II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 440

Liebel
5.„ 1 box 10/5
Murger und Musset literaturfähig gemacht, Seene mit zanberischer Gewalt. Di
aus dem Quartier Latin in Wiener Boden
ist eine große Künstlerin. Das Sch
verpflanzt. In einem kleinen Einalier, der
Mizi Schlager milderte Fräuleir
in der 'chon erwähnten Sammlung Wiener
durch ihren prächtigen Hum
Lebensskizzen in Dialogform „Anatol“
ihre liebenswürdige Natürlichkeit.
enthalten ist, schildert Schnitzler diesen Ty¬
Link gab den alten Musikus in sein
pus so anmuthig wie rührend: „Die An¬
sten Vatertönen. Dem in' Sen
dere“, sagt Anatol zu einer Mondaine, „ist
hineinwachsenden Fritz Lobheimer
einfach ein süßes Mädel. Ihre Wohnung
Frische und Natürlichkeit
ist ein kleines, dämmriges Zimmer. Eine
lart
Reusch, der jeden falschen)
Hängelampe mit einem Schirm Nom Den
von dermies, sehr zu stattes, als
ster aus, wenn es Abend wird, die Aussicht
Kaiser war die wienerische Art
auf die im Dunkel versinkenden Dächer und
Strobl in ihrem richtigen Fahrwa
Rauchfänge. Dort bin ich zuweilen auch
Fräulein Pietsch war als
glücklich. Sie ist nicht bezaubernd schön,
Strumpfwirkerin gut am Platze.
sie ist nicht besonders elegant und sie ist
scenirung des Schnitzler'schen Dra
durchaus nicht geistreich, aber sie hat die
weiche Anmuth eines Frühlingsabends und
gefüllte Haus spendete der Frau
den Geist eines Mädchens, das zu lieben
rauschenden Beifall, aber auch die
weiß.“ „Das ist hübsch, sehr hübsch,“ sagt
Mitwirkenden gingen verdienterma
die Dame aus der Gesellschaft. „Ja, es ist
leer aus.
herzlich und wahr,“ erwidert der junge
„Liebelei“ wird heute und
Wiener. In dieser jenseits von Gut und
Abend wiederholt, in der morgigen
Böse liegenden Wiener Vorstadt= und „sü¬
giebt Agnes Sorma nochmals ih¬
ßen Mädel“=Sphäre bewegt sich auch „Lie¬
gleichliche „Nora“.
belei“. Es fehlt auch nicht an der Mon¬
daine, sie bleibt hinter den Koulissen, aber
Germania Theater.
sie ist doch das Schicksal der Geigerstochter.
Marie Geistinger.
Der einfache Vorgang ist schnell erzählt:
Das schier Unglaubliche, gester
Der in behaglichen Verhälnissen lebende
ist es Wahrheit geworden. Mari
Studiosus Fritz Lobheimer (Herr Reusch)
ger, in der ersten Hälfte der achtzi
und sein Kamerad Theodor Kaiser (Herr
der mit Recht verehrte Liebling des
Strobl) unterhalten eine Liebelei mit zwei
Theaterpublikums von New York
Mädchen aus dem Volke, Christine Wei¬
mehr als zwölfjähriger Abwesenhe
ring, der Tochter eines Theater=Geigers
gekehrt, nicht an die Stätte ihrer
(Agnes Sorma) und Mizi Schlager
Triumphe, wo jetzt russisch¬
(Fräulein Braga). Die letztere frisch, fesch
Kunst verzapft wird, sondern als
und frech, ein rechtes „Weaner Madl“ vom
deutschen Volkstheater an der achte
Grund, die ohne alles moralische Bedenken
dessen erfolgreiche dieswinterliche
gerießt, was sich ihr auf ihren lockeren Le¬
mit ihrem Gastspiel den glänzend
benswegen darbietet, die erstere auch ganz
finden wird.
