II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 514

Liebele
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Lessing=Theater. ##
Es ist schade, daß die Direktion des Lessing¬
Theaters nicht schonend Frl. Adele Sandrock ge¬
sagt hat, was ihr #igern Abend das Publikum in
eisiger Küble sagen mußte. Dum tacent, clamant!
Nach den beiden ersten Akten der „Liebelei“ rührte
sich keine Hand im Parkett; nur eine geradezu
lächerlich aufdringliche Klaque sandte geräuschvolle
Zeichen ihres spaßigen Wohlgefallens vom hoben
Olymp herab. Adele Sandrock ist hoffentlich eine
zu hellhörige Künstlerin, um den Werth solchen
Erfolges zu verkennen, auch wenn sie keine Freunde
haben sollte, die in den Pausen im Foyer ihre Ohren
offen hielten.
Nicht nur, daß die große Tragödin der Burg
durchaus nicht das Bild der Christine wiedergab, sie
störte sogar direkt dieses prächtige Ensemble. Frl.
Clemens als Schlager=Mizi war von geradezu ent¬
zückender Frische, und der trockene Bummelwitz des
Herrn Jarno feierte Triumphe. Aber was soll in
diesem famos abgekönten Milien diese Christine?
Diese eife Frau mit dem hohen, königlichen Wuchs, den
breiten Hüften, dem steinernen, unjugendlichen Ge¬
sicht, auf dem die Krone der kindlichen Defregger¬
Zöpfe wie eine Parodie aussieht? Man gewinnt
den peinlichen Eindruck, daß diese so sanft thuende
Christine mit einem einzigen Recken ihrer Walküren¬
glieder ein Dutzend solcher Wiener Anatols wider
die Wand wirft. Jede Zierlichkeit und Jutimität,
kurz alles, worin gerade die Stärke dieses
vonl
Schnitzlerschen Stückes
liebenswürdigen
Humor und Wehmuth besteht, geht verloren,
süßen Wiener Mädel
wenn statt dem lieben,
eine überreife Brunhilde in den Rahmen dieses
Bildchens tritt, statt der unfertigen kleinen
Schwärmerin eine fertige Frau, die mühsam den
gebieterischen Ton ihrer vollen Altstimme zur
bittenden Zärtlichkeit herabstimmt, und die doch weder
im Aussehen, noch im Auftreten den keuschen
Reiz einer süßen Jugend heucheln kann, über den
ihre Kunst gerade nie verfügt hat. Daß sie in allen
Fehlern immer eine große Schauspielerin bleibt,
sicher und klug, das ist gewiß; aber sie
würde ebenso gut und mit derselben Sicherheit und —
demselben Erfolg etwa das Käthchen von Heilbronn
spielen können, oder den Georg im Götz; denn ihre
eigentliche Individualität, durch die und in der sie
groß ist, kann sie hier wie dort gleich wenig heraus¬
lassen. So bleibt also für die Zuschauer die üble
Wirkung eines Mummenschanzes übrig, den eine
sehr gemiale Schauspielerin aus nabegreiflicher Lanne
sich mit dem Publikum und sich selbst gestatten zu
dürfen glauht.
Der „Liebelei“ der ihr realistischer Schmerzens¬
ausbruch im dritten Akt zuletzt noch etwas
einen matten Erfolg gerettet hatte.
wie
ließ die Künstlerin das „Abschieds=Souper“
folgen. Der Widerspruch, der nach Schluß dieses
einaktigen, nicht üblen Wiener Witzes ohne
Handlung mit dem Beifall kämpfte, galt wohl zur
Hälfte dem Stückchen, das nicht zu den stolzesten
Kindern der Schnitzlerschen Muse gehört. Es kam
Frl. Sandrock wohl darauf an, durch den Gegenjatz zu
wirken, der in den Rollen der Christine im ersten
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und der Annie im zweiten Stück liegt.
mußte theilweise schon deshalb mißlingen, uei
niemand im Hause ihre Christine ganz ernst ge¬
nommen hatte. Die mit allen Schönheitsmittelchen
aufgedonnerte Balletteuse des zweiten Stückes
gelang ihr weil besser. Freilich übetrieb sie mehr,
als die lustige Scene erfordert. Diese Krkotte mit
den gefärbten Haaren und dem gefärbten Gesicht
hat doch reichlich lange mit Herren der Gesellschaft
1 — wenn auch nicht gerade coram publico — verkehrt,
um zu wissen, daß man die Anstern nicht auf eine
laute, unappetitliche Art zu schlürfen
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pflegt. Deraitige Damen haben in Wahr¬
heit gerade ein prächtiges Imitationstalent und
Aupassungsvermögen, und nur in einzelnen Mo¬
menten des Affekts, oder des Unbewachtseins
bricht dann das Bedürfniß durch, diese mühsam
affektirte Wohlanständigkeit einmal gründlich über
den Haufen zu werfen. Der samose Anatol des
Herrn Jarno wurde durch das zwar wirkungsvolle,
aber viel zu stark aufgetrigene Spiel der beruhmten
Wienerin einfach unmöglich. Für einen echten
Anatol wäre eben das erste Souper mit dieser,
Annie bereits ganz bestimmt das „Abschieds¬
souper“ gewesen.
Zum Schluß noch eine Frage: Hat die Direktion
des Lessing=Theaters gar keine berathende Stimme
bei Auswahl der Stücke? Warum wirkt sie nicht
in Güte dahin, daß Frl. Sandrock nicht in Rollen
auftritt, die — das muß die knappste Probe zeigen
ihren wohlverdienten, starkbegründeten Ruhm
gefährden? Warum tritt sie nicht in Rollen auf,
die ihrem eminenten Talent wirklich liegen, damit
viele Zuschauende sich ehrlich ihrer Kunst freuen und
viele Ansübende von ihr lernen können? Ich sah
gestern verschiedene jugendliche Angehörige anderer
Berliner Bühnen im Parkett. Auf ihren erstannt
lächelnden Gesichtern lag die Frage: das also ist die
Sandrock?
Möge die Künstlerin bald selbst antworten mit
einer ihrer Glanzleistungen: Nein, Ihr Voreiligen,
R. P.
das war die Sandrock nicht!