II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 987

Liebelei
5. Lbox 12/1
kalische Urteilskraft herauf, die ich in der hohen
Schule der Oper mir bildete, diese Urteilskraft über
musikalisches Können, dramatischen Akzent, Instru¬
mentation Wirkungstechnik, alle Dinge, die mit dem
sublimen Empfinden gegenüber dem Leben und seinem
Bilde nichts mehr zu tun haben: und dann — dann
erst spreche ich dem Autor eine große Begabung
zu. Ich sage: sie ist mir in diesem Falle nichts wert,
aber sie ist es an sich. Er behielt die Schnitzler¬
schen Worte bei.
r legte nicht etwa eine
leichte wienerische Musik darunter (was richtiger
gewesen wäre, aber sonst unmöglich, weil dann der
Widerspruch geschrien hätte), sondern er geberdet sich
italienisch. Etwa giordanisch. Er symphonisiert nit
dem Orchester, und die Leute deklamieren dazu. Sie
brechen auch in Gesang aus, aber nicht wie bei
Puccini natürlich und oft,
sondern nur wenn
sie gereizt
werden.
Telephon 12.801.
r nimmt also nicht
das Milien des Stoffes, sondern das allgemeine
dramatische, die Leidenschaften, und wenn es reine
Leidenschaften gibt, das Kolorit. Das Kolorit der
„OSSENVEN
Instrumente liegt ihm sehr. Seine Orchesterbegabung
ist staunenswert. Seine Geschicklichkeit erfindet stets
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
neue Kreuzungen der Stimmen und Farben. Seine
Ausschnitte und Bibliographie.
Geschicklichkeit, ohne sonderliche Erfindung, erfaßt
Wien, I., Concordiaplatz 4.
auch das Motiv und vor allem die Situation
treffend. Er findet die Tiefen und die Höhen. Den
Vertretungen
zweiten Aktschluß macht er zu einem Höhepunkt
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
des Gesanges fur Fritz, den dritten für Christine.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
Seine Diktion, immer italienisierend, ist belebt und
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
reich. Es fließt, es rauscht. Das Lied, außer der
burg, Toronto.
schwächlichen Einlage im ersten Akt, wird vermieden,
Guelienangabe ohn Gewäl
aber die liedartige Geberde gepflegt. Die Dank¬
Ausschnitt aus Perhiner Borsen Courier, Berlin
barkeit der Kontraste, Souper, Duellforderung, Er¬
Morgenausgabe
wartung, Liebesszene, Todesschreck, wird sicher aus¬
ZLJR191T
genutzt. Kurz: es ist eine sehr gewandte Art zu
Vom:
schreiben, voll natürlichen Musiksinnes nie verlegen
nie verlogen — nur gänzlich unmöglich diesem Stück
gegenüber, das viel zu gut dazu ist. Das war ein
falscher Ehrgeiz! Aber als Jugendsünde reizend.
Vor den Kulissen.
Das Orchester klingt unter Herrn v. Reznicek
n gut wie selten. Noch nicht in letzter Feinheit, aber
In der Komischen Oper hat die Oper
süß für das Ohr kommen die instrumentalen
„Liebelei“ von Franz Neumann einen sehr
Qualitäten heraus. Es ist die letzte Oper, die er in
starken und herzlichen Beifall gehabt, für den die Dar¬
diesem Hause einstudiert, und sie dankt ihm besonders
steller und der Komponist zaylreiche Male danken
allen Eifer und alle bescheidene Feinsinnigkeit, die er
konnten. Hier wie überall. Ueberlegen wir uns das
mit einem Idealismus, der so groß wie unmodern ist,
Faktum.
hier walten ließ. Auch die letzte Rolle der Labia.
Um es richtig zu überlegen, muß ich heut zwei
Ich lobe ihre Stimme nicht, sie ist gepreßt und scharf
Schrauben nacheinander einstellen.
Ich muß ein
in der Höhe, ich identifiziere sie auch nicht mit der
Experiment mit der Literatur und mit der Musik
unschuldigen Christine der ersten Akte, die sie
machen, muß mich auseinanderlegen und dann wieder
viel zu
schwer nimmt und
singen muß
zusammenklappen.
(v Sorma!) — aber ihr Schmerzensausbruch am
Ich stelle also zunächst die literarische Schraube
Schluß offenbart erschütternd die Größe der gesangs¬
ein, begrüße Schnitzlers Liebelei und lehne jede
spielerischen Persönlichkeit, die wir hier kennen gelernt
Art von Musik, besonders diese ab. Dies Stück ist
haben und hier verlieren. Als eine besonders kon¬
der einfachste Abzug des Liebesschmerzes im Leben,
gruente Leistung nenne ich noch Zador als ihren
so einfach, schlicht, wahr, herzlich, daß man garnicht
Vater: Güte und Angst in einer seelenvoll schwingen¬
begreift, wie darum tausend hochtrabende Tragödien den, durchdringenden Stimme. Nadolovitch' Fritz
geschrieben werden konnten. Es ist ein reales Stück
ist gut am zweiten Aktschluß — sonst glaube ich ihm
im Wiener Milieu; die Leute sagen, was man wirklich nicht recht. Die Mizi der Bachrich genügt. Ge¬
so sagt; sie leben und sterben, wie man wirklich lebt und nügt — ja, man darf nicht an unsere Schauspieler
stirbt. Der sachliche Theo, der schwärmerische Fritz, denken und ein Gesang, den es nicht gibt, ersetzt es
die brettlhafte Mizi und die rührende Christine sagen nicht. Man darf nicht — und muß doch. Denn zehn
und tun Worte und Taten, die so einfach und wahr
Mal komponiert — wir retten unseren Schnitzler.
sind, daß sich ganz von selbst um sie eine zitternde
Gregor, der eine gute Mitte zwischen Schauspiel¬
Stimmung bildet, ein ungreifbares Fluidum, das mehr
und Opernregie einhielt, wird an diesem Erfolg seine
Musik ist, als jede geschriebene Musik. Alles klingt
letzte Freude erleben: charakteristisch für einen Mann,
hinaus und hinüber, durch die Seelen, durch die der vom Theater her die Oper auffrischen wollte,
Zeiten
— es klingt rauschend und ergreifend von
allen Feinergestimmten ein starkes Interesse und eine
Es
diesen paar schlichten Worten.
Poesie.
willkommene Abwechslung bot, aber beim Publikum
Indem man es komponiert, wird
es
Prosa.
nicht immer reüssiert, das seine Musik will oder
Es wird zurückgedrängt in die dumme Realität, weil wenigstens Gesang oder schließlich das Cachet eines
sich die Musik anmaßt, die Poesie zu machen — si
leidenschaftlichen Textes — wie hier.
auszusprechen! Diese Worte sind keine Musikworte,
8
sie sind nicht lyrisch erhöht. Diese Liebesschmerzen,
Duelle, Tröstungen, Selbstmorde sind keine Musik¬
themen, sie sind nicht schlecht genug dazu. Die Oper
macht heut solche Ansprüche an den Text, daß sie sich
selbst die Grube gräbt. Man wird sie vor guten
Texten
fast
schon
warnen müssen und