II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 526

Liebelei
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5. Lanna
Seite 17.
Bohemia Nr. 174.
„Uiberraschung zu merken, daß der weibliche Thil ihm
mit handfester Energie und cynischer Heiterkeit zuvor¬
Theater.
gekommen ist. Die Heldin, die als Lebedame den
*.* Deutsches Volkstheater (Adele Sand¬
Lebemann weitaus übertrumpft, ist eine Tänzerin, die
rock in „Liebelei" [und „Abschiedssouper").
sich jenseits aller Empfindsamkeit auslebt und mit
In diesen beiden Stücken Schnitzler's, in der vor¬
dem Humor eines weiblichen Falstaff =hrenAngen
trefflichen Tragödie des „kleinen Mädchens“ und in
blicksneigungen fröhnt. Die Laune, die die Sandrock
der überaus witzigen Posse der genial angehauchten
in die an Genialität grenzende Unerschrockenheit der
Dirnenkeckheit, zeigte Adele Sandrock eine Kraft
Eigenliebe und in das triumphirende Behagen der
der Charakteristik, wie sie selbst bei bedeutenden Schau¬
seelenlosen Natur hineinlegt, gehört zum Köstlichsten,
spielerinen äußerst selten anzutreffen ist. In der einen
das wir auf dem Gebiete der Charakterkomik gesehen
der beiden Rollen schien sie ihr äußeres Wesen, in der
haben. In der Erscheinung, im Auftreten, im Ge¬
anderen ein gewisse Schwere der Innerlichkeit, die
bahren, im derben Kameradenton liegt ein Gefühl
sonst durch ihren Ton hindurchgeht, zu verleugnen.
des Uiberalleshinausseins, dem man eine gewisse Art
Als Christine in „Liebelei“ — in einer Rolle, die so
heiterer Bewunderung nicht versagen kann. Und wenn
viel Gretchen= und Herohaftes auf den Boden des
diese Virtuosin des Egoismus erst mit einer unnach¬
„Wiener Grundes“ überträgt, bot sie selbst in der Er¬
ahmlichen Genußfreudigkeit zu essen und zu trinken
scheinung einen anderen Typus als sonst; das Heroi¬
beginnt, wenn sie zwischen dem gierigen Schlürfen
sche ihrer Gestalt trat zu Gunsten einer entwickelten
der Austern und dem herzhaften Genuß des Bordeaux
Weiblichkeit von gutmüthigem Eindrucke zurück und
mit auskostendem Behagen den Wandel ihrer Her¬
das Antlitz zeigte anstatt der geheimnisvollen Runen¬
zensneigungen bekennt, mitten im Geständniß ihrer
schrift, die man sonst darin zu lesen glaubt. den Aus¬
neuen Leldenschaft in ein sauftes Schläfchen verfällt
druck schlichten und treuherzigen Wesens. Geistig
und zuletzt im kecksten Zanktone den Liebhaber ab¬
setzte da Adele Sandrock ihren Ton herab, um in
trumpft, weil er nicht genug Takt besaß, gleich ihr
einer Art demüthiger Einfalt, in einem Gemische von
die brutale Untreue zu verschweigen, schweben alle
gemüthlicher Anhänglichkeit und träumerischer Sinn“
kecken Geister der Satire über diesem drastischen
lichkeit, das zum Leiden bestimmte, naiv weibliche
Bilde naiver Entartung, das die Sandrock aus den
Naturell erst rührend, dann ergreifend hervorzukehren.
fein gezogenen Conturen Schnitzlers herausgestaltet.
