II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 752

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stand, gehört einer merkwürdigen Uebergangsperiode an: Noch
persönlichen Wucht, wie sie der älteren Schule eignete, vereinigt.
hat Ibsen, der von der Geschichte zur Gegenwart den Weg findet,
Er war schen als Just in einer Wiederholung der „Minna von
sich nicht auf sich selbst zurückgezogen, nicht den Schwerpunkt in
Barnhelm“ vor's Publikum getreten; aber da fehlte ihm der
der eigenen Natur gefunden — noch ist ihm nicht das Innen¬
plebejisch=brutale Zug, der an diesem köstlichen Kraft= und Ge¬
leben der Menschen das Wichtigste; er interessiert sich noch für
fühlsmenschen unentbehrlich ist, und so lernte man mehr allge¬
Politik, für das kleinstädtische Treiben der Liberalen und Kon¬
meine schauspielerische Vorzüge als das treffliche Bemühen des
servativen in seiner Heimat und betrachtet es doch schon mit einer
Charakteristikers kennen. Als Kurfürst war er ganz in seinem
satirischen Ueberlegenheit, die von höherer Zinne auf die Par¬
Element: die abgeschlossene, in sich ruhende Hoheit, die Selbst¬
teien hinabblickt. In der Natürlichkeit der Darstellung glaubt
beherrschung, durch die die innere Arbeit des Geistes und des
er schon Großes erreicht zu haben, wenn er den Monolog und
Gemüts hindurchblitzt, die eherne Entschlußkraft, hinter der die
die Apartes ausschaltet; dabei stecki er noch stark in der Si¬
Liebenswürdigkeit wie Sonnenglanz über zusammengeballten
tuationskomik, in den konstruktiven Scherzen Holbergs und des
Wolken emportaucht — all das war so sicher und natürlich ge¬
jüngeren französischen und deutschen Lustspiels. Sprache und
bracht, daß die Zuschauer wie die Menschen auf der Szene mit
Szenenform erhalten erst später aus den inneren Problemen
Spannung an den Blicken, Mienen und Worten des geborenen
heraus ihre imponierende Selbständigkeit, ihre bedeutsame
Herrschers hingen. An diesen Kurfürsten reichte freilich auch im
Knappheit. Aber in der Charakteristik der Hauptfiguren bricht
künstlerischen Sinne kaum eine zweite Gestalt des Darstellungs¬
schon das Genie hervor: der rücksichtslose Strever, der schlaue
bildes heran — etwa ausgenommen die Sandrock, die ohne Auf¬
Konservative, der ihn durch kluge Schein=Nachgiebigkeit über¬
dringlichkeit die jäh wechselnden Affekte in der großen Szene der
trumpft, der kurzdenkliche Aristokrat von wahrhaft vornehmer Ge¬
Kurfürstin mit aller Kraft der Tragödin brachte. Kayßlers etwas
sinnung sind lebendige Gestalten, die in das nach alter Mode
schroffes und schweres Naturell paßt nicht für den Prinzen von
lustig abgezirkelte Spiel hineingestellt sind. Das Stück konnte
Homburg, und so war die Arbeit einer tüchtigen Intelligenz, die
vor Jahren nicht Wurzeln schlagen und hat diesmal einen ge¬
er an die Rolle gesetzt hatie; vergebens. Aus dem sieghaften
radezu überraschenden Erfolg gehabt; ein Teil des Publikums
Schwärmer, um dessen Naturell nur der träumerische Zug einen
fühlte sich gerade durch die Mache alten Schlages vertraulich an¬
leichten Schleier spinnt, wurde ihm ein schwerblütiger Melancho¬
gezogen, ein anderer erfreute sich an der Art, wie die Genialität
liker, ein Jüngling voll herber Todesahnungen, und dadurch wuchs
mit ihren Ketten spielt. Die Gesamtwirkung konnte nur durch
auch die vielbesprochene Szene der Furcht zu einer falsch Be¬
eine Aufführung erzielt werden, die den historischen Zug und
deutung empor; sie wirkte nicht wie der Ausbruch jugenolicher
Stil aufs glücklichste wahrte und auf der anderen Seite das Be¬
Naivität, die jedem starken Impuls bis ans Aeußerste folgt, son¬
deutende der Charakteristik scharf, sicher, aber ohne Uebertreibung
dern wie ein Verrat der innersten Natur. Auch Wegeners Kott¬
herausholt. Das Brahm'sche Ensemble zeigt nach beiden Rich¬
witz war unfertig und die Natalie der Heims wohl liebenswürdig,
tungen hin Meisterschaft. Bassermann zeichnete den Streber in
aber um einen Grad zu weich. Es war also keine Mustervor¬
genialen Strichen, Reicher den konservativen Fuchs mit großer
stellung, aber doch im ganzen eine von so gutem Geist erfüll :
Feinheit, Meinhardt den giftigen Schwätzer und Oskar Sommer
Aufführung, daß der Erfolg sich ungemein lebendig gestaltete.
