II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 402

Liebele
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Diereret.
Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler.
Aufführung im Stadt=Theater zu Königsberg, den
28. September 1896.
Ueber die beifällige Aufnahme des äußerst interessanten
Stückes schreibt die dortige Presse wie folgt:
„Ostpreußische Zeitung“.
Einen starken Erfolg erzielte Schnitzler's dreiaktiges Schauspiel
„Liebelei“. Die Schriftsteller lieben es jetzt, mit einem Quentchen
Handlung zufrieden zu sein, sie legen nur noch Werth auf Stimmung
und auf die genaueste Schilderung der Seelenzustände und der
Empfindungen, die in der Menschenorust wohnen. In „Liebelei“
handelt es sich um zwei Menschenleben und doch ist der Gang der Hand¬
lung dürftig und einfach. (Folgt Handlung.) Es ist eine Geschichte,
die man aus dem Polizeiberichte der großstädtischen Zeitungen beinahe
allläglich herauslesen kann. Aber der Dichter hat mit scharferBe¬
obachtung und feiner Empfindungskraft ein fesselndes, gedankenreiches
Schauspiel geschaffen. Der Stoff ist heikel und delikat, ist aber, fab¬
gesehen von dem sehr pikanten, die „freie Liebe“ allzu eindringlich
schildernden ersten Akte mit äußerster Decenz und mit sichtlichem Ernste
behandelt, so daß wohl nur verdorbenen oder befangenen Gemüthern
der Gedanke kommen könnte, daß das Stück unsittliche Tendenzen habe.
Doch er hat es gewollt und wir werden, in der Hoffnung, ihn bald bei
der Lösing edlerer Aufgaben zu finden, nicht mit ihm rechten, sondern
freudig in den allgemeinen Beifall mit einstimmen, weil ein Poct, der
etwas zu sagen hat, zu uns redet.
„Königsberger Allgem. Zeitung:
Wie sich neben der duftberauschenden Königin der Blumen draußen
am Wege, wild und Wanderergunst erbettelnd, die Heckenrose entfaltet,
so blüht neben dem Purpurkelche wahrer Liebe die blasse Blüthe selbst¬
jene Eintagsliebe, die oft Monate, Jahre über¬
süchtiger Neigung —
dauert, aber doch jeden Tag welken und verwesen kann. Die Sänger
der hohen Minne, vom Giganten Shakespeare bis zum Zwergengeschlecht
der Auch=Dichter, sind nicht zu zählen; nun hat aber auch jene minder¬
werthe Gefühlsblume, die „Liebelei“ in Arthur Schnitzler ihren
Dichter gefunden. Sein Drama ist kein gedankenstrotzenden, kein sensa¬
tionelles, kein „spannendes“ Stück, aber es bestrickt durch seine schlichte
Wahrheit und die Starte der Empfindung, inn der die Persönlichkeit
seines Schöpfers zu uns spricht. Er ist ein Quellenfinder, der den unter
der Alltäglichkeit rauschenden Strom lebendiger Poesie ans Licht zu
zaubern und auf seine Mühle zu leiten weiß; er verwandelt das Ge¬
wöhnliche und Selbstverständliche in feinen Stimmungsgehalt, und wo
seine Kunst nichts zu stellen und zu arrangiren findet, läßt er den
rührendsten und bewegendsten Naturlaut für sich selber sprechen. Un¬
gemein glücklich, prickelnd und anregend setzt gleich der erste Akt ein,
der auch an innerem Werthe und dramatischer Lebendigkeit entschieden
der erste ist. Dieses famose Nachtmal in der Garconwohnung, bei dem
das Menu Nebensache und die Poussade und der „Hamur“ die Haupt¬
sache sind, ist eine der köstlichsten und flottesten Zeichnungen, die uns
die dramatische Kleinmalerei der modernen Schule gebracht hat. Unser
Interesse ist so mit eins im Sturme gewonnen. (Folgt Inhalt.)
