Ausschnitt aus:
iner Zeitung am Mittag, Berlin
vom: 21.04R191.
Gregors letzte Tat.
„Liebelei“ in der Komischen Oper.
Direktor Gregor hat zum Abschied das beste
getan, was er tun konnte. Er hat dem Ber¬
liner Publikum einen jungen Komponisten von
unleugbarem Talent vorgestellt. Zwar: Franz
Neumanns Oper „Liebelei“, die nach dem
gleichnamigen Schnitzlerschen Schauspiel ge¬
schrieben ist, hat ihren Weg schon über zahl¬
reiche große Provinzbühnen gemacht. Aber man
weiß doch — Berlin gibt den Ausschlag. Also:
den Berlinern hat das Werk genau so gefallen,
wie den Frankfurtern, Kölnern und Leipzigern.
Nach dem kyrischen zweiten Akt war der Beifall
sehr echt und stark. Während zum Schluß mehr
die ausge eichnete Darstellung durchgriff.
Diese Berliner Aufführung hat ihre
Schwächen und Vorzüge gegen die, wie ich z. B.
vor 8 Tagen in Leipzig sah. Dort brachten die
poctische Marx und der jugendfrische Schroth
den in breiten Lyrismen schwelgenden zweiten
Akt glänzend heraus. Hier war wieder die
Labia im dritten Akt erschütternd. Man
kann nicht gerade sagen, daß das sentimentale
Wiener Mädel sich mit dem. Wesen der Labia
vollkommen deckt. Sir ist immer die Vollblut¬
italienerin, mit ihren großen, schmerzhaft
suchenden Augen auf einen ungetreuen Lieh¬
haber blickend, in den fieberhaft geballten
Fäusten das Messer zum tödlichen Streich
zückend. Ihre Christine ist mehr eine
Christina (wenn man sich noch der Gior¬
danoschen „Mala Vita“ erinnert). Aber,
wenn sie im dritten Akt den Freund
Theodor im scwarzen Rock mit dem Trauerflor
um den Zylieder durch die Tür treten sieht,
wenn sie ihm das Geheimnis abringt, daß der
Geliebte gefallen ist, gefallen im Kampfe um
eine Frau, wenn sie das Tuch um die Schulter
wirft, um an sein Grab zu eilen, „nicht, um zu
beten": dann glaubt man ihren wild hervor¬
brechenden Schmerz, dann sind die raubtierarti¬
gen Töne echt, die ihr aus der gequälten Brusi
quellen. Ein volles Lob auch für Herrn Zador,
der den alten Weiring schlicht, rührend, in un¬
endlicher Güte gestaltet. Desgleichen für Herrn
Wissiat, der in Spiel und Erscheinung der
wpische Wiener Nachsteiger ist. Ein geringeres
dagegen für Herrn Nadoloviich, dem für
den Fritz die Frische und Leichtigkeit der
Stimme fehlt, der mit seinem gekräuselten
Köpfchen, seinem schlecht angeklebten Schnurr¬
lurtchen, dem Schwalbenschwanz und dem Steh¬
kragen mit umgebogenen Ecken nicht elegant
genug aussieht. Recht dünn und unsicher klingt
diesmal das Orchester. Wenn ich hörte, so hörte
ich durch das wundervolle Leipziger Orchester.
Franz Neumann kommt aus dem
Kapellmeisterberuf. Das merkt man ihm sofort
an. Seine Partitur ist mit großer Geschicklich¬
keit gearbeitet, sehr klangschön instrumentiert
und verrät in jeder Note den gewiegten Theater¬
mann, der genau weiß, wie er seine Effekte
zu setzen hat. Weniger hervorragend ist seine
Erfindung, die im Grunde auf die Jungitaliener
zurückgeht, vor allem auf Puceini, der nament¬
lich im zweiten Akt bedeutende Kapitalien in
die Musik einschießen muß. Ich lege aber Wert
auf die Feststellung, daß auch sehr viele hübsche
eigene Momente kommen. Und, was mit das
Wichtigste ist: am besten ist dem Komponisten
die Zeichnung des alten Weiring gelungen. So¬
bald er auftritt, gewinnt die Musik Farbe, Ge¬
sicht, Inhalt. Das ist der Gewinn, das Blei¬
bende an dem Abend. Das ist mir Gewähr
dafür, daß Neumann in seinem späteren
Schaffen sich zu einer Eigenart durchringen
wird ... Kopfschütteln wird überall die Idec er¬
regen, das Schnitzlersche Schauspiel so wie es
geht und steht, zu komponieren. Beim Publikum
stelle sich freilich an den dramatischen Höhepunk¬
ten die gewohnte Tränenwirtung ein. Aber für ein
feiner empfindendes Ohr war es doch eine Qual,
Liebeler
5. 1
den leichten Konversationston in einer Flor ge¬
schwollener Opernmusik untergehen zu hören.
Entweder — oder. Man nimmi für die Kom¬
position ein neues Brch. Oder aber, handelt es
sich um ein bereits orhandenes Schauspiel, so
muß der Textdichter ich wenigstens der Mühe
unterziehen, das Wertdrame in eine neue, den
Zwecken der Musik angepas##e Form umzugießen.
Musik zu Worten des Schauspiels wirkt über¬
flüssig oder sogar störend, da der Dichter bereits
alles zu Sagende gesagt hat. Allerdings ist das
jetzt Mode. „Salome“, „Elektra#. „Talisman“.
Und was dem Strauß und der Madison recht ist,
kann dem Neumann schließlich nur billig sein!
