II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 972

Liebelei
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sentimentale Mädel, das seine Liebelei so furchtbar tragisch
nimmt. Eine Musterrolle für melancholische Liebhaberin¬
nen. Und wieder zeigt sich die hübsche Begabung, das
ursprüngliche Talent der Debütantin. Aber auch alles Un¬
fertige, Halbe, Mangelhafte der Anfängerschaft. Einer sehr
blutigen Anfängerschaft, die besorgen läßt, daß doch noch
etwas gar zu viel an diesem Talent zu arbeiten sein könnte.
Immerhin, wenn man sich für den Anfang in Geduld fassen
wollte, so wäre von dieser übergroßen Jugend etwas Gutes
und Gesundes zu erhoffen. Der warme Glanz ihres Orga¬
nes, seine weiche Fülle wirkten auch gestern wieder angenehm.
Von einer besonderen, seelischen Vertiefung der Rolle war
keine Rede, aber sie war doch kräftig zusammengehalten, we¬
nigstens zu einer äußeren Einheit geschlossen. Manchmal
hatte die Debütantin ganz feine Augenblicke. Alles Träu¬
merishe, Versonnene, Tief=Melancholische gelang ihr so.
Weniger überzeugend war alles Tändelnde, Heitere, Be¬
glückte. Und auch dem großen Schmerzensausbruch im letz¬
ten Akt fehlte sein eigentliches Kolorit: die Enttäu¬
schung darüber, daß der Geliebte für eine fre. Frau er¬
schossen wurde. Noch einmal: Wir müßten C uld haben,
wenn Frl. Ehn engagiert werden soll und sie lüßte einen
eisernen Fleiß auswenden. übrigens — bis ur nächsten
Spielzeit ist es noch weit hin und vielleicht st# die Debü¬
tantin schon an der schauspielerischen Bewußtseinsschwelle,
wo das blinde Ungefähr des Treffens in der Sphäre des
künstlerischen Schaffens aufgeht. Neben der ungelenken
Christine des Frls. Ehn wurstelte in zappeliger Beweglich¬
keit Frl. Richter als Mizzi. Eine der besten Rollen unserer
munteren Liebhaberin, eine „erlebte“ Rolle, mit allem Um
und Auf eines solchen fröhlichen Mahles in einer Jung¬
gesellenwohnung. Mit allen Details solcher Situationen
vertraut, zeigte dieses leichtsinnige Wiener Mädel Grazie
und Schick, natürliche Begabung und eine reizende Unge¬
zwungenheit. Ebenso frisch und ungezwungen gab Herr Bo¬
wacz seinen Theodor, einen jungen Mann mit einer ge¬
sunden Philosophie der Sinnlichkeit und einer herzhaften
Taktik des Lebens. Herrn Reckes fein durchgeführter Fritz
Lobheimer ist noch von der letzten Aufführung als eine
ungemein lebendige Gestalt gut bekannt. Weniger glücklich
war diesmal Herr Moser als Christines Vater, man ver¬
mißte die sonst bei diesem Schauspieler selten fehlende
Schärfe der Charakteristik. Frau Wiesner machte aus
ihrer Frau Binder wieder eines ihrer Kabinettstücke feiner
Darstellung.
Auf „Liebelei“ folgte ein neuerer, hier noch unbe¬
kannter Schnitzler:
„Komtesse Mizzi, oder: Der
Familientag“. Eine einaktige Komödie, echtester
Schnitzer, in ihrem gewandten Dialog, ihren überraschenden
Wendungen, ihrem liebenswürdigen Zynismus. Eine
ganze Reihe von Enthüllungen geht mit ironischem Lächeln
vor sich. Von einer Handlung ist keine Rede. Wir sehen nur
einen Knäuel von Motiven vor uns, aus denen ein anderer
hielleicht einen spannenden Sensationsroman abwickeln
würde. Aber Schnitzler läßt den Knäuel unabgewickelt, es
liegt ihm gar nichts daran: so ist die Welt — eine Komödie,
auch wenn sich gar nichts begibt. Man braucht bloß hinzu¬
sehen, um zu lachen. Die gute Wirkung des Einakters ist
vor allem Frl. Sorel und Herrn Bowacz zu danken.
Frl. Sorel gab die Komtesse in einer nachlässigen Manier,
mit überlegener Weltbetrachtung und =Verachtung. Sie war
die kluge, geistvolle Frau, in der sich aristokratische Formen¬
mit einem vorurteilslosen Denken zusammenfinden. Eine
große Leidenschaft ist ausgeglüht, ein scharfer Verstand hat
die Trümmer gerettet: das war vornehm und fein gezeichnet.)
Mit prächtigem, jugendlichem Humor wirkte Herr Bowacz
als Philipp. Er stellte einen frischen, lebensfrohen Jungen,
hin, mit gesunden Sinnen und dem eifrigen Bemühen, die
Welt zu gewinnen. Der freie, kräftige Humor, wie er in
dieser Rolle hervorkam, ist eine der besten Seiten seiner
schauspielerischen Begabung. Wenig trugen der Graf des
Herrn Arnim und der Fürst des Herrn v. Pindo zum
Gelingen der Aufführung bei. Zwei lederne Gesellen, deren
Szene langweilig und träge, ohne Pointen und Nuancen
dahinschlich. Frau Kreith=Lanius war in ihrer derben
Ursprünglichkeit symvathisch und Herr Eisner als Fiaker
in Ton und Maske ganz prächtig. Als flüchtige Erscheinung
sah man Herrn Strauß in beiden Stücken.
Aus der Theaterkanzlei. Die Salondame Fräulein
Karola Franzius von Dresden debütiert morgen in den
Lustspiel „Goldfische“ von Schönthan #hamanse# #