II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1021

Liebelei
5. LresSeI box 12/1
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m: 25. JAN 1911
hat es vermocht, solche Alltäglichkeiten des Textes traß
keit und seinem Duft von Ewigkeit. Er setzt die dun¬
Feuilleton.
überhören zu lassen: Puccini in der „Bohème“ und Sch
kelgraue Bluse, den Pfropfenzieher, das Duell, die
allenfalls noch Charpentier im ersten Akt der
Augenblicke mit ihrem Duft von Ewigkeit in Musik,
Berliner Opern.
„Louise“, aber nur da. Der Italiener, dem Neumann
und indem er so vertont, betont er recht nachdrücklich
übrigens später manches verdankt, hat die blödesten
die Irdischkeit der Dinge. In der Dichtung ward die
Fünfzehn Jahre sind es her, seit Arthur Schnitz¬
1Prosa durch ihren schlichten Ton und die zarten Un¬
prik
Worte von der süßesten Melodik aufsaugen lassen.
kers „Liebelei“ uns zuerst im Tentscken Thecter¬
strich
Wie Seifenblasen quirlen bei ihm musikalische Ge¬
tertöne, die mitschwingen, zur Poesie, zur Musik.
entzückte und beglückte. Kaum einer in Berlin hatte
her#
Jetzt, da die Musik erbarmungslos darüber herfällt,
bilde auf und sind zerronnen, noch ehe sie feste Form
vorher den Namen des Wieners gehört, und nach
wird die Poesie wieder in die Prosa zurückgeworfen.
annahmen. Die Bewunderung vor Puccini, dessen
ber
„Liebelei“ stand es fest: das war der Gruß eines
„Bohème“ uns gelegentlich überzuckerte Süßlichkeit,
we
Sie verklärt nicht, sie veredelt nicht, wie es dem We¬
Dichters. Eines der ganz wenigen, die sich nicht in
Erdbeeren mit Schlagsahne, dünkte, wächst ins Rie¬
rar
sen der Musik zukommt, sie hebt das gesprochene
einem Jugendwerke verausgabt haben. Die Sorma
Dic
senhafte, wenn man den Deutschen Neumann da¬
Wort nicht in eine höhere Sphäre, sondern sie unter¬
spielte damals die Christine, Rittner den Fritz —
streicht, sie verdeutlicht, sie vergröbert, sie sagt unge¬
die Schlesierin Sorma und der Schlesier Rittner die
niert, was zwischen den Zeilen steht, sie verletzt durch
Zum Glück bleibt es nicht so schlimm. Sobald
beiden Hauptgestalten eines Dramas, in dem das
die Realität des Ausdrucks.
sich die Tragik in der Dichtung zusammenballt, findet
Wienertum so vernehmlich singt und schwingt wie im
Der erste Akt — dieses leichtbeschwingte, wiegende
die Musik einen entsprechenden Ausdruck dafür und
blauen Denau=Walzer. Was sie an Echtheit der
Wienertum mit seiner heitern Grazie und seiner
endlich ihren Stil. Im Liebesduell des zweiten Aktes,
Sprachmelodie schuldig blieben, ersetzten sie durch die
dolce tristezza (bei Schnitzler) — wäre in der Neu¬
das den Erfolg entschied, zeigt der neue Mann, daß
Innigkeit ihrer menschlichen Melodie. Die Sorma,
mannschen Vertonung fast imstande gewesen, uns die
er viel, sehr viel gelernt hat und zu instrumentieren
holdseligstes Wunderwesen aus Breslau, lächelte wie
versteht. Warum sollte ein Kapellmeister schließlich
Dichtung für alle Zeit zu verleiden. Der Eindruck
Des
ein Cherub, schlug die Rätselaugen auf ... das war
nicht das Handwerk beherrschen? Immerhin, es ist
wer stellenweise grotesk. Kaum noch eine Spur vom
Musik.
keine bloße Kapellmeistergeschicklichkeit; hier spürt
Schnitzlerschen Klima, kein Hauch mehr von seinem
der
Und nun kommt, nach fünfzehn Jahren, der Ka¬
man künstlerische Wallungen. Der Schwerpunkt von
anmutigen Geist. Statt dessen gleich dicke Unter¬
pellmeister Franz Neumann aus Frankfurt a. M.
Neumanns Können liegt allerdings nicht in der Er¬
malung. Schon werfen die Ereignisse ihre schwarzen
und setzt die „Liebelei“ in Musik (oder richtiger:
findung, sondern in der Farbenmischung. Und die
Schatten voraus, schon steigt die Tragik im Orchester
unter Musik, wie man einen Zirkus unter Wasser.
Figur des alten Vaters ist sogar mit Empfindung
unheilverkündend herauf. Das bißchen Lustigkeit, das
ler
setzt). Den Schnitzlerschen Tert mit den durch die
ausgestattet.—Der deitte Akt behauptet sich auf der
der Komponist hier aufbringt, hat kein spezifisch wie¬
Zeitdauer bedingten Kürzungen, kein zum besondern
nun erreichten Höhe. Christinens Schmerz bei der
nerisches Kolorit; es ist aufgeklebt, nicht erlebt. Und
Zweck umgewandeltes Libretto. So wie Strauß die
Nachricht vom Tode ihres Liebsten für eine andere
dann diese fürchterlichen Trivialitäten des gesunge¬
„Salome“ und die „Elektra“ mit den unentbehrlichen
nen Textes. Eine Mokkacrémetorte in Des-Dur (es
Frau ist ein musikalischer Monolog, der sich hören
Strichen wörtlich übernahm. Den Schnitzlerschen
lassen darf. Wie das Weh von freudigen Erinnerun¬
kann auch eine andere Tonart sein) ist etwas Ab¬
Text mit seiner latenten Musik, mit seinen Heimlich¬
gen umgaukelt wird, wie in all die Trauer das pi¬
surdes. „Ich bedaure sehr, Sie gestört zu haben“
keiten, seinen'verschwiegenen Traulichkeiten, seinen
mit Bratschenbegleitung (es kann auch ein anderes
kannte Motiv der losen Mizzi hineingesetzt ist, das
Andeutungen, seinen Aposiopesen, seinen ausgespro¬
chenen Unausgesprochenheiten, mit seiner Schämig=] Instrument sein) wirkt unfreiwillig komisch. Einer verrät einen nicht unbeträchtlichen Sinn für Kon¬