den Patrizier mit voller Sicherheit. Und im ganzen lebie und
Zwei „Kammerspiele“ des Deutschen Theaters haben weniger
webte ein satirischer Humor, dem man sich mit Behagen hin¬
Befriedigung hinterlassen. „Fräulein Julie“ von Strindberg
gab. Es war jedenfalls der bedeutendste Abend der wiedereröff¬
ist gewiß eine merkwürdige psychologische Studie, nicht ohne Fein¬
neten Spielzeit.
heit und unheimlichen Stimmungsreiz, aber es ist zuletzt doch
eine Tragödie ohne Tragik, ein Bild der Gesunkenen, nicht des
Mit einer glücklicheren Neuheit ist bisher nur das „Kleine
Sinkens, ein Stück Psychologie des Skandals, nicht des inneren
Theaser“ hervorgetreten. Es holte sie sich als „Fremdentheater“
Kampfes. Die Kammerspiele sollen eine ganz besonders stilvolle
im Sinne der Dichtungen, die es bringt, aus Dänemark, aus der
Fassung für die literarischen Kleinodien geben und „Fräulein
Sphäre der sanfteren nordischen Psychologen. Das Stück, eine
Julie“ ist ein Stückchen Glimmer — kein Edelstein. Selbst dann
Komödie, betitelt „Die Stimme der Unwürdigen“, hat den fein¬
nicht, wenn die kleine Aristokratin mit ihrem Gemisch von Sinn¬
sinnigen Sven Lange zum Verfasser. Das halb heitere Motiv bildet
lichkeit, Bestialität und Hochmut eine so virtuose Darstellerin wie
der kindliche Argwohn eines ganz jungen Mädchens, das den ver¬
die Eysoldt findet, die in der Versinnlichung solcher halb tierischer,
meintlichen Liebhaber der Mutter ohrfeigt, obgleich zu einer
halb dämonischer Gestalten unvergleichlich ist. Schnitzler's
solchen Injurie ein Anlaß nicht gegeben ist. Aber die ahnungs¬
„Liebelei“ ist des kostbaren Rahmens der Kammersviele weit wür¬
volle Kinderseele hat doch in gewissem Sinne recht; denn zwischen
diger. Aber für dieses beste und echteste aller tragischen Spiele
den Eltern schwebt eine unausgesprochene Verstimmung, und der
von Schnitzler hat Reinhardts Ensemble nicht die geeigneten
Zwischenfall führt dazu, die Eheleute durch eine Entladung ihrer
Kräfte. Es fehlt die Wiener Lokalfarbe, die hier nicht aufge¬
Gemüter einander näher zu bringen. Die Komödie enthusias¬
schminkt ist, sondern vom Blute herkommt; die Höflich mimt die
mierte nicht; aber sie fand, im ganzen gut aufgeführt, den Bei¬
Christine zu ausgesprochen tragisch, zu schwer von Anfang an.
fall der Hörer.
