
litterarischen Tagesgrösse kritische Aufklärungen über das vorher gesehene Stück zu
erhalten. Zu meiner Verwunderung vernahm ich, dass dieses Schauspiel überhaupt kein
Schauspiel wäre, sondern höchstens eine willkürliche Zusammenstellung dreier „Kata¬
strophen“, ohne jeden seelischen Konflikt und innerlichen Zusammenhang, ein Konglo¬
merat von sehr viel Stimmung und geschickter Kleinmalerei, aber eben alles andere ener,
nur kein Schauspiel. Die alten Grundsätze des alten Aristoteles wurden mir wieder
einmal aufgetischt, der ehrliche Gustav Freitag wurde citiert und aus Gottschalls Poetik
wurde gepredigt. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich gleichfalls, dass Schnitzler den schön¬
1383
sten Teil seines zweiten Aktes einfach aus Goethes Faust „entlehnt“ hätte, nämlich jene
Scene, wo Faust im Zimmer Gretchens alles so anheimelnd, so wohlbekannt findet. Ich¬
sehe noch jetzt das triumphierende Gesicht meines Kritikers, dieses stolze, durch die
eigene grossartige Entdeckung verklärte Gesicht. Der Weg nach Hause war weit, und
infolgedessen erfuhr ich noch mehr, sellsamerweise Dinge, die mir im Theater gar nicht
aufgefallen waren. So wurde ich z. B. belehrt, dass Frau Frank ihrer tief-leidenschaft
lichen Rolle gar nicht gewachsen war. Das Kalte, Unsympathische ihrer Stimme sei durch
ihre Kurzatmigkeit noch viel störender aufgefallen wie sonst, ähnlich wie bei Herrn Otto,
dessen häufige Unbeholfenheit den übrigen guten Eindruck seines Spieles wieder ver¬
wischte. Wie im Traume ging ich bei all' diesen Auseinandersetzungen neben meinen
Kritiker her und bewunderte stellenweise den grossen Scharfsinn dieses Mannes, der sie
in lauter Berufstreue durch nichts hatte beeinflussen lassen, durch keine Stimmung de
Bühne und keine Regung des eigenen Herzens. Er kam mir manchmal vor wie en
Botaniker, der die Schönheit einer herrlichen Rose dadurch zu ergründen glaubt, dasse
ihre einzelnen Blätter mit hungrigen Fingern auf die geheimsten Bestandteile untersücht
Ich wandelte, wie gesagt, wie im Traume, denn meine Gedanken schweiften stets aufs
neue zu den wunderbaren Erlebnissen des Abends zurück, und dazwischen sahich immer.
wieder das schöne, leidenschaftliche Gesicht neben mir, das beim Tode der armen
Christine so bitterlich weinte.
Endlich war ich zu Hause und sass an meinem Schreibtische, um meinem Auftrag
gemäss Arthur Schnitzlers „Liebelei“ zu besprechen. Aber was sollte ich schreiben:
Mein Freund, der Kritiker, ist ein kluger Kopf, das wusste ich so. gut wie viele andere,
und seine Aussprüche sind von einer geradezu mathematischen Logik. Aber schon der
Gedanke, das kalte Resultat seiner Gehirnthätigkeit auf dieses Schauspiel anzuwenden,
erschien mir wie ein grosses Unrecht gegen den Dichter und gegen das reizende Ge¬
schöpf neben mir, das beim Tode der armen Christine so bitterlich weinte. In diesem
Dilemma überlegte ich lange, lange, bis ich plötzlich statt des Schauspiels die Kritik
kritisierte. Und da kam ich zu der festen Uberzeugung, dass die kalte logische Ver¬
nunft in ihrer ganzen Isoliertheit und ohne Kontakt mit dem Herzen kein Recht hat, ein
poetisches Meisterwerk zu beurteilen, dass in erster Linie das warme, menschliche Em¬
pfinden entscheidet, geläutert durch den Verstand, kurzum, dass man einem Botaniker
keine frischen, lebensfreudigen Rosen überlassen soll, sondern höchstens vergilbte, aus¬
gepresste, zwecklose Blätter. Ja, Schnitzlers Schauspiel ist wie ein ganzer Garten blühen¬
der Blumen, und sind sie auch nicht in die traditionellen Beete gezwängt, so duften sie
doch nicht minder schön wie die schönsten in- und ausländischen Treibhauspflanzen. Hier
nicken in stiller Heimlichkeit die treuesten Veilchen, hier lachen herrlich entfaltet die
freudigsten Rosen, und über den Schwestern schwankt ernst und schweigsam die stolze
Lilie des Todes.
In meiner heutigen Stimmung muss ich es mir versagen, auf den Inhalt des Stückes
1
näher einzugehen. Ich möchte kaum erwännen, dass für mein Empfinden der letzte Akt
etwas gewaltsam gedehnt erscheint, denn ich fürchte mit dieser Ansicht vielleicht ebenso
unrecht zu haben wie mein kritischer Freund mit seiner Gesamtbeurteilung. Was die
Leistungen der Schauspieler und des Regisseurs anbelangt, so wiederhole ich, dass mir
nicht der geringste Fehler auffiel, der nur einen Augenblick die wunderbare Stimmung
des Ganzen zu trüben vermocht hätte. Nach meinem Gefühl passte alles vortrefflich zu¬
sammen, und gerade Frau Frank fesselte mich durch die tiefe Innigkeit, mit der sie ihre
schwierige Rolle bis zum Schlusse darzustellen wusste.
Beim Lesen dieser Zeilen wird mein Freund, der Kritiker, verächtlich mit den
Achseln zucken — ich sehe es deutlich voraus — und wenn gerade ein Gesinnungsgenosse
bei ihm weilt, so wird er ihm diese Blätter hinschleudern mit den Worten: „Lies einmal!
Das soll eine Kritik sein!“ So hat eben jeder seine eigene Anschauung und verteidigt
sie als die rechte. Aber, offen gestanden, tausendmal lieber als diese mathematische,
kalt berechnende Gehirnarbeit ist mir und, ich glaube auch dem Dichter, das ursprüng¬
liche, leidenschaftliche Empfinden, tausendmal lieber sind mir jene Thränen, welche das
schöne Wesen neben mir über den Tod der armen Christine so bitterlich weinte.
Dietrich Eckart.