Liebe
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des letzten Aktes, der einen hochdramatischen
Verzweiflungsausbruch bringt. Die Auf¬
gabe ist aber gerade in ihrer Schlichtheit
und Einfachheit um so schwieriger, als der
Autor die Zeichnung zwar sehr stimmungs¬
voll, aber sehr diskret gehalten hat.
Auch an Lobeserhebungen über die Wie¬
dergabe der Rolle durch Agnes Sorma las¬
sen sich nicht viel Worte machen. Sie spielt
die Gestalt, wie sie ist, mit schlichter Innig¬
keit und zu Herzen sprechender Hingebung,
natürlich und innerlich. Man muß verstan¬
den haben, das in seiner schmucklosen Ein¬
fachheit auf sich wirken zu lassen, um die
schauspielerische Bedeutung des Spiels zu
erfassen.
Die Sorma der Ibsen'schen Frauenge¬
stalt bekommen wir nur gegen Schluß des
Schnitzler'schen Dramas wieder zu sehen.
„Christine“ erfährt dort erst, was der Zu¬
schauer längst weiß, — daß ihre Ahnungen
sie nicht betrogen haben. Ihr Geliebter
liegt schon seit längerer Zeit in den Fesseln
der Reize eines anderen Weibes, einer ver¬
heiratheten Frau. Das Verhältniß kommt
zur Kenntniß des Gatten und ein Duell
ist die Folge, in welchem „Fritz“ den Tod
findet. „Christine“ erhält die Bestätigung
ihrer Befürchtungen erst mit der Todes¬
nachricht zugleich. Der darauffolgende, ihr
ganzes Innere aufwühlende Verzweiflungs¬
ausbruch, vorbereitet durch den gesteigerten
Druck der Ahnungsfülle, wird von Agnes
Sorma ergreifend gespielt. Die aufsteigende
schmerzliche Bitterkeit, die herztödtenden
Qualen des Bewußtseins, daß der Geliebte
um einer Anderen Willen sich hat tödten
lassen, daß er auch nicht ein Liebeswort für
sie mehr gehabl, daß sie die Letzte war, wel¬
che man von dem Vorgefallenen benachrich¬
tigt, weil sie ja „nur“ seine Geliebte war,
das Alles kommt zu erschütterndem
Ausdruck, erst im bitteren Wehmuthszuge
um die schmerzbewegten Lippen, dann in ge¬
steigerter, selbstquälerischer Ironie und
schließlich in elementarer Verzweiflung. —
Starker, anhaltender Beifall folgte dieser
eindrucksvollen Scene, in die Frau Sorma
ihr bestes schauspielerisches Können hinein¬
gelegt.
Auf den Werth der Arthur Schnitzler'¬
schen Dichtung kommen wir am Sonntag
ausführlicher zu sprechen. Um die gestrige
Darstellung desselben machten sich auch die
Damen Braga und Pietsch, die Herren
Reusch, Strobl. Link und Bira verdient.
„Liebelei“ wird heute und morgen Abend
wiederholt. Samstag in der Matinee:
„Nora“ zu regulären Abendpreisen.
Marie Geistinger's Wiederauftreten.
„Und scheint die Sonne noch so schön,
sie muß doch einmal untergehen,“ sang
Marie Geistinger vor zwölf Jahren in
„Therese Krones“. Sie hat damals wohl
eingesehen, daß das auch auf die glänzend¬
sten Theatersonnen Bezug hat, denn
sie zog sich bald darauf in weiser Selbster¬
kenntniß von der Bühne zurück. Warum
hat Frau Geistinger nicht die andere Wahr¬
heit beherzigt, daß — ungleich unserem
Tagesgestirn — Theatersonnen nicht am
Horizonte untertauchen, um später wieder
aufzugehen, sondern daß sie drunten zu
bleiben haben, wenn sie sich nicht dem
Spotte preisgeben wollen? Nachdem man
den Brettern einmal Valet gesagt, sie über
ein Jahrzehnt später im Urgroßmutter¬
Alter wieder zu betreten, das ist wirklich
sozusagen: „nicht schön“. Und das hat
Frau Geistinger gestern Abend mit der
Eröffnung ihres Gastspiels am „Germa¬
nia=Theater“ gethan. Damit soll nicht ge¬
sagt sein, daß die gestrige Vorstellung eine
„Failure“ war. Im Gegentheil, an Beifall
und Ovationen hat es wahrlich nicht ge¬
fehlt. Rampenlicht, Schminke und sonsti¬
ger Aufputz, sowie ein Zusammenraffen
alles dessen, was Frau Geistinger noch an
Routine= Reminiscenzen besitzt, haben wie¬
der einmal gezeigt, was sie Alles zu ver¬
hüllen vermögen. Aber das schärfer hin¬
blickende Auge sah an dem unsicheren Gang,
an den schwerfälligen Gesten, an dem dünn 1
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des letzten Aktes, der einen hochdramatischen
Verzweiflungsausbruch bringt. Die Auf¬
gabe ist aber gerade in ihrer Schlichtheit
und Einfachheit um so schwieriger, als der
Autor die Zeichnung zwar sehr stimmungs¬
voll, aber sehr diskret gehalten hat.
