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Schnitzlerg „Liebelei“ als Oper. G —
Die Uraufführung der dreiaktigen Oper „Liebelei“
von Franz Neumann*) (nach dem Schauspiel von Karl
Schnitzler) die am 18. September in Frankfurt a. M. statt¬
fand, kann aller Voraussicht nach als erstes Stadium eines
Siegeszugs angesehen werden, den das Werk über die
deutschen Bühnen antreten wird. Das allein schon, vor
allem aber auch prinzipielle Gründe lassen bei seinem erst¬
maligen Erscheinen vor der Öffentlichkeit ein näheres
Eingehen wünschenswert erscheinen. Der Komponist, als
meistbeschäftigter Kapellmeister der Frankfurter Oper wohl
bekannt, Österreicher von Geburt und mit 35 Jahren im
besten Schaffensalter stehend, ist als Opernschöpfer ein
Neuling. In Leipzig von Reinecke und Jadassohn
ausgebildet, hat er nach der Elevenzeit in Karlsruhe
(unter Moitls Leitung) und Hamburg, in Teplitz, Regens¬
burg und Linz gewirkt und auch zwei Jugendwerke geschaffen,
die aber wenig bekannt geworden sind. Seit sieben
Jahren führt er nun in Frankfurt den Dirigentenstab,
den er, wie ich höre, auch unter der zukünftigen Inten¬
danz Volkner behalten wird: die „Liebelei“ ist sein erstes
Werk aus dieser Zeit, das künstlerische Ergebnis dieser
letzten Schaffensperiode, das erste zugleich überhaupt, das
er der großen Öffentlichkeit zur Beurteilung vorlegt.
Das Publikum hat sein Urteil gesprochen; dem Werk
wurde außerordentlich großer, ehrlicher Beifall zuteil, der
auch durch etwaigen Einschlag von Lokalpatriotismus nur
*) Das Werk erschien soeben im Verlag B. Schotts
Söhne in Mainz, der einen sehr gut ausgestatteten
Klavierauszug (M. 10,—) herausgegeben hat.
unbedeutende Abstriche zu erfahren hätte: das dürfte die
in einiger Zeit zu erwartende Leipziger Erstaufführung
erweisen. Der große Erfolg wurde aber ermöglicht durch
eine ganz vorzügliche Aufführung, die die Frankfurter
Oper auf der ganzen Höhe ihrer künstlerischen Leistungs¬
fähigkeit zeigte. Von Kapellmeister Rottenberg mit
voller Hingabe geleitet, von Intendant Jensen stimmungs¬
voll inszeniert, kam das Werk zur vollen Geltung: von
den Darstellern möchte ich den schmelzenden, hellen Tenor
des Herrn Gentner, den süßen, lyrisch=sentimentalen
Sopran des Fräulein Sellin, besonders aber auch den
wundervollen, weichen Baßbariton des Herrn Schneider
erwähnen, deren Leistungen auch darstellerisch vorzüglich
waren.
An dem Erfolg hat freilich sehr stark der Librettist
Artur Schnitzler teil, dessen bekanntes Schauspiel
Franz Neumann, von einigen unbedeutenden Strichen
abgesehen, wortgetreu übernommen hat. Da entsteht
gleich die grundsätzliche Frage, ob es möglich ist, ein
Drama dieses Inhalts und Stils, das, oder sagen wir,
weil es sich als Schauspiel bewährt hat, ohne weiteres
als Libretto für ein Musikdrama zu nehmen, das doch
mit ganz andern Mitteln arbeitet. Es fehlt nicht an
Präzedenzfällen: „Pelleas und Melisande“ von Maeter¬
linck=Debussy habe ich in beiderlei Gestalt nicht auf der
Bühne gesehen; wie steht es aber mit „Salome" und
Elektra“? Es fehlt wahrlich nicht an Stimmen, die das
Wildesche Wortdrama um der Sprache und ihrer Musik
willen der Straußschen Vertonung vorziehen; nicht so
entschieden sind die Urteile über die „Elektra“ Aber
was hier um des Stoffes und seiner sprachlichen Be¬i¬
handlung willen noch als möglich sich erweist, wirkt in
der „Liebelei“ direkt stilwidrig. Hier ist alles auf Konver¬
sationston, sogar auf wienerischen Dialekt berechnet; wer liebte
die Sprache in dem Schnitzlerschen Werke nicht wegen
ihrer schönen Rhythmen! Wie vollendet hat der Dichter
hier Tragik mit der Alltäglichkeit und Fröhlichkeit des
Lebens verwoben! Bei näherem Betrachten, besonders
des ersten Aktes, wird die Unmöglichkeit einer Vertonung
erst recht klar. Kaum daß ein Dichter es so verstanden
hätte, dem Leben die leichte Sprache des Alltags abzu¬
lauschen, ohne alle schriftdeutschen Einschläge, wie
Schnitzler: Rhythmen, deren Vertonung wie Banalitäten
klingen müssen.