Schnitzler ist ein geborener Poet, wenn auch die Welt, die er beherrscht,
nur ein Theil der Welt ist, in der man sich unter der Führung eines
Musageten nicht langweilt. Sein Stück — eine der besten Gaben des
letzten Theaterjahres — ist die Frucht einer ernsten und modernen Kunst
und ist hier wie überall trotz der Bedenken, die unser der zeitgenössischen
Litteratur ziemlich abgewandtes Publikum gegen den Stoff hegen mußte,
von durchschlagendem Erfolge begleitet worden.
„Königsberger Zeitung“:
Ich habe bei Schnitzler's Drama fortwährend an Gretchen,
Luise, Thekla denken müssen und bin gern bereit, mich von der Klassiker¬
zunft steinigen zu lassen, zu deren einseitigen und ausschließlichen
Genossen ich, meinen Wissens, mich zu zählen nie die Ehre gehabt habe.
Vielmehr habe ich es der litterarischen Orthodoxie stets zum Vorwurf
gemacht, daß sie Motive, Verhältnisse und Empfindungen, deren Dar¬
stellung sie in der gehobenen klassischen Dichtung bewundert, bei den
Neueren mit einer gewissen Hühnerblindheit zu mißkennen und zu ver¬
ketzern pflegt. Jede Zeit hat ihren eigenen Inhalt und muß danach
streben, ihn in das goldene Gefäß der Poesie zu fassen, wenn sie nicht
in der Schabelone verdorren will. Der direkt zum Herzen aller Mit¬
welt führende Weg des bürgerlichen Dramas, den Schiller (schon nicht
ohne bemerkenswerthe Bahnbrecher) in „Kabale und Liebe“ eingeschlagen
hat und den Hebel in seiner „Maria Magdalene“ fortsetzte, ist erst von
der jüngsten Dramatikergeneration mit zielbewußter Energie wieder be¬
treten werden, und wenn den Jungen auch der Vorwurf der Regel¬
losigkeit und Excentricität, ja, der Wüstheit nicht erspart werden kann,
so bleibi ihnen doch das unanfechtbare Verdienst, durch kühne Griffe in
die tragischen Abgründe des modernen Lebens die Stoffwelt unserer
Bühne fruchtbar bereichert zu haben. Und eine solche „moderne“
Tragödie, modern, wie „Kabale und Liebe“ vor hundert Jahren war,
ist auch Arthur Schnitzler's Dichtung, die Tragödie der Liebelei, die
unversehends zum Ernst einer großen Herzensliebe emporwächst und
ihre Priesterin in den Flammen des eigenen Gefühls verzehrt. Und
dieses leidenschaftlich bewegte Schicksalsbild zeigt sich uns in dem Rahmen
eines korrekten und haltbaren Theaterstücks, welches sich bei aller Ein¬
fachheit durch klare und folgerichtige Entwicklung auszeichnet und keinen
naturalistischen Schrullen Raum gewährt. Trefflich ist das Milieu des
wohlsituirten Garconlebens „mit Damen“ im ersten Akt kolorirt, über
dessen burschikoser, aber nicht anstößiger Gemüthlichkeit schon der Wolken¬
slor böser Ahnungen niederhängt, bis endlich ein scharfer Klingelzug
das Erscheinen des „fremden Herrn“ den Schleier jäh zerreißt. Der
zweite Akt führt uns in die Idylle der Musikerwohnung, zu dem Vater,
der die Tochter so zärtlich schützen möchte und doch weiß, daß die kalte
Tugend allein nicht das Glück des Lebens ausmacht. Die äußere Be¬
wegung der Schnitzler'schen Aktion isi allerdings gering. Die Handlung
vollzieht sich fast ganz innerlich und giebt zu „starken“ Scenen keinen
Anlaß. Die Erfindung scheint eine blaße Abschrift des Lebens zu sein,
dennoch enthüllt sich uns in ihren schlichten Zügen die ordnende Hand
eines Künstlers. Ebenso wird auch die Sprache von dem ungesuchten
Ton des alltäglichen Lebens beherrscht, der sich allerdings in allen ent¬
scheidenden Momenten zu den Naturlauten echtester Empfindung auf¬
schwingt. Und über dem Ganzen weht der weiche Hauch des Wiener¬
thums, des goldenen Leichtsinns und der unendlichen Liebessehnsucht,
die an der schönen blauen Donau leichter als anderswo das Herz zum
Herzen führen. — Der Erfolg des feingetönten Lebensbildes dokumen¬
tirte sich in der gespannten Antheilnahme und in dem lauten Beifall
des Publikums.