Auch an Lobeserhebungen über die Wie¬
dergabe der Rolle durch Agnes Sorma las¬
sen sich nicht viel Worte machen. Sie spielt
die Gestalt, wie sie ist, mit schlichter Innig¬
keit und zu Herzen sprechender Hingebung,
natürlich und innerlich. Man muß verstan¬
den haben, das in seiner schmucklosen Ein¬
fachheit auf sich wirken zu lassen, um die
schauspielerische Bedeutung des Spiels zu
erfassen.
Die Sorma der Ibsen'schen Frauenge¬
stalt bekommen wir nur gegen Schluß des
Schnitzler'schen Dramas wieder zu sehen.
„Christine“ erfährt dort erst, was der Zu¬
schauer längst weiß, — daß ihre Ahnungen
sie nicht betrogen haben. Ihr Geliebter
liegt schon seit längerer Zeit in den Fesseln
der Reize eines anderen Weibes, einer ver¬
heiratheten Frau. Das Verhältniß kommt
zur Kenntniß des Gatten und ein Duell
ist die Folge, in welchem „Fritz“ den Tod
findet. „Christine“ erhält die Bestätigung
ihrer Befürchtungen erst mit der Todes¬
nachricht zugleich. Der darauffolgende, ihr
ganzes Innere aufwühlende Verzweiflungs¬
ausbruch, vorbereitet durch den gesteigerten
Druck der Ahnungsfülle, wird von Agnes
Sorma ergreifend gespielt. Die aufsteigende
schmerzliche Bitterkeit, die herztödtenden
Qualen des Bewußtseins, daß der Geliebte
um einer Anderen Willen sich hat tödten
lassen, daß er auch nicht ein Liebeswort für
sie mehr gehabl, daß sie die Letzte war, wel¬
che man von dem Vorgefallenen benachrich¬
tigt, weil sie ja „nur“ seine Geliebte war,
das Alles kommt zu erschütterndem
Ausdruck, erst im bitteren Wehmuthszuge
um die schmerzbewegten Lippen, dann in ge¬
steigerter, selbstquälerischer Ironie und
schließlich in elementarer Verzweiflung. —
Starker, anhaltender Beifall folgte dieser
eindrucksvollen Scene, in die Frau Sorma
ihr bestes schauspielerisches Können hinein¬
gelegt.
Auf den Werth der Arthur Schnitzler'¬
schen Dichtung kommen wir am Sonntag
ausführlicher zu sprechen. Um die gestrige
Darstellung desselben machten sich auch die
Damen Braga und Pietsch, die Herren
Reusch, Strobl. Link und Bira verdient.
„Liebelei“ wird heute und morgen Abend
wiederholt. Samstag in der Matinee:
„Nora“ zu regulären Abendpreisen.
Marie Geistinger's Wiederauftreten.
„Und scheint die Sonne noch so schön,
sie muß doch einmal untergehen,“ sang
Marie Geistinger vor zwölf Jahren in
„Therese Krones“. Sie hat damals wohl
eingesehen, daß das auch auf die glänzend¬
sten Theatersonnen Bezug hat, denn
sie zog sich bald darauf in weiser Selbster¬
kenntniß von der Bühne zurück. Warum
hat Frau Geistinger nicht die andere Wahr¬
heit beherzigt, daß — ungleich unserem
Tagesgestirn — Theatersonnen nicht am
Horizonte untertauchen, um später wieder
aufzugehen, sondern daß sie drunten zu
bleiben haben, wenn sie sich nicht dem
Spotte preisgeben wollen? Nachdem man
den Brettern einmal Valet gesagt, sie über
ein Jahrzehnt später im Urgroßmutter¬
Alter wieder zu betreten, das ist wirklich
sozusagen: „nicht schön“. Und das hat
Frau Geistinger gestern Abend mit der
Eröffnung ihres Gastspiels am „Germa¬
nia=Theater“ gethan. Damit soll nicht ge¬
sagt sein, daß die gestrige Vorstellung eine
„Failure“ war. Im Gegentheil, an Beifall
und Ovationen hat es wahrlich nicht ge¬
fehlt. Rampenlicht, Schminke und sonsti¬
ger Aufputz, sowie ein Zusammenraffen
alles dessen, was Frau Geistinger noch an
Routine= Reminiscenzen besitzt, haben wie¬
der einmal gezeigt, was sie Alles zu ver¬
hüllen vermögen. Aber das schärfer hin¬
blickende Auge sah an dem unsicheren Gang,
an den schwerfälligen Gesten, an dem dünn 1