Der edlen Klangfarbe ihres weichen Tons war da
Das Ganze ist trotz seiner Derbheit eine künstlerische
alles Energische abgestreift, dem Bkicke alle unheim¬
Delicatesse, ein eigenartiger Genuß für Feinschmecker
lich drohende Kraft genommen. Die große Frau war
der Beobachtung. Neben der Künstlerin, der über¬
wirklich ein „kleines Mädchen“ in des Wortes rühren¬
aus stürmisch gedankt wurde, wirkten in „Liebelei“
der und sympathischer Bedeutung, eines jener Mäd¬
die heimischen Kräfte des Volkstheaters verdienstlich
chen=Kinder, die unbewußt in ein Schicksal hinein¬
mit. Herr Bolten deutete die Schwäche des leicht¬
gerathen und sich in zitternder Freude und Unglücks¬
sinnigen empfindsamen Helden gut an, Herr Sachs
ahnung verzehren. Die Seligkeit kurzer Glücks¬
war trefflich in der Gestalt des in sich einigen Hu¬
momente wurde nur hingehaucht, das Wort klang
moristen, Fräulein Schrott gab als Mizi Schlager
liebenswürdig scheu, unbewußt mißtrauisch, und der
die richtigen Linien der Zeichnung, nur in einer Ver¬
Blick erinnerte an die Erzählungen vom verfolgten
stärkung, die das Bild ins allzu Triviale hinüberspielen
Reh, in dessen Auge die bange wehrlose Furcht wie
läßt. Auch Herr Krämer, der das nachdenklich
ein Vorwurf wirken soll. Diese Stimmung trug die
stille Wesen und das weiche Gemüth des alten Mu¬
Sandrock als Ahnung eines sensitiven, gemüthlich
sikanten gnt vermittelte, Frau Laska, die den Ton
tief angelegten Wesens schon in die Studentenorgie
der geschwätzigen Gemeinheit gut wienerisch färbte,
hinein, um sie dann reiner und tiefer, mit einer merk¬
würdigen Kraft des unbewußt Unheimlichen in der und Herr Montor als unheimlicher fremder Herr
[irafen das Wefentliche. Im „Abschiedssouper“ hatte
großen Liebesscene des zweiten Actes anklingen zu
Herr Montor, der den Anatol in einer Schnitzler¬
lassen und sie endlich zum Schlusse zu einem ergreifen¬
maske spielte, mit Beruf die zweite der dominirenden
den Ausdruck hilfloser Enttäuschung emporzusteigern.
A. 8.
Stimmen.
Dieses Hereinbrechen der lange vorbereiteten tra¬
gischen Krisis hatte einen ganz merkwürdigen
Charakter. Zugleich mit der höchsten Verzweiflung
Theater-, Musik- und Kunstnachrichten.
offenbarte sich die wehrlose Schwäche, die hilflose
* Gedächtnißfeier für Johann Strauß.
Unselbständigkeit. Der Geist, der von einer einzigen
Die heutige Trauerfeier wird durch die Maurer'sche
Vorstellung ausgefüllt gewesen, kann es nicht fassen,
Trauermusik von Mozart eröffnet, welche unmittelbar
daß er zugleich mit dem Geliebten den Glauben an
die Liebe, zugleich mit der Gegenwart auch die Erin¬
zum Prolog hinüberleitet, der mit der Apotheose ab¬
nerung verlieren soll. Auf den ersten Schreck folgt
schließt. Das Publicum wird ersucht, um jede Stö¬
ein stockendes Fragen,kein ängstlich forschendes Blicken,
rung dieses feierlichen Actes hintanzuhalten. rechtzeitig
die Plätze einzunehmen. Der Trauerfeier folgt sodann
ein vergebliches Bemühen, das Entweichende festzu¬
halten, ein kleinlauter, fast nur hingehauchter Schauer
„Die Fledermaus“ mit Annie Dierckens und Willi
vor der Leere des Abgrunds, der stärker als das
Thaller: In der Zwischenpause werden ldie Strau߬
Toben des Affectes an die Herznerven greift. Keine
schen Walzer „An der schönen blauen Donau“ und
„Geschichten aus dem Wiener Wald“ gespielt.
Frage, daß hier die Sandrock ihre Auffassung con¬
sequent auf die Spitze treibt, und in dem Bilde der
Helene Odilon. Eine der pikantesten schau¬
untergehenden, liebenswürdigen Schwäche, deren ganze
spielerischen Erscheinungen Wiens, die Zugkraft des
Schuld in Anhänglichkeit und Hingebung besteht,
Wiener Volkstheaters, wird am 1. Juli im neuen
etwas Unübertreffliches leistet. Dee tosende Beifall
deutschen Theater ein kurzes Gastspiel eröffnen. Die
entsprach auch dieser merkwürdigen, ganz eigenthümlich
Künstlerin tritt zum ersten Male in Maurice Don¬
gefärbten Gefühlsoffenbarung. Aber ein Bedenken
nays „Die Verliebten“ (Les amants) auf und bringt
läßt sich nicht unterdrücken; indem die Sandrock
im Verlaufe ihres Gastspiels Hermann Bahr's „Der
jeden Tropfen Energie aus der Seele des Mädchens
ausscheidet und den letzten Affect ganz auf die leise Star“.
*. Willi Thaller schließt in dieser Woche sein
Tonart der verlassenen Schwäche stimmt, gestaltet sie
Uspiel ur. das dem Publicum eine Reibe so ver¬

K
25. Juni 1899.

Den Abonnenten bleibt dal Bezugsrecht heute und
morgen gewährt.