„Genel al=Anzeiger“:
Ein zarter, edier Kern in rauher Schale —, das war die Aufführung
der „Liebelei“, die am Sonnabend zum ersten Male über unsere
Bretter ging. Es ist ein dramatisches Stimmungsbild oder, wenn man
will, eine Novelle in dramatischer Form, und der Titel charakterisirt den
ganzen Inhalt. Der in Wien lebende Verfasser giebt einen Ausschnitt
aus dem Wiener Leben in feiner Detailmalerei, und jede einzelne Seene
zeugt von tiefem Empfiuden. Alles ist Stimmung, Schilderung. Der
Liebe Lust, der Liebe Leid führt uns der Verfasser vor Augen. Er
zeigt uns in von Seene zu Seene steigender Spannung, wie eine
bluhende Blume geknickt wird, wie ein leidenschaftliches und mit aller
Hingebung liebendes Mädchenherz gebrochen wird; und jede Scene von
Anfang bis zum Ende ist aus dem Leben gegriffen. So endet die
Liebelei. Es ist eine einfache Geschichte, wie sie in jeder Großstadt zu
finden ist, aber wie Schnitzler den Stoff bühnengerecht bis in dir
kleinsten Details ausgemalt hat, ist ein Meisterstück, und die Direktion
verdient für diese Erwerbung vollste Anerkennung.
Der Herr Director.
Lustspiel in drei Akten von A. Bisson und Carré.
Deutsch von Ferd. Groß.
Aufführung im Residenz=Theater zu Hannover, den
29. September 1896.
Ueber den großen durchschlagenden Erfolg schreiben die dortigen
Blätter wie folgt:
„Hannoversches Tageblatt“:
Am vergangenen Dienstag, den 29. September, begann Friedrich
Mitterwurzer sein Gastspiel. Dasselbe begann in dem Lustspiel „Der
Herr Direktor“ von Allexander Visson und Ferdinand Carré, über¬
setzt von Ferdinand Groß. Das Stück ist mehr Schwank als Lustspiel,
und wer die modernen französischen Schwänke kennt, der weiß auch, daß
es darin nicht immer so zugeht, wie unsere deutschen Ansichten über
Moral und Wohlanständigkeit es wünschenswerth erscheinen lassen. In
dem „Herr Direktor“ ist die Frivolität wenigstens in Geist und Witz
eingewickelt, und darum ist das Stück trotz seines speziell französischen
haut-gout als Bühnenwerk an sich interessant und auch amusant. Es
charakterisirt sich seinem Grundgedanken nach als eine Satire auf das
Protectionswesen und die Auswüchse der Bureaukratie in der französischen
Beamtenschaft. Der Hergang ist kurz folgender. (Folgt Inhalt.) Daß
aus dieser Zusammenbringung eines leicht entzündlichen Männerherzens
und einer jungen kokett agienden Frau Scenen von mindestens pikanter
Wirkung entstehen mußten, läßt bei der Begabung der Franzosen für
dieses Gebiet keinen Zweifel. Sehr lustig sind die Persiflirungen bureau¬
kratischer Zustände. Um die Aufführung erwarb sich das größte Ver¬
dienst Friedrich Mitterwurzer, der den Titelhelden so fein beobachtet und
1 dabei doch so lustig gab, daß man dem flatterhaften Lebemann nicht