Liebel
5.1 box 10/7
Lessing=Theater. 1#
Es ist schade, daß die Direktion des Lessing¬
Theaters nicht schonend Frl. Adele Sandrock ge¬
sagt hat, was ihr gestern Abend das Publikum in
eisiger Küble sagen mußte. Dum tacent, clamant!
Nach den beiden ersten Akten der „Liebelei“ rührte
sich keine Hand im Parkett; nur eine geradezu
lächerlich aufdringliche Klaque sandte geräuschvolle
Zeichen ihres fraßigen Wohlgefallens vom hohen
Olymp herab. Adele Sandrock ist bosentlich eine
zu hellhörige Künstlerin, um den Werth solchen
Erfolges zu verkennen, auch wenn sie keine Freunde
haben sollte, die in den Pausen im Foyer ihre Ohren
offen hielten.
Nicht nur, daß die große Tragödin der Burg
durchaus nicht das Bild der Christine wiedergab, sie
störte sogar direkt dieses prächtige Ensemble. Frl.
Clemens als Schlager=Mizi war von geradezu ent¬
zückender Frische, und der trockene Bummelwitz des:
Herrn Jarno feierte Triumphe. Aber was soll in
diesem famos abgetönten Milien diese Christine?
Diese reife Frau mit dem hohen, königlichen Wuchs, den
breiten Hüften, dem steinernen, unjugendlichen Ge¬
sicht, auf dem die Krone der kindlichen Defregger¬
Zöpfe wie eine Parodie aussieht? Man gewinnt
den peinlichen Eindruck, daß diese so sanft thuende
Christine mit einem einzigen Recken ihrer Walküren¬
glieder ein Dutzend solcher Wiener Anatols wider
die Wand wirft. Jede Zierlichkeit und Jutimität,
kurz alles worin gerade die Stärke dieses
liebenswürdigen Schnitzlerschen Stückes voll
Humor und Wehmuth besteht, geht verloren,
wenn statt dem lieben, süßen Wiener Mädel
eine überreife Brunbilde in den Rahmen dieses
Bildchens tritt, statt der unfertigen kleinen
Schwärmerin eine fertige Frau, die mühsam den
gebieterischen Ton ihrer vollen Altstimme zur
bittenden Zärtlichkeit herabstimmt, und die doch weder
im Aussehen, noch im Auftreten den keuschen!
Reiz einer süßen Jugend heucheln kann, über den
ihre Kunst gerade nie verfügt hat. Daß sie in allen
Fehlern immer eine große Schauspielerin bleibt,
sicher und klug, das ist gewiß; aber sie
würde ebenso gut und mit derselben Sicherheit und —
demselben Erfolg etwa das Käthchen von Heilbronn
spielen können, oder den Georg im Götz; denn ihre
eigentliche Individualität, durch die und in der sie
groß ist, kann sie hier wie dort gleich wenig heraus¬
lassen. So bleibt also für die Zuschauer die üble
Wirkung eines Mummenschanzes übrig, den eine
sehr geniale Schauspielerin aus unbegreiflicher Lanne
sich mit dem Publikum und sich selbst gestatten zu
dürfen glauht.
Der „Liebelei“, der ihr realistischer Schmerzens¬
ausbruch im dritten Akt zuletzt noch etwas
wie einen matten Erfolg gerettet hatte,
ließ die Künstlerin das „Abschieds - Souper“
folgen. Der Widerspruch, der nach Schluß dieses
einaktigen, nicht üblen Wiener Witzes ohne
Handlung mit dem Beifall kämpfte, galt wohl zur
Hälfte dem Stückchen, das nicht zu den stolzesten
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Lessing=Theater. 1#
Es ist schade, daß die Direktion des Lessing¬
Theaters nicht schonend Frl. Adele Sandrock ge¬
sagt hat, was ihr gestern Abend das Publikum in
eisiger Küble sagen mußte. Dum tacent, clamant!
Nach den beiden ersten Akten der „Liebelei“ rührte
sich keine Hand im Parkett; nur eine geradezu
lächerlich aufdringliche Klaque sandte geräuschvolle
Zeichen ihres fraßigen Wohlgefallens vom hohen
Olymp herab. Adele Sandrock ist bosentlich eine
zu hellhörige Künstlerin, um den Werth solchen
Erfolges zu verkennen, auch wenn sie keine Freunde
haben sollte, die in den Pausen im Foyer ihre Ohren
offen hielten.
Nicht nur, daß die große Tragödin der Burg
durchaus nicht das Bild der Christine wiedergab, sie
störte sogar direkt dieses prächtige Ensemble. Frl.
Clemens als Schlager=Mizi war von geradezu ent¬
zückender Frische, und der trockene Bummelwitz des:
Herrn Jarno feierte Triumphe. Aber was soll in
diesem famos abgetönten Milien diese Christine?
Diese reife Frau mit dem hohen, königlichen Wuchs, den
breiten Hüften, dem steinernen, unjugendlichen Ge¬
sicht, auf dem die Krone der kindlichen Defregger¬
Zöpfe wie eine Parodie aussieht? Man gewinnt
den peinlichen Eindruck, daß diese so sanft thuende
Christine mit einem einzigen Recken ihrer Walküren¬
glieder ein Dutzend solcher Wiener Anatols wider
die Wand wirft. Jede Zierlichkeit und Jutimität,
kurz alles worin gerade die Stärke dieses
liebenswürdigen Schnitzlerschen Stückes voll
Humor und Wehmuth besteht, geht verloren,
wenn statt dem lieben, süßen Wiener Mädel
eine überreife Brunbilde in den Rahmen dieses
Bildchens tritt, statt der unfertigen kleinen
Schwärmerin eine fertige Frau, die mühsam den
gebieterischen Ton ihrer vollen Altstimme zur
bittenden Zärtlichkeit herabstimmt, und die doch weder
im Aussehen, noch im Auftreten den keuschen!
Reiz einer süßen Jugend heucheln kann, über den
ihre Kunst gerade nie verfügt hat. Daß sie in allen
Fehlern immer eine große Schauspielerin bleibt,
sicher und klug, das ist gewiß; aber sie
würde ebenso gut und mit derselben Sicherheit und —
demselben Erfolg etwa das Käthchen von Heilbronn
spielen können, oder den Georg im Götz; denn ihre
eigentliche Individualität, durch die und in der sie
groß ist, kann sie hier wie dort gleich wenig heraus¬
lassen. So bleibt also für die Zuschauer die üble
Wirkung eines Mummenschanzes übrig, den eine
sehr geniale Schauspielerin aus unbegreiflicher Lanne
sich mit dem Publikum und sich selbst gestatten zu
dürfen glauht.
Der „Liebelei“, der ihr realistischer Schmerzens¬
ausbruch im dritten Akt zuletzt noch etwas
wie einen matten Erfolg gerettet hatte,
ließ die Künstlerin das „Abschieds - Souper“
folgen. Der Widerspruch, der nach Schluß dieses
einaktigen, nicht üblen Wiener Witzes ohne
Handlung mit dem Beifall kämpfte, galt wohl zur
Hälfte dem Stückchen, das nicht zu den stolzesten