II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 986

5. Liebelei
A I. J L — a

Widerspruch geschrien hätte), sondern er geberdet sich
italienisch. Etwa giordanisch. Er symphonisiert mit
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dem Orchester, und die Leute deklamieren dazu. Sie
brechen auch in Gesang aus, aber nicht wie bei
Puccini natürlich und
sondern nur wenn
sie
gereizt werden. Er nimmt also nicht
Telephon 12.801.
das Milien des Stoffes, sondern das allgemeine
dramatische, die Leidenschaften, und wenn es reine
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Leidenschaften gibt, das Kolorit. Das Kolorit der
„ODSLNVEN
Instrumente liegt ihm sehr. Seine Orchesterbegabung
ist staunenswert. Seine Geschicklichkeit erfindet stets
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
neue Kreuzungen der Stimmen und Farben. Seine
Ausschnitte und Bibliographie.
Geschicklichkeit, ohne sonderliche Erfindung, erfaßt
Wien, I., Concordiaplatz 4.
auch das Motiv und vor allem die Situation
treffend. Er findet die Tiefen und die Höhen. Den
Vertretungen
zweiten Aktschluß macht er zu einem Höhepunkt
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
des Gesanges für Fritz, den dritten für Christine.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
Seine Diktion, immer italienisierend, ist belebt und
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
reich. Es fließt, es rauscht. Das Lied, außer der
burg, Toronto.
schwächlichen Einlage im ersten Akt, wird vermieden,
te -Tenangabe ohne,
aber die liedartige Geberde gepflegt. Die Dank¬
Ausschnitt aus Perliner Börsen Courier, Berlin
barkeit der Kontraste, Souper, Duellforderung, Er¬
Morgenausgabe
wartung, Liebesszene, Todesschreck, wird sicher aus¬
genutzt. Kurz: es ist eine sehr gewandte Art zu
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vom:
schreiben, voll natürlichen Musiksinnes nie verlegen
nie verlogen — nur gänzlich unmöglich diesem Stück
gegenüber, das viel zu gut dazu ist. Das war ein
falscher Ehrgeiz! Aber als Jugendsünde reizend.
Vor den Kulissen.
Das Orchester klingt unter Herrn v. Reznicek
o gut wie selten. Noch nicht in letzter Feinheit, aber
In der
Komischen Oper hat die Oper
süß für
das Ohr kommen die instrumentalen
„Liebelei“ von Franz Neumann einen sehr
Qualitäten heraus. Es ist die letzte Oper, die er in
starken und herzlichen Beifall gehabt, für den die Dar¬
diesem Hause einstudiert, und sie dankt ihm besonders
steller und der Komponist zahlreiche Male danken
allen Eifer und alle bescheidene Feinsinnigkeit, die er
konnten. Hier wie überall. Ueberlegen wir uns das
mit einem Idealismus, der so groß wie unmodern ist,
Faktum.
Um es richtig zu überlegen muß ich heut zwei hier walten ließ. Auch die letzte Rolle der Labia.
Ich muß ein Ich lobe ihre Stimme nicht, sie ist gepreßt und scharf
Schrauben nacheinander einstellen.
in der Höhe, ich identifiziere sie auch nicht mit der
Experiment mit der Literatur und mit der Musik
unschuldigen Christine der ersten Akte, die sie
machen, muß mich auseinanderlegen und dann wieder
schwer nimmt
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und singen muß
viel zu
zusammenklappen.
(o Sorma!)
