II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 992

Liebelei
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Franzosen und Deussche nsn
Opern auk Schöpfungen Shakespeares, Goethes,
Schillers gezogen, und auch in unsern Tagen
sind es erfolgreiche epische und dramatische
Werke, denen zeitgenössische Tondichter ihre
Textbücher entnommen haben. Ich nenne von
jenen nur Sardou in seiner „Toska, Tolstoi in
seiner „Auferstehung", Zola im „Abbé Mouret“,
Hoffmannsthal in seiner „Salome" und¬
„Elektra . Nun ist gestern auch Franz Neu¬
mann auf der Bühne des Herrn Gregor mit
seiner Oper „Liebelei“ erschienen, einem
Werke, das dem gleichnamigen Schauspiel
Arthur Schnitzlers textlich sein Entstehen
verdankt. Dieses Drama aus der Wiener
Sphäre, das in einer Liebelei der jungen Lebe¬
männer Fritz und Theodor mit den „süßen“
Wiener Mädels Christine und Mizzi so fröhlich
beginnt und in einem Duell des ersteren mit
dem betrogenen Ehemann tragisch endet, hat den
phantasievollen Komponisten zu einer musi¬
kalischen Illustration seines Inhalts gelockt. Ist
aber jedes Schauspiel, das sich als bühnenwirk¬
sam erweist, auch geeignet für eine Umwandlung
zur Oper? Bei dem Schauspiel Schnitzlers
muß die Frage verneint werden. Was in dem
gesprochenen Dialog, selbst in unwesentlichen
Momenten natürlich erscheint, wirkt in einer
gesanglichen Umkleidung gezwungen, wenn nicht
gar lächerlich, und Neumann hat seinen Text
wortgetreu dem Drama Schnitzlers entnommen.
Diese kurzatmigen, oft nur wenige Worte ent¬
haltenden Sätze, machen in ihrer Vertonung den
Eindruck einer melodischen Engbrüstigkeit.
wir die Lungenkraft einer organisch entwickelten,
warmblütigen, gesunden Kantilene erwarten,
läßt der Komponist seine Sänger in musikali¬
schen Phrasen, in abgerissenen Parlandos sich
ergehen. Solcher Sprechgesang wirkt aber auf
die Dauer eintönig. Wo diese Deklamations¬
musik von wirklichem Gesang unterbrochen wird,
wie in dem Liede Christines aus dem Lochheimer
Liederbuch und einigen anderen Stücken, atmet
der Zuhörer förmlich auf und erquickt sich an
innig empfündenen, ausdrucksvollen,
Melodien. Solcher erfrischenden Sätze enthält
die Oper leider nicht allzuviele, und wir
werden die Befürchtung nicht los, daß es
Komponisten an der Fähigkeit, gesanglich zu
schreiben, überhaupt gebricht. Das ist aber das
Charakteristikum des modernen Musikdramas,
daß die Singstimmen geringschätzig behandelt
werden und nur das Orchester auf den Schild
erhoben wird. Auch in dem Werke Neumanns
st es vornehmlich das Orchester, in dem die
eigentliche Begabung des Komponisten zutage
tritt. Hier beweist er einen Reichtum an Aus¬
drucksmitteln, die ihre Wirkung nur selten ver¬
sagen. Für jede Stimmung, für jeden Gefühls¬
affekt, im Heitern wie im Ernsten, hat er die
entsprechenden instrumentalen Farben auf seiner
Palette, und das Kolorit ist meist von iniensiver
Leuchtkraft. Von rein orchestralen Stücken ist
das Vorspiel zum dritten Akt, obgleich etwas ge¬
dehnt, als ein den tragischen Ausgang kündendes
Tongemälda besonders hervorzuheben. In
kleineren Formen ist manches heitere Sätzchen
Wiener Geblüts von anmutender Wirkung.
Dieses spezifisch Wiener Gepräge hatte die
Gesamtaufführung der Oper. Die in der Ver=1
schiedenheit ihres Charakters vortrefflich
zeichneten Figuren der Christine und der Mizzi
wurden von Maria Labia und Susanne
Bachrich musikalisch und schauspielerisch
lebensvoll verkörpert. Namentlich die erstere
erhob sich in der kraftvollen Steigerung ihrer
Rolle bis zur Schlußszene, in der sie den Tod
ihres im Duell gefallenen Geliebten erfährt, zu
tragischer Höhe. In Jean Nadolovitsch
als Fritz hatte die Künstlerin einen würdigen
Partner. Das Abschiedsdnett des Liebespaares
war von ergreifender Wirkung. Einen liebens¬
würdigen Bonvivant mit einem Schust Wiener
Gemüt gab Richard Wissiak
in seinem
Theodor. Rührend in seiner väterlichen Zärt¬
lichkeit war der alte Weiring Desidor
Zadors. Niederschmetternd in der Wucht
seiner Darstellung der betrogene Ehemann
Karl Armsters in seiner Szene mit Fritz;
und eine dem Leben abgelauschte Wiener Klatsch¬
base gab Emma Seebold in der drolligen
Frau Winter.
Mit einem solchen auf das Subtilfte abge¬
tönten Ensemble, das Kapellmeister Reznicec
musikalisch und Direktor Gregor, als Ab¬
schieds=Regisseur, szenisch leitete, war ein be¬
deutender Erfolg zu erzielen, und dank dieser
ausgezeichneten Tarstellung errang ihn die Novi¬
tät. Das Publikum war begeistert und rief mit
den Darstellern den Komponisten unzählige Male
vor die Gardine.