Erich Urban.
box 12/1
iner Zeitung am Mittag, Berlin
vom: 21.04R191.
Gregors letzte Tat.
„Liebelei“ in der Komischen Oper.
Direktor Gregor hat zum Abschied das beste
getan, was er tun konnte. Er hat dem Ber¬
liner Publikum einen jungen Komponisten von
unleugbarem Talent vorgestellt. Zwar: Franz
Neumanns Oper „Liebelei“, die nach dem
gleichnamigen Schnitzlerschen Schauspiel ge¬
schrieben ist, hat ihren Weg schon über zahl¬
reiche große Provinzbühnen gemacht. Aber man
weiß doch — Berlin gibt den Ausschlag. Also:
den Berlinern hat das Werk genau so gefallen,
wie den Frankfurtern, Kölnern und Leipzigern.
Nach dem kyrischen zweiten Akt war der Beifall
sehr echt und stark. Während zum Schluß mehr
die ausge eichnete Darstellung durchgriff.
Diese Berliner Aufführung hat ihre
Schwächen und Vorzüge gegen die, wie ich z. B.
vor 8 Tagen in Leipzig sah. Dort brachten die
poctische Marx und der jugendfrische Schroth
den in breiten Lyrismen schwelgenden zweiten
Akt glänzend heraus. Hier war wieder die
Labia im dritten Akt erschütternd. Man
kann nicht gerade sagen, daß das sentimentale
Wiener Mädel sich mit dem. Wesen der Labia
vollkommen deckt. Sir ist immer die Vollblut¬
italienerin, mit ihren großen, schmerzhaft
suchenden Augen auf einen ungetreuen Lieh¬
haber blickend, in den fieberhaft geballten
Fäusten das Messer zum tödlichen Streich
zückend. Ihre Christine ist mehr eine
Christina (wenn man sich noch der Gior¬
danoschen „Mala Vita“ erinnert). Aber,
wenn sie im dritten Akt den Freund
Theodor im scwarzen Rock mit dem Trauerflor
um den Zylieder durch die Tür treten sieht,
wenn sie ihm das Geheimnis abringt, daß der
Geliebte gefallen ist, gefallen im Kampfe um
eine Frau, wenn sie das Tuch um die Schulter
wirft, um an sein Grab zu eilen, „nicht, um zu
beten": dann glaubt man ihren wild hervor¬
brechenden Schmerz, dann sind die raubtierarti¬
gen Töne echt, die ihr aus der gequälten Brusi
quellen. Ein volles Lob auch für Herrn Zador,
der den alten Weiring schlicht, rührend, in un¬
endlicher Güte gestaltet. Desgleichen für Herrn
Wissiat, der in Spiel und Erscheinung der
wpische Wiener Nachsteiger ist. Ein geringeres
dagegen für Herrn Nadoloviich, dem für
den Fritz die Frische und Leichtigkeit der
Stimme fehlt, der mit seinem gekräuselten
Köpfchen, seinem schlecht angeklebten Schnurr¬
lurtchen, dem Schwalbenschwanz und dem Steh¬
kragen mit umgebogenen Ecken nicht elegant
genug aussieht. Recht dünn und unsicher klingt
diesmal das Orchester. Wenn ich hörte, so hörte
ich durch das wundervolle Leipziger Orchester.
Franz Neumann kommt aus dem
Kapellmeisterberuf. Das merkt man ihm sofort
an. Seine Partitur ist mit großer Geschicklich¬
keit gearbeitet, sehr klangschön instrumentiert
und verrät in jeder Note den gewiegten Theater¬
mann, der genau weiß, wie er seine Effekte
zu setzen hat. Weniger hervorragend ist seine
Erfindung, die im Grunde auf die Jungitaliener
zurückgeht, vor allem auf Puceini, der nament¬
lich im zweiten Akt bedeutende Kapitalien in
die Musik einschießen muß. Ich lege aber Wert
auf die Feststellung, daß auch sehr viele hübsche
eigene Momente kommen. Und, was mit das
Wichtigste ist: am besten ist dem Komponisten
die Zeichnung des alten Weiring gelungen. So¬
bald er auftritt, gewinnt die Musik Farbe, Ge¬
sicht, Inhalt. Das ist der Gewinn, das Blei¬
bende an dem Abend. Das ist mir Gewähr
dafür, daß Neumann in seinem späteren
Schaffen sich zu einer Eigenart durchringen
wird ... Kopfschütteln wird überall die Idec er¬
regen, das Schnitzlersche Schauspiel so wie es
geht und steht, zu komponieren. Beim Publikum
stelle sich freilich an den dramatischen Höhepunk¬
ten die gewohnte Tränenwirtung ein. Aber für ein
feiner empfindendes Ohr war es doch eine Qual,
Liebeler
5. 1
den leichten Konversationston in einer Flor ge¬
schwollener Opernmusik untergehen zu hören.
Entweder — oder. Man nimmi für die Kom¬
position ein neues Brch. Oder aber, handelt es
sich um ein bereits orhandenes Schauspiel, so
muß der Textdichter ich wenigstens der Mühe
unterziehen, das Wertdrame in eine neue, den
Zwecken der Musik angepas##e Form umzugießen.
Musik zu Worten des Schauspiels wirkt über¬
flüssig oder sogar störend, da der Dichter bereits
alles zu Sagende gesagt hat. Allerdings ist das
jetzt Mode. „Salome“, „Elektra#. „Talisman“.
Und was dem Strauß und der Madison recht ist,
kann dem Neumann schließlich nur billig sein!
Erich Urban.
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