5. Liebe
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„Schlesische Morgenzeitung“:
gezeichnet, keine kraß geschilderten Ausnahmeerscheinungen, sondern Ver¬
treter einer leider nur zu breiten Schicht in der großen Masse des
Lobetheater. Als zweite Novität wurde am Sonnabend „Liebelei“,
Volkes. Die Wiener Lokalfärbung kommt mit ihrem gemüthlichen Tone
Schauspiel in drei Akten von A. Schnitzler, gegeben, welches zwar
dem Ganzen sehr zu statten. Das zahlreich erschienene Publikum
nicht reich an Abwechselung oder Verwickelungen ist, dafür aber eine
nahm auch diese zweite Novität der neuen Direktion bei¬
tiefernste und ergreifende Tendenz verfolgt.
fällig auf.
„Schlesische Zeitung":
Breslauer=Zeitung“:
Der Verfasser der am Sonnabend in Scene gegangenen zweiten
Schnitzler gehört zu der Klasse derer, die wie Hartleben (mit
Novität der Lobebühne, des dreiaktigen Schauspiels „Liebelei“
dem er die meisten Berührungspunkte haben dürfte), Hirschfeld, Reu¬
Dr. Arthur Schnitzler, seinem eigentlichen Berufe nach praktischer Arzt
ling u. A. noch nicht gänzlich der moralisirenden Tendenz abgesagt
in Wien, hat einen Stoff aus dem vollen modernen Leben heraus¬
haben, mit welcher bis zum Auftauchen der jüngstdeutschen Richtung die
gegriffen. Es ist die Dramatisirung einer leider ziemlich alltäglichen
nordländischen Dichter dominirten. Er ist eine vorwiegend sentimentale
Geschichte, die ebenso oder ganz ähnlich in den Lokalnachrichten oder
Natur, aber viel zu sehr Künstler und mit viel zu gutem Erfolge bei
Polizeiberichten einer Großstadt nur zu oft gemeldet wird. Beweist
Maupassant in die Schule gegangen. Für Mängel werden wir aber
Schnitzler in zder Darstellung dieser drei Charaktere, des Geigers,
reichlich durch ungleich wichtigere Vorzüge entschädigt. Das kleine Werk
seiner Tochter und des ungetreuen Liebhabers, eine hervorragende Be¬
bekundet durchweg den echten Dichter, eine eigene künstlerische
gabung zu scharfer, tiefgehender Beobachtung der im Strome des Lebens
Persönlichkeit. Ob man Anlehnungen und Aehnlichkeiten mit anderen
auftauchenden Erscheinungen, der Menschen wie der die Entwickelung
Dichtern und Dichtwerken in ihm findet, will dabei wenig besagen.
und die Geschicke derselben wesentlich beeinflussenden und bestimmenden
Bezeichnend ist, daß die „Liebelei“ in derselben Weise denselben Stoff,
Verhältnisse, so liefert er in der Schilderung der Nebenpersonen auch
wenn auch mit anderem Schluß und anderen Schlüssen, behandelt wie
erfreuliche Proben eines glücklichen Humors, obwohl diesem bei der Un¬
Reulings „Gerechte Welt“. Aber dabei sind die zwei Werke von der
erquicklichkeit des ganzen Themas nur wenig Gelegenheit zu ausgiebtger
denkbar größten Verschiedenheit. Das Wort duo quum idem faciunt,
Entfaltung gewährt wird. Der lustige Freund Lobheimer's, Theodor Kaiser,
non est idem bewährt sich eben auch beim Naturalismus trotz allem
ist ebenfalls ein Lebemann, der es mit Sitte und Moral nicht genau
Gerede von Photographentechnik. Mag man dem Naturalismus nach¬
nimmt, doch er ist von harmloserem Schlage. Er hat auch eine Liebelei
sagen was man will — und ich bin der letzte, der ihn blindlings als
und zwar mit einer kleinen drolligen Modistin, aber er macht dieser keine
eine Gabe des Himmels hinnehmen möchte — so wird man ihm doch
Hoffnung auf Verlöbniß und Heirath, und die fesche Mizi, der vorzüglich
das Eine nicht absprechen können, daß er uns in einer Zeit, als die
getroffene Typus der in der Wahl der Mittel zur Befriedigung ihrer
deutsche Literatur ganz zu versimpeln und zu vertroddeln drohte, eine
jugendlichen Lebenskust nicht gerade wählerischen „Confektioneuse“, nimmt
Schule gebracht hat, deren Jünger wie Schnitzler das volle Menschen¬
die Geschichte auch nicht tragisch. Sie amüfiren sich heute köstlich zu¬
leben zu packen, es in vollblütg lebenswahren Verkörperungen und
sammen, und morgen werden sie sich vielleicht auf Nimmerwiedersehen