Nun also die Musik. Was hat Neumann gemacht,
um solche Sätze zu vertonen, wie: „Wo ist denn der
Stoppelzieher?“ oder „Sagen Sie, liebe Christine, haben
Sie kein Zündholz?“ und die vielen andern, in leichtem
Konversationston hingeworfenen Phrasen? Es ist hübsch
über jede Silbe eine Note gesetzt, und von geschickter In¬
strumentation verdeckt fließt das Ganze leicht dahin. Aber
ist das noch Opernmusik? Daran scheitert für mich der
Kunstwert der Schöpfung im ganzen, die im einzelnen,
und zwar überall dort, wo der Schnitzlersche Text eine
Vertonung zuläßt, viel Gutes und Anerkennenswertes
aufweist. Die Geschicklichkeit, mit der Neumann sich durch
leichte, gefühlvolle Musik über die genannte Schwierigkeit
hinwegsetzt, die sehr gelungene Einleitung des ersten
Aktes, der gefällige Walzer bei den Tafelfreuden weisen
wohl darauf hin, daß Neumanns Stärke mehr auf dem
Gebiet der komischen Oper liegen dürfte. Auch die wohl¬
gelungene humoristische Charakterisierung der Frau Nach¬
barin im dritten Akt spricht dafür. Denn für die senti¬
mentalen und tragischen Momente der Oper (und diese
durchaus überwiegend) fehlt es
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Schnitzlerg „Liebelei“ als Oper. G —
Die Uraufführung der dreiaktigen Oper „Liebelei“
von Franz Neumann*) (nach dem Schauspiel von Karl
Schnitzler) die am 18. September in Frankfurt a. M. statt¬
fand, kann aller Voraussicht nach als erstes Stadium eines
Siegeszugs angesehen werden, den das Werk über die
deutschen Bühnen antreten wird. Das allein schon, vor
allem aber auch prinzipielle Gründe lassen bei seinem erst¬
maligen Erscheinen vor der Öffentlichkeit ein näheres
Eingehen wünschenswert erscheinen. Der Komponist, als
meistbeschäftigter Kapellmeister der Frankfurter Oper wohl
bekannt, Österreicher von Geburt und mit 35 Jahren im
besten Schaffensalter stehend, ist als Opernschöpfer ein
Neuling. In Leipzig von Reinecke und Jadassohn
ausgebildet, hat er nach der Elevenzeit in Karlsruhe
(unter Moitls Leitung) und Hamburg, in Teplitz, Regens¬
burg und Linz gewirkt und auch zwei Jugendwerke geschaffen,
die aber wenig bekannt geworden sind. Seit sieben
Jahren führt er nun in Frankfurt den Dirigentenstab,
den er, wie ich höre, auch unter der zukünftigen Inten¬
danz Volkner behalten wird: die „Liebelei“ ist sein erstes
Werk aus dieser Zeit, das künstlerische Ergebnis dieser
letzten Schaffensperiode, das erste zugleich überhaupt, das
er der großen Öffentlichkeit zur Beurteilung vorlegt.
