II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 916

Liebelei
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Theater=Nachrichten.“

Frankfurter Opernhaus. Was uns hier so selten
beschieden: Die Uraufführung einer neuen Oper, das wurde
gestern in unserem Opernhaus zum Ereignis. Man gab
„Liebelei“, die Erstlingsoper unseres tüchtigen Kapellmeisters
Neumann nach dem gleichnamigen Schauspiel von Schnitzler.
Es war ein großer Abend, ein vollbesetztes #
gantes Publikum und ein begeisterter Erfolg. Nach jedem
Akt gab es lärmenden Beifall; Darsteller, Kapellmeister,
Regisseur, Komponist und Dichter (den man mit seinem
zarten, von blondem Vollbart umrahmten Gesicht im Foyer
im Kreise schöner Damen sah) mußten unzählige Mal vor
der Rampe erscheinen, und erst der eiserne Vorhang machte
den Ovationen ein Ende. Premierenerfolgen darf man
im allgemeinen skeptisch gegenüberstehen; aber diesem Neu¬
mannschen Werke glauben wir einen dauernden Erfolg
prophezeien zu können. Den Inhalt des Textes darf man
wohl als bekannt voraussetzen, nachdem das Schauspiel
von Schnitzler sich einen ständigen Platz im Spielplan
unserer ersten Bühnen errungen hat. Und wer das Werk
längere Zeit auf der Schauspielbühne nicht gesehen hat,
der konnte gestern erfahren, daß es noch immer eines der
besten in den beiden letzten Dezenien geschriebenen deutschen
Bühnenstücke ist. Wir haben inzwischen wirksame Bühnen¬
stücke gesehen, deren Verfasser keine Dichter waren und
wir haben Werke von Dichtern gesehen, deren Verfasser
keine Dramatiker waren. Schnitzler ist beides, er kennt
die Gesetze der Bühne und er ist vor allem ein Dichter.
Seine Personen sind keine Puppen, das sind Menschen wie
wir, Menschen, die lieben und leiden. Da sitzt neben uns
ein junges Mädchen mit Thränen der Rührung in den
Augen; vielleicht hat sie oder ihre Nachbarin, ähnliches
erlebt wie dieses holde Wiener Kind, das sein ganzes
liebeshungriges Herzchen dem feschen Fritz schenkte und —
o tragisches Schicksal! — der leichtlebige Fritz verlangte
gar nicht soviel; ihm sollie das nur ein Amüsement, ein
Zeitvertreib, eine Liebelei sein. Sie gehen nicht alle (wie
Christine) ins Wasser, diese um ihr Glück betrogenen
Männer oder Frauen. Manchem heilt die Zeit die schmerzende
Wunde; die andern aber wandeln wie Menschenwracks
unter uns, viele als hilflose zarte Menschen, wie von schwerer
Krankheit Genesende, andere verbittert und menschenscheu.
Man durfte bezweifeln, ob die Vertonung des Schnitz¬
lerschen Werkes, die vom Schauspiel ausgeht, zu erhöhen
imstande ist. Doch der Erfolg hat dem Komponisten Recht
gegeben. Es mutet gewiß etwas sonderbar an, Banalitäten
wie „Und da ist ja auch eine Bibliothek, Schiller, Hauff
und ein Konversationslexikon“ gesungen zu hören. Eine
italienische Arie läßt sich daraus nicht machen. Dafür
mußte ein besonderer Stil gefunden werden. Wir hörten
gestern die Schlagworte Puccinistil, Charpentierstil usw.
Warum giebt man dem Kinde nicht seines Vaters ehrlichen
Namen? Nennen wir den Stil ruhig Neumannstil! Neu¬
mann hat es glänzend verstanden, das ganze Werk auf
einen tragischen Grundton abzustimmen, mag es auf der
Bühne noch so lustig hergehen, immer zittert das nahende
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Unheil durch die Musik. Im einzelnen zeigte sich Neumann
als ein vorzüglicher musikalischer Illustrator des Wortes,
der auch für die einzelnen Personen oder Stimmungen
charakteristische Motive erfunden hat. Wo es die Handlung
erlaubt, wachsen dann — wie Berge aus einer schönen
Landschaft — herrliche melodische Abschnitte aus dem Sprech¬
gesang hervor. Wir denken an das innige Liebesduett im
ersten Akt, an das Zwischenspiel während der Lektüre des
Liebesbriefes im letzten, an den flotten Walzer, an das
melancholische Liedchen, das Christine singt, und an das
Abschiedsduett der Liebenden. Ein wirkungsvolles Orchester¬
stück ist auch das Vorspiel zum 3. Akt, dessen zweiter Teil
sich auf einem schönen Cellosolo aufbaut; dagegen konnte
uns das Vorspiel zum 2. Akt weniger interessieren, wie
uns denn überhaupt der 2. Akt als der schwächste erschien.
Der Schlußakt ist aber wieder einer großen Wirkung sicher,
wenn er auch nicht die bewegte Handlung des interessanten
ersten Aktes hat. Das Werk fand hier eine vorzügliche
Interpretation. In seinem Kollegen Rottenberg hatte
Herr Neumann einen Dirigenten, der so dezent begleitete,
daß man — und daß ist bei dieser Oper sehr wichtig —
fast jedes Wort verstand, der aber auch in den Zwischen¬
spielen alle Schönheiten aus dem Werke herausholte. Als
Regisseur zeichnete Herr Intendant Jensen; er hatte für
ein gutes Zusammenspiel gesorgt und 2 schöne Interieurs
gestellt. Allerdings wohnen die meisten hiesigen Orchester¬
musiker nicht in sö geräumigen Zimmern wie ihr Wiener
Kollege. Für die Darstellung hatte man ein vorzügliches
Ensemble zusammengestellt, aus dem Frl. Sellin ganz be¬
sonders herausragte. Frl. Sellin eignet sich vorzüglich zur
Darstellung von Gestalten, die gewissermaßen mehr
Seele als Körper haben. Sie war als Christine ganz
Hingabe, ganz Liebe, und auch die Verzweiflungsszenen
am Schluß spielte sie mit großer Innerlichkeit, wenn man
sich da auch noch eine Steigerung denken kann. Aus ihrer
süß=herben Stimme klang es heraus, wie ein Zittern vor
dem tragischen Schicksal der Christine. Ihre Freundin gab
Frl. Doninger fesch und flott, wie ein echtes Wiener Mädel.
Die alte Schnattergans, Frau Binder, fand in Frau Wellig
eine vorzügliche Vertreterin. Den Fritz spielte Herr Gentner.
Sein Kollege von der anderen Fakultät giebt ihn eleganter,
lebemä.iischer, aber auch Herr Gentner machte recht gute
Figur. Er spielte mit großer Junerlichkeit und war be¬
sonders gut, wenn ihm Gelegenheit gegeben war, gesanglich
hervorzutreten. Herr Breitenfeld gab den glücklicheren Theodor,
der das Leben von der lustigen Seite nimmt, mit etwas
behäbiger Eleganz, aber sehr wirkungsvoll. Den alten
Vater sang Herr Schneiden mit nicht immer durchdringender
Stimme; darstellerisch aber schuf er eine rührende Figur. Herr
Braun gab den fremden Herrn überaus charakteristisch und
wirkungsvoll. Alles in allem also eine Aufführung, die
sich sehen lassen kann. Und so rufen wir dem Herrn Neu¬
mann, dem Wiener Kind, der die erste wirkliche Wiener
Oper geschrieben hat, zum Schluß die Worte zu, die sein
Kaiser so oft sagt: „Es war sehr schön; es hat mich sehr
Br.
gefreut.“
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