Wienerin, aber ernsterer Art, voll Jugend¬
Marie Geistinger ist wieder
wärme und Lebensdrang, eine starke, ge¬
die Alte und doch auch nicht meh
sunde Mädchenseele, die das heiße Verlan¬
Alte. Wer erwartet hatte, ni
gen hat, aus dem Hinterhause des Herzens
aux restes der Marie Geist
ihres Fritz in's Vorderhaus zu avanciren,
ehedem zu sehen, ist gestern Aben
wo die Liebe wohnt, die nicht vor der Welt
nehmster Weise enttäuscht wordet
die Augen niederzuschlagen braucht. Aber
schonungsvoll auch die Zeit an der
Fritz will sich, wie der obencitirte Anatol,
Künstlerin vorüber gegangen ist,
in dieser Süße=Mädel=Atmosphäre nur
deren einst überschäumende künstle
von den Anstrengungen und Verstimmun¬
staltungskraft nachgelassen, und
gen seines Verhältnisses mit einer verhei¬
lische Technik muß heute Manch¬
ratheten Dame aus der Gesellschaft erho¬
was früher ursprüngliche Darbie
len. Und in die mit fester Künstlerhand
Doch mißverstehe man nicht.
gezeichnete Ausgelassenheit der fröhlichen
rese Krones“ ist noch immer ein
Stunde, welche die Studenten und ihre
Liebchen in der Junggesellenwohnung Lob¬
ter Lebensfülle, von ächtem,
heimer's feiern, eine bis in den kleinsten
Künstlerleichtsinn durchström
Zug urwienerische Scene, tritt der beleidigte
da und dort macht sich ein leicht
Gatte (Herr Bira). Er fordert den Ga¬
ten im Festhalten an den chara
lan seiner Frau zum Zweikampf heraus.
Zügen des leichtlebigen Wiene#
Die Mädchen, welche weder die Ursache
bluts bemerkbar. Dies war ges
noch den Ausgang dieser späten Visite ah¬
namentlich gegen Ende der Vor
nen, nehmen Abschied und Fritz bleibt
merkbar, die sich übrigens durc
in trüber, ahnungsschwerer Stimmung
reichen Unterbrechungen seiter
zurück. Und in diesen wenigen Stunden,
gefeierten Gast mit stürmisch
die ihm noch bleiben, bevor er die Schuld
kommnung begrüßenden Publi
mit seinem jungen Leben zahlen soll, em¬
durch die dringend verlangte W
pfindet er, welch' starkes und warmes Ge¬
einzelner Gesangsvorträge, wel
fühl das einfache Mädchen aus dem Volke
langen Frau Geistinger in lieb
an ihn verschwendet hat. Zum ersten und
ster Weise Gewährung gab, fa
letzten Male sucht er — im zweiten Akte —

bühr in die Länge zog.
Christine in ihrem Vorstadtstübchen auf.
Die durchschlagende Wirkung
Das Milieu, in welchem die junge Wiene¬
gen Abends erzielte die Sängeri
rin aufgewachsen ist, ist von Schnitzler mit
halb wehmüthig, halb übermüt
vielen feinen Strichen und Strichelchen
schöne Jugendzeit". Aber auch
liebevoll gezeichnet. Wir begegnen dem
gesungenen Einlagen, besonders
Vater des Mädchens (Herr Link), einem die
löcker'sche „So a Bissel Lieb,
Dinge dieser Welt philosophisch mit Gleich¬
Treu“ schlugen mächtig durch,
muth betrachtenden alten Herrn, der dem
wieder die von der Künstlerin
Lebensdurst der Jugend das Wort redet
porirte Strophe, in der sie il
und es sich nicht vergeben kann, daß er einst
New Yorkern versichert, daß ihr
eine Schwester „vor aller Reu, aber auch
viel Lieb und viel Treu und nich
vor allem Glück“ bewahrt hat; und einer
geschwätzigen Nachbarin. Und wie der
)•
erfüllt sei.
Dichter hier die Liebe des armen Mädchens
Der trotz des herzlichen Empf
in zarten Halb= und Vierteltönen, in wort¬
fangs fehlende Rapport zwischen
losen Zärtlichkeiten, in unzähligen kleinen
und dem Publikum stellte sich er
ergreifenden Zügen sprechen läßt, wie dem
sem Couplet ein, um von da an
großen dummen Jungen, der den sicheren
wärmerer zu werden. Sicherlic
Tod vor Augen sieht, in der stillen, engum¬
der Umstand beigetragen, daß
friedeten Atmosphäre dieses kleinen Mäd¬
stinger sich auf der Bühne von
chenzimmers eine bessere Liebe als es die
zen Anzahl früherer lieber
ist, für welche er in den Tod geht, in's Ge¬
müth wächst, diese wehmüthige Abendson= und Kolleginnen umringt