gehüllt in eine bannende Stimmungsatmosphäre von überzeugender Wahr¬
trennen. Der Autor hat sich nicht verleiten lassen, in Hauptmann's
heit auf der Bühne wiederzugeben verstehen. Was für bedeutende Künstler
Fußtapfen zu treten und das Thema zu einem Tendenzdrama in
besitzen wir heute, die nicht aus oder durch den Naturalismus hervor¬
socialistischem Sinne auszubeuten, sondern die Verschuldung auf beiden
gegangen sind. Das Schnitzler'sche Werk macht von Anfang an bis
Seiten gerecht vertheilt. Auch hat er es mit anerkennenswerthem Geschick
auf den erörterten Schlußdialog überall den Eindruck des Erlebten,
verstanden, die Klippen zu umgehen, die ihn bei der Behandlung dieses
Geschauten, es enthält Figuren von strotzender Lebensfülle, wie die Mizi,
heiklen Stoffes auf dem Schlüpfrigen und Gemeinen leicht hätten stranden
den Theodor, und in der harmlos übermüthigen Souperscene in der
lassen und dem gesund empfindenden Zuschauer das Werk hätten wider¬
Junggesellenwohnung einen überaus liebenswürdigen Humer. In der
wärtig machen können. Er weiß vielmehr für die einzelnen Gestalten,
einfachen und gewöhnlichen, aber bedeutungsvollen Handlung des
so wenig wir ihr Thun und Treiben. gutzuheißen und uns für die freie
Dramas hat Schnitzler nach dem Vorbilde Maupassants aus dem
Liebe zu erwärmen vermggen, unser Interesse, ja für die vom Schicksale
Gegensatze naiver Hingebung und sich gleichsam naiv als selbstverständlich
schwer Getroffenen sogar unser Mitgefühl zu erwecken Alle Charaktere¬
gebärdender frivoler Selbstsucht an vielen Stellen eine immanent ver¬
sind menschlich wahr, ohne naturalistische Uebertreibung nach dem Leben
haltene tragische Ironie von erschütternder Wirkung erzielt.
In Vorbereitung am Königlichen Schauspielhaus in Berlin:
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„Schlesische Morgenzeitung“:
gezeichnet, keine kraß geschilderten Ausnahmeerscheinungen, sondern Ver¬
treter einer leider nur zu breiten Schicht in der großen Masse des
Lobetheater. Als zweite Novität wurde am Sonnabend „Liebelei“,
Volkes. Die Wiener Lokalfärbung kommt mit ihrem gemüthlichen Tone
Schauspiel in drei Akten von A. Schnitzler, gegeben, welches zwar
dem Ganzen sehr zu statten. Das zahlreich erschienene Publikum
nicht reich an Abwechselung oder Verwickelungen ist, dafür aber eine
nahm auch diese zweite Novität der neuen Direktion bei¬
tiefernste und ergreifende Tendenz verfolgt.
fällig auf.
„Schlesische Zeitung":
Breslauer=Zeitung“:
Der Verfasser der am Sonnabend in Scene gegangenen zweiten
Schnitzler gehört zu der Klasse derer, die wie Hartleben (mit
Novität der Lobebühne, des dreiaktigen Schauspiels „Liebelei“
dem er die meisten Berührungspunkte haben dürfte), Hirschfeld, Reu¬
Dr. Arthur Schnitzler, seinem eigentlichen Berufe nach praktischer Arzt
ling u. A. noch nicht gänzlich der moralisirenden Tendenz abgesagt
in Wien, hat einen Stoff aus dem vollen modernen Leben heraus¬
haben, mit welcher bis zum Auftauchen der jüngstdeutschen Richtung die
gegriffen. Es ist die Dramatisirung einer leider ziemlich alltäglichen
nordländischen Dichter dominirten. Er ist eine vorwiegend sentimentale
Geschichte, die ebenso oder ganz ähnlich in den Lokalnachrichten oder
Natur, aber viel zu sehr Künstler und mit viel zu gutem Erfolge bei
Polizeiberichten einer Großstadt nur zu oft gemeldet wird. Beweist
Maupassant in die Schule gegangen. Für Mängel werden wir aber
Schnitzler in zder Darstellung dieser drei Charaktere, des Geigers,
reichlich durch ungleich wichtigere Vorzüge entschädigt. Das kleine Werk
seiner Tochter und des ungetreuen Liebhabers, eine hervorragende Be¬
bekundet durchweg den echten Dichter, eine eigene künstlerische
gabung zu scharfer, tiefgehender Beobachtung der im Strome des Lebens
Persönlichkeit. Ob man Anlehnungen und Aehnlichkeiten mit anderen
auftauchenden Erscheinungen, der Menschen wie der die Entwickelung
Dichtern und Dichtwerken in ihm findet, will dabei wenig besagen.
