II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 961

Liebelei
5— box 11/6
„ODSERTER
1. öeterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
In Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis
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burg, Toronto.
(Quelienangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
Kölnische Zeitung
77 1910
kom:
heilter und Musik.
Liebelei.
— Köln. Mit diesem an mehrern auswärtigen Bühnen bereits er¬
folgreich aufgeführten neuen Werk Franz Neumanns (Text von
Artur Schnitzler) hat die hiesige Opernbühne gestern abend ihren
sehr aussichtsvoll bereichert. Die Aufnahme beim
Publikum trug alle Anzeichen eines dauernden Erfolges, und noch mehr
als die zahlreichen Hervorrufe des Komponisten und der Mitwirkenden
bekräftigte das der allgemeine tiefe Eindruck, den es den Hörern hinter¬
ließ. Wieder trat die Wichtigkeit eines wirksamen Textes deutlich hervor.
Man darf sagen, daß Schnitzlers Schauspiel, das fast genau in die Musik
übergegangen ist, bis zu dem Grade fesselte, daß es sogar manche Unzu¬
länglichkeiten der musikalischen Behandlung verdeckte. Ganz von selbst
ergibt sich die Frage, ob es überhaupt geraten ist, ein gesprochenes
Schauspiel unverändert in Musik zu setzen, wie dazu Richard Strauß
den Anstoß gegebeiphat. Wir mochten diesem Verfahren keineswegs
das Wort reden. Dinge des alltäglichen Leben, in denen gar keine Ge¬
fühlssaite erklingen will, sollen gesprochen bleiben und bei der Um¬
formung in eine Oper am besten ausgeschaltet werden. Manche komische
Wortpointen gehen beim Gesang erbarmungslos verloren, um so mehr,
wenn sie nicht ganz deutlich ausgesprochen werden. Aber bei allem, was
das Herz angeht und rührt, kömmt nun allerdings die Musik dem Wort
fördernd und vertiefend zur Hilfe, und da solche Dinge bei Schnitzler
überwiegen, so darf das Werk als Oper namentlich im zweiten und
dritten Akt als eine willkommene Umschmelzung des Schauspiels an¬
gesehen werden. Von dem wohlbekannten Gang der Handlung sei in
Erinnerung gebracht, daß ein junger Offizier (Fritz) mit einer ver¬
heirateten Dame unerlaubte Beziehungen angefangen hat, daß sein
Freund ihn durch die Zuneignug zu einer schlichten Musikantentochter
(Christine) von der unheilvollen Passion zu kurieren sucht, daß jetzt erst
bei Fritz die wahre, echte Liebe entbrennt, ein versöhnlicher Ausgang
aber dadurch vereitelt wird, daß der hintergangene Ehemann
den Doppelliebhaber im Duell erschießt. Franz Neumann, der
als Kapellmeister im nahen Frankfurt am Main wirkt, be¬
sitzt nahezu alles, was zum Opernkomponisten erforderlich ist: Erfindung,
Phantasie, Theaterkenntnis, melodiösen Sinn, dramatische Durchschlags¬
kraft, gewählte und wirksame Instrumentation. Sein Bestes gibt er in
der Zeichnung des Liebesverhältnisses. Nachdem die Musik zu Anfang
sich mit einem fast operettenhaften Geplänkel begnügt hat, schlägt er
hier Töne an, die eine innige Versenkung in den Stoff bekunden und
einem unmittelbar quellenden Empfinden entstammen. So wechselt, je
nach der Handlung, Gefälliges mit Packendem, Scherzhaftes mit Er¬
greifendem. Neumann achtet genau auf die dramatischen Wegzeichen
und wählt danach die Farbe seiner Palette. Sobald der Ehemann
erscheint, wird die Musik gleich ihm einsilbig, hinterhältig, und wenn bei
Christinen die Leidenschaft zum Durchbruch kommt, tobt und wettert das
Orchester, wie nur je bei Puccini. Überhaupt ist mehr dieser italienische
Meister Neumanns Vorbild als Wagner und Strauß. Charakteristisch
dafür ist die mehr sinfonische Behandlung der Musik; mit andern
Worten: er spinnt auf Grund eines durchgehenden Motivs den musika¬
lischen Faden weiter, auch wenn im Text nicht alles dazu stimmt, er
malt al fresco. Den Singstimmen, die sonst dankbar behandelt sind,
sollte er insofern größere Achtsamkeit gewidmet haben, als der häufige
Sprechgesang oft gegen die natürliche Deklamation zugunsten des musi¬
kalischen Rhythmus verstößt und so die deutliche Aussprache unnötig er¬
schwert wird. Der tragische Ausgang der Handlung wird musikalisch
doch gar zu sehr unterstrichen. Christine ist kein Charakter von filigran¬
haftem Empfinden; sie ist tiefer angelegt als die andern, aber sonst nur
ein gutes, treuherziges Geschöpf, um dessentwillen die Musik nicht aus
Rand und Band zu geraten braucht. Unser Gesamturteil geht dahin,
daß das Werk sich längere Zeit auf der Bühne halten wird, und daß
Neumann sich darin als ein hervorragend begabter Tonsetzer erwiesen
hat, dem nur größere Sichtung seiner Erfindung und weitere Ausreifung
seiner musikdramatischen Technik nottun. Die Wiedergabe ließ unter
Lohses anfeuernder Leitung kaum einen Wunsch unerfüllt. Gerade auch
die musikalischen Nippsachen fanden in ihm einen begeisterten Erläuterer,
wie viel mehr erst die Dramatik des Werks, die, wie gesagt, nur manch¬
mal eine Abdämpfung erfahren könnte. Ein vorzüglicher Fritz war Herr
Winckelshoff, der mit quellendem Gesang eine schöne Leidenschaftlichkeit
vereinte und auch schauspielerisch hervorragend war. Ganz vortrefflich
war Herr Liszewsky (Fritzens Freund Theodor), der überdies gleich
Herrn Winckelshoff den Kavalier in Reinkultur darstellte; den Ehemann
gab Herr vom Scheidt. Uns dünkt, umgekehrt wär's besser gewesen,
wenn vom Scheidt den Lebemann und Liszewsky den Ehemann gespielt
hätte. Entzückend war Frau Dux als Christine. Mit regstem Be¬
mühen, mit fortreißender Hingabe wurde sie der ungewohnten, gebärden¬
reichen Tragik am Schluß gerecht. Nur eine Revision ihrer Aussprache
würden wir ihr wiederum anraten. Fräulein Fink war ausgelassen und
lebensfroh als Mizzi, Frau Rohr als schwatzhafte Nachbarin und Herr
Neldel als Musikant waren ganz am Platz. Für eine angemessene In¬
szenierung hat Herr Weißleder gesorgt. Den mächtigsten der Lorbeer¬
kränze, die Lohse am Schluß erntete, senkte er in das wackere Orchester
hinab.