aber ihr Schmerzensausbruch am
Ich stelle also zunächst die literarische Schraube Schluß offenbart erschütternd die Größe der gesangs¬
ein, begrüße Schnitzlers Liebelei und lehne jede
Art von Musik, besonders diese ab. Dies Stück ist spielerischen Persönlichkeit, die wir hier kennen gelernt
haben und hier verlieren. Als eine besonders kon¬
der einfachste Abzug des Liebesschmerzes im Leben,
gruente Leistung nenne ich noch Zador als ihren
so einfach, schlicht, wahr, herzlich, daß man garnicht
Vater: Güte und Angst in einer seelenvoll schwingen¬
begreift, wie darum tausend hochtrabende Tragödien
den, durchdringenden Stimme. Nadolovitch' Fritz
geschrieben werden konnten. Es ist ein reales Stück
ist gut am zweiten Aktschluß — sonst glaube ich ihm
im Wiener Milieu; die Leute sagen, was man wirklich
nicht recht. Die Mizi der Bachrich genügt. Ge¬
so sagt; sie leben und sterben, wie man wirklich lebt und
nügt — ja, man darf nicht an unsere Schauspieler
stirbt. Der sachliche Theo, der schwärmerische Fritz, denken und ein Gesang, den es nicht gibt, ersetzt es
die brettlhafte Mizi und die rührende Christine sagen
nicht. Man darf nicht — und muß doch. Denn zehn
und tun Worte und Taten, die so einfach und wahr
Mal komponiert — wir retten unseren Schnitzler.
sind, daß sich ganz von selbst um sie eine zitternde
Gregor, der eine gute Mitte zwischen Schauspiel¬
Stimmung bildet, ein ungreifbares Fluidum, das mehr
und Opernregie einhielt, wird an diesem Erfolg seine
Musik ist, als jede geschriebene Musik. Alles klingt
letzte Freude erleben: charakteristisch für einen Mann,
hinaus und hinüber, durch die Seelen, durch die der vom Theater her die Oper auffrischen wollte,
Zeiten — es klingt rauschend und ergreifend von
allen Feinergestimmten ein starkes Interesse und eine
Es
diesen paar schlichten Worten.
1
Poesie.
willkommene Abwechslung bot, aber beim Publikum
Prosa.
Indem man es komponiert, wird es
nicht immer reüssiert, das seine Musik will oder
Es wird zurückgedrängt in die dumme Realität, weil
wenigstens Gesang oder schließlich das Cachet eines
sich die Musik anmaßt, die Poesie zu machen —
leidenschaftlichen Textes — wie hier.
B
auszusprechen! Diese Worte sind keine Musikworte,
sie sind nicht lyrisch erhöht. Diese Liebesschmerzen,
Duelle, Tröstungen, Selbstmorde sind keine Musik¬
themen, sie sind nicht schlecht genug dazu. Die Oper
macht heut solche Ansprüche an den Text, daß sie sich
selbst die Grube gräbt. Man wird sie vor guten
fast
0
Texten
schon warnen müssen und
vor der Durchkomponierung des Originals, wie es
auch dieser Autor mit einigen Kürzungen tat. Die
Musik tötet das Stück, das wir lieben. Sie über¬
fällt es mit ihrem Pathos und ihrer Geschwätzigkeit
und verzerrt die Situationen, verlangsamt die Tempi,
vergröbert die Nüancen, prosaisiert den Inhalt, malt
die Details bis zur unfreiwilligen Komik aus — die
Blumen, die von der Decke fallen sollten, den
Pfropfenzieher, das Weineingießen, den Frühling, der
den Trauer¬
nicht im Herzen
, das Duell,
marsch, als Einleitung des dritten Aktes. Die
Musik zieht
die schweigenden Gedanken des
Dichters hervor und bläst sie heraus. Wo ist die
Sauftmut dieser Christine geblieben, die zarte Rück¬
sicht von Fritz, die ängstliche Liebe des Vaters, dieses
ganze süße und doch so traurige Andeuten des frohen
und des bitteren Lebens?
Es ist Singsang und
Orchester geworden,
Musikmacherei ohne rechte
unerträglich für den, der die einfachen
Bildung
Der
Linien dieser wesentlichen Tragödie liebt.
literarische Mensch schämt sich dieser Verwandlung.
Er sieht die Veroperung des Alltags und flüchtet, wie
vor einer schöngeistigen Phrase. Remheit, ruft er, 1
Reinheit!
Aber nun schalte ich mich um. Ich schraube die
Litteratur aus und schraube die Musik ein. Ich
vergesse das zarte Verhältnis, das ich zu diesem
schlicht=ergreifenden Stücke habe und rufe alle musi= 1