Rosa Fasser, unsere sentimentale Liebha¬
berin, eines der beliebtesten und geschätztesten Mit¬
glieder unserer Bühne, verläßt mit Ablauf dieses
Monats ihr hiesiges Engagement, um ihr künstlerisches
Wirken in ihrer Heimatstadt Wien fortzusetzen, nach¬
dem sie sieben Jahre hier in erster Stellung thätig
gewesen. Nach einem erfolgreichen Debut als Emilia
Galotti, Klärchen und Gertrud („Graf Waldemar“)
trat Frl. Fasser ihr Engagement bei uns am 28. Aug.
1892 als Marie in „Götz von Berlichingen“ an.
Außer in den genannten Rollen hat sie im classischen
Stück auch mit ihrer Maria Stuart, Kriemhild,
Clara (Maria Magdalena), Recha, im Gesellschafts¬
stück im „Goldenen Buch“, „Wohlthäter der Mensch¬
heit", „Der Andere“ „Hans Fourchambault“, „Fal¬
lissement", „Journalisten“, „Lolos Vater“, „Stützen
der Gesellschaft", „Welt, in der man sich langweilt",
„Moderne Jugend“, in volksthümlichen Rollen wie
in „Liebelei", „Hand und Herz", „Bartel Turaser“,
„Fuhrmann Henschel" u. s. w. u. s. w. große Erfolge
erzielt und beim Publicum wie bei der Kritik unge¬
theilte Anerkennung gefunden. Eine für das Ensemble
besonders schätzenswerthe Eigenschaft bewährte sie
wiederholt dadurch, daß sie geradezu in letzter Stunde
große Rollen für erkrankte Colleginen übernahm.
Da das Repertoire während des Gastspiels Thaller
es nicht ermöglicht, für das letzte Auftreten der Künst¬
lerin eine Rolle zu wählen, die ihre Eigenart beson¬
ders hervortreten läßt, so wird sie sich in der Rolle
der Fee Cheristane im „Verschwender“ vom Prager
Publicum verabschieden, die ihr das letzte Wort des
Abends und des Abschieds gestattet.
Spielplan vom 25. Juni bis 3. Juli.
Neues deutsches Theater: Sonntag, den 25.
Juni (Susp.) Gedenkfeier für Johann Strauß.
Prolog und Trauermusik. Gastdarstellung von Annie
Dierkens und Willn Thaller. Die Fledermaus.
Montag, den 26. Juni. (205—I.) Gastdarstellung
von Willy Thäller. Mam'zelle Nitouche. — Diens¬
tag, den 27. Juni (206—II.) Gastdarstellung von
Willy Thaller. Die Hochzeit des Reservisten. — Mitt¬
woch, den 28. Juni. (207.—III.) Gastdarstellung von
Willy Thalle Der Opernball. — Donnerstag, den
29. Juni. (Susp.) Vorletzte Gastdarstellung von
Willy Thaller. Der Verschwender. Im 2. Act großes
Concert unter Mitwirkung von Alfred Grünfeld. —
Freitag, den 30. Juni (208—IV.) Abschieds=Gastdar¬
stellung von Willy Thaller. Eine tolle Nacht. —
Samstag, den 1. Juli. (209—I.) 1. Gastdar¬
stellung von Helene Odilon. Zum 1. Male: Die
Verliebten. Komödie in 5 Acten v. Maurice Donnah.
Sonntag, den 2. Juli. (Susp.) 2. Gastdarstellung
von Helene Odilon. Zum 1. Male: Der Star.
Wiener Stück in 4 Acten von Hermann Bahr.
Montag, den 3. Juli. (210—II.) 3. Gastdarstellung
von Helene Odilon. Die Verliebten.
* Vom deutschen Volkstheater. Adele
Sandrock tritt heute zum letzten Male, und zwar
als Deborah in Mosenthals gleichnamigem Volks¬
schauspiel auf. Die heutige Vorsiellung beginnt um
sechs Uhr.
— Von fremden Bühnen. Das Schlier¬
seer Bauerntheater hat bekanntlich nicht nur in
ganz Deutschland sondern auch in Amerika schon mit
bestem Erfolg gastirt. Für nächstes Jahr will es sich
aber, und das ist gewiß das größte Wagniß, nach
Paris wenden, wo es während der Ausstellungszeit
ein mehrere Wochen umfassendes Gastspiel absolviren
Ernst von Wildenbruch hat soeben
wird.
ein neues Trauerspiel in vier Aufzügen „Die Tochter
des Erasmus“ beendet, das sofort im Manuscript
me?