Das ist nicht das kleine süße Mädchen, das erst durch ein großes
Im „Neuen Theater“ griff eine Wiederholung des
Gefühl und ein starkes Schicksal zu einer Art von Heroismus
Schauspiels „Ueber den Wassern“ von Georg Engel nicht tief,
hingetrieben wird. Ausgezeichnet war Pagay als alter Musikus;
und die Novität „Ihavatatra“, ein phantastisches indisches Spiel
aber das ließ um so stärker empfinden, daß die Anderen aus ver¬
von Julius Berstl, konnte auf diesem Boden nur als Probe
schiedenen Gründen den rechten Ton nicht fanden, Reinhardt,
eines noch nicht ausgereiften Talentes interessieren. Dagegen
der entschieden ein sehr beachtenswerter Regiekünstler ist und der
hat auch hier ein Däne, Gustav Wied, mit seinem Einakter
über eine Anzahl ungewöhnlicher Kräfte verfügt, wird, um
„Liebe“, der mit einem Anfluge von Molisre'schem Humor die
den hochgespannten Erwartungen zu entsprechen, dauernd daran
romantischen Neigungen ungeschlachter Bauerndirnen verlacht,
arbeiten müssen, von innen heraus ein Ensemble zu bilden, eine
einen entschieden freundlichen Erfolg erzielt, nicht zuletzt durch
Kunstgemeinde von innerem Einverständnis, von Stilgemein¬
die komische Charge des Schauspielers Christians, der neuer¬
schaft, von jener geistigen Vertraulichkeit, in der eine Figur die
dings mit seinen drolligen Sonderlings=Figuren mehr Glück hat
andere hebt. Daran gebricht's bei ihm. Mit dem Aufkaufen von
als mit seinen Helden.
soundsoviel Modeschauspielern und umworbenen Kräften ist's
Im ganzen ist die Ernte an Neuheiten, auf die alle Theater
nicht getan; so kommt nichts zusammen, was ineinandergepaßt ist
lauern, bisher eine geringe; dagegen gewinnt das Bemühen, die
und sich gegenseitig ergänzt. Das entsteht nur dort, wo die star¬
gegebenen Literaturschätze weiteren Kreisen zugänglich zu machen,
ken Talente wachsen, wo sie sich im rechten Klima entwickeln, nicht
immer mehr an Raum. Das neuentstandene Friedrich
ausschließlich durch Verpflanzungen und Umsetzungen.
Wilhelmstädtische Schauspielhaus (in den Lokali¬
Otto Brahm ist es gelungen, auf dem Boden des
täten des ehemaligen Schillertheaters N.) macht mit einer ganz
Lessing=Theaters ein Ensemble von künstlerischer Einheit
leidlichen Aufführung der Heb#el'schen „Nibelungen" volle
zu erhalten. Er begrenzt sein Wirken scharf, aber er bietet Voll¬
Häuser. Im kleinen Hause in der Köpenickerstraße hat sich ein
gediegenes innerhalb dieser Grenzen. In der letzten Zeit kon¬
„Theater an der Spree“ aufgetan, das die Pflege des
zentriert er — von den Auffrischungen einiger Hauptmann'scher
alten Berliner Volksstückes auf sein Programm gesetzt hat; eine
Stücke abgesehen — seine ganze Kraft auf die Vorbereitung eines
Auffrischung des „Aktienbudikers“ von Kalisch fand do ein froh
großen Ibsenzyklus, der den Erneuerer des bürgerlichen Schau¬
genießendes Publikum. Ob aber die Hoffnung des neuen Direk¬
spiels in seiner ganzen Entwicklung vorführen soll. Auf die
tors Spandow, das Genre durch die Produktion neu zu beleben,
Musteraufführung der „Stützen der Gesellschaft“ ließ er jetzt die
erfüllbar ist, das scheint in dem weltstädtischen Berlin von heute,
noch ältere Komödie „Der Bund der Jugend“ folgen, in der Ibsen
das nur noch wenige Spuren der alten Sitte und Ueberlieferung
zum erstenmal reale Verhältnisse in realistischer Form auf die
Szene brachte. Das Stück, das Ende der sechziger Jahre ent= aufweist, als eine offene Frage.