Das Publikum hat sein Urteil gesprochen; dem Werk
wurde außerordentlich großer, ehrlicher Beifall zuteil, der
auch durch etwaigen Einschlag von Lokalpatriotismus nur
*) Das Werk erschien soeben im Verlag B. Schotts
Söhne in Mainz, der einen sehr gut ausgestatteten
Klavierauszug (M. 10,—) herausgegeben hat.
unbedeutende Abstriche zu erfahren hätte: das dürfte die
in einiger Zeit zu erwartende Leipziger Erstaufführung
erweisen. Der große Erfolg wurde aber ermöglicht durch
eine ganz vorzügliche Aufführung, die die Frankfurter
Oper auf der ganzen Höhe ihrer künstlerischen Leistungs¬
fähigkeit zeigte. Von Kapellmeister Rottenberg mit
voller Hingabe geleitet, von Intendant Jensen stimmungs¬
voll inszeniert, kam das Werk zur vollen Geltung: von
den Darstellern möchte ich den schmelzenden, hellen Tenor
des Herrn Gentner, den süßen, lyrisch=sentimentalen
Sopran des Fräulein Sellin, besonders aber auch den
wundervollen, weichen Baßbariton des Herrn Schneider
erwähnen, deren Leistungen auch darstellerisch vorzüglich
waren.
An dem Erfolg hat freilich sehr stark der Librettist
Artur Schnitzler teil, dessen bekanntes Schauspiel
Franz Neumann, von einigen unbedeutenden Strichen
abgesehen, wortgetreu übernommen hat. Da entsteht
gleich die grundsätzliche Frage, ob es möglich ist, ein
Drama dieses Inhalts und Stils, das, oder sagen wir,
weil es sich als Schauspiel bewährt hat, ohne weiteres
als Libretto für ein Musikdrama zu nehmen, das doch
mit ganz andern Mitteln arbeitet. Es fehlt nicht an
Präzedenzfällen: „Pelleas und Melisande“ von Maeter¬
linck=Debussy habe ich in beiderlei Gestalt nicht auf der
Bühne gesehen; wie steht es aber mit „Salome" und
Elektra“? Es fehlt wahrlich nicht an Stimmen, die das
Wildesche Wortdrama um der Sprache und ihrer Musik
willen der Straußschen Vertonung vorziehen; nicht so
entschieden sind die Urteile über die „Elektra“ Aber
was hier um des Stoffes und seiner sprachlichen Be¬i¬
handlung willen noch als möglich sich erweist, wirkt in
der „Liebelei“ direkt stilwidrig. Hier ist alles auf Konver¬
sationston, sogar auf wienerischen Dialekt berechnet; wer liebte
die Sprache in dem Schnitzlerschen Werke nicht wegen
ihrer schönen Rhythmen! Wie vollendet hat der Dichter
hier Tragik mit der Alltäglichkeit und Fröhlichkeit des
Lebens verwoben! Bei näherem Betrachten, besonders
des ersten Aktes, wird die Unmöglichkeit einer Vertonung
erst recht klar. Kaum daß ein Dichter es so verstanden
hätte, dem Leben die leichte Sprache des Alltags abzu¬
lauschen, ohne alle schriftdeutschen Einschläge, wie
Schnitzler: Rhythmen, deren Vertonung wie Banalitäten
klingen müssen.
Nun also die Musik. Was hat Neumann gemacht,
um solche Sätze zu vertonen, wie: „Wo ist denn der
Stoppelzieher?“ oder „Sagen Sie, liebe Christine, haben
Sie kein Zündholz?“ und die vielen andern, in leichtem
Konversationston hingeworfenen Phrasen? Es ist hübsch
über jede Silbe eine Note gesetzt, und von geschickter In¬
strumentation verdeckt fließt das Ganze leicht dahin. Aber
ist das noch Opernmusik? Daran scheitert für mich der
Kunstwert der Schöpfung im ganzen, die im einzelnen,
und zwar überall dort, wo der Schnitzlersche Text eine
Vertonung zuläßt, viel Gutes und Anerkennenswertes
aufweist. Die Geschicklichkeit, mit der Neumann sich durch
leichte, gefühlvolle Musik über die genannte Schwierigkeit
hinwegsetzt, die sehr gelungene Einleitung des ersten
Aktes, der gefällige Walzer bei den Tafelfreuden weisen
wohl darauf hin, daß Neumanns Stärke mehr auf dem
Gebiet der komischen Oper liegen dürfte. Auch die wohl¬
gelungene humoristische Charakterisierung der Frau Nach¬
barin im dritten Akt spricht dafür. Denn für die senti¬
mentalen und tragischen Momente der Oper (und diese
durchaus überwiegend) fehlt es