und die Geschicke derselben wesentlich beeinflussenden und bestimmenden
Bezeichnend ist, daß die „Liebelei“ in derselben Weise denselben Stoff,
Verhältnisse, so liefert er in der Schilderung der Nebenpersonen auch
wenn auch mit anderem Schluß und anderen Schlüssen, behandelt wie
erfreuliche Proben eines glücklichen Humors, obwohl diesem bei der Un¬
Reulings „Gerechte Welt“. Aber dabei sind die zwei Werke von der
erquicklichkeit des ganzen Themas nur wenig Gelegenheit zu ausgiebtger
denkbar größten Verschiedenheit. Das Wort duo quum idem faciunt,
Entfaltung gewährt wird. Der lustige Freund Lobheimer's, Theodor Kaiser,
non est idem bewährt sich eben auch beim Naturalismus trotz allem
ist ebenfalls ein Lebemann, der es mit Sitte und Moral nicht genau
Gerede von Photographentechnik. Mag man dem Naturalismus nach¬
nimmt, doch er ist von harmloserem Schlage. Er hat auch eine Liebelei
sagen was man will — und ich bin der letzte, der ihn blindlings als
und zwar mit einer kleinen drolligen Modistin, aber er macht dieser keine
eine Gabe des Himmels hinnehmen möchte — so wird man ihm doch
Hoffnung auf Verlöbniß und Heirath, und die fesche Mizi, der vorzüglich
das Eine nicht absprechen können, daß er uns in einer Zeit, als die
getroffene Typus der in der Wahl der Mittel zur Befriedigung ihrer
deutsche Literatur ganz zu versimpeln und zu vertroddeln drohte, eine
jugendlichen Lebenskust nicht gerade wählerischen „Confektioneuse“, nimmt
Schule gebracht hat, deren Jünger wie Schnitzler das volle Menschen¬
die Geschichte auch nicht tragisch. Sie amüfiren sich heute köstlich zu¬
leben zu packen, es in vollblütg lebenswahren Verkörperungen und
sammen, und morgen werden sie sich vielleicht auf Nimmerwiedersehen
gehüllt in eine bannende Stimmungsatmosphäre von überzeugender Wahr¬
trennen. Der Autor hat sich nicht verleiten lassen, in Hauptmann's
heit auf der Bühne wiederzugeben verstehen. Was für bedeutende Künstler
Fußtapfen zu treten und das Thema zu einem Tendenzdrama in
besitzen wir heute, die nicht aus oder durch den Naturalismus hervor¬
socialistischem Sinne auszubeuten, sondern die Verschuldung auf beiden
gegangen sind. Das Schnitzler'sche Werk macht von Anfang an bis
Seiten gerecht vertheilt. Auch hat er es mit anerkennenswerthem Geschick
auf den erörterten Schlußdialog überall den Eindruck des Erlebten,
verstanden, die Klippen zu umgehen, die ihn bei der Behandlung dieses
Geschauten, es enthält Figuren von strotzender Lebensfülle, wie die Mizi,
heiklen Stoffes auf dem Schlüpfrigen und Gemeinen leicht hätten stranden
den Theodor, und in der harmlos übermüthigen Souperscene in der
lassen und dem gesund empfindenden Zuschauer das Werk hätten wider¬
Junggesellenwohnung einen überaus liebenswürdigen Humer. In der
wärtig machen können. Er weiß vielmehr für die einzelnen Gestalten,
einfachen und gewöhnlichen, aber bedeutungsvollen Handlung des
so wenig wir ihr Thun und Treiben. gutzuheißen und uns für die freie
Dramas hat Schnitzler nach dem Vorbilde Maupassants aus dem
Liebe zu erwärmen vermggen, unser Interesse, ja für die vom Schicksale
Gegensatze naiver Hingebung und sich gleichsam naiv als selbstverständlich
schwer Getroffenen sogar unser Mitgefühl zu erwecken Alle Charaktere¬
gebärdender frivoler Selbstsucht an vielen Stellen eine immanent ver¬
sind menschlich wahr, ohne naturalistische Uebertreibung nach dem Leben
haltene tragische Ironie von erschütternder Wirkung erzielt.
In Vorbereitung am Königlichen Schauspielhaus in Berlin: