II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1077

Liebele
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vom:

Kärntner Dolksbühne. „Liebelei“
Das Motiv, das Artur Schnitzler in seinem
dreiaktigen Spiel verwendet und ins Wienerische
übertragen hat, ist uns wohlbekannt. Wir finden
es kraftvoller, verwoben mit anderen spannenden.
Motiven (Verkauf der Landeskinder; Maitressen¬
wirtschaft 2c.), bei Friedrich Schiller. Bei Beiden
ist die Heldin die Tochter eines Musikers. Nur
daß die Schnitzler'sche Christine da Luise Millerin
und das Stück gleich das bestimmtr Wort „Liebe“.
statt dem tändelnden „Liebelei“ im Schilde führt.
Ich meine Schillers zweites Sturm= und Drang.
Drama: Kabale und Liebe.
Schnitzler ist kein Bildschnitzer von Bühnen¬

figuren, wie etwa Schönherr; er ist ein Bild¬
schnitzler. Besonders in seinem Milieustück
„Liebelei“ sind alle Personen weit davon entfernt,
auf hohem Kothurn einherzuschreiten. Es sind
Menschen, wie wir sie im Alltag finden: die
„jungen Leute“ Fritz und Theodor, von denen
der Erstere etwas ernster veranlagt, der Letztere
ein liebenswürdiger Schwerenöter ist; die seichte
Grisette; die sittlichelnde Klatschbase, hier eine
Strumpfwirkersfrau, u. a. Und wir finden da
ein Alltagsmädchen, eine Art Mischung von
Goethes Gretchen und Klärchen und Kleist's
Käthchen von Heilbronn. Ein gutes, treues
Geschöpf, das genau weiß:
Heute, nur heute
Bist Du noch mein;
Morgen, ach morgen
Bin ich allein.
Und doch weiter liebt! Und dann, als der
Mann ihrer Liebe wegen Getändel mit einer
Verheirateten im Zweikampf fällt, die schlimmste
Enttäuschung erfährt und dann hingeht, ewiges
Vergessen in den Wellen der Donau zu finden.
„Sie kommt nimmer — sie kommt nimmer!“
ruft ihr der verzweifelnde Vater nach.
Schnitzlers Stück ist für kiterarisch reife
Leute geschrieben. Wie getreu ist zum Beispiel
das Souper à quattre im 1. Akt, und wie eine
Wetterwolke taucht der „fremde Herr“, der von
seiner Frau Betrogene auf. Das Unbewußte,
das Geahnte spielt in diesem Drama eine große
Rolle, und ebenso das Verdeckte, das zart An¬
gedeutete. Daher: ein Stück für Denkende, ge¬
radezu für Weiterdichtende, für Miterlebende.
Ganz richtig hat Direktor Herr Wratitsch
diese Vorstellung einen „literarischen Abend“ ge¬
nannt — weil alle literarisch Gebildeten hätten
anwesend sein sollen.
Die Darstellung war gut, obwohl allein
schon der erforderliche Konversationston die
Rollen schwierig macht. Besonders gesiel Herr
Wratitsch d. J. als Theodor und Jores
als Christinens Vater. In seiner kurzen Rolle
wußte Karl Grune zu fesseln. Als Christine war
Frl. Lützow sehr am Platz.
„Der Himmel auf Erden“ gab
Donnerstag den Theaterbesuchern viel zu lachen.
Dieses Stück ist jedenfalls ein äußerst erfolg¬
reiches Attentat auf das Zwerchfell. Neu sind
die darin verarbeiteten Witze gerade nicht. So
kennen wir z. B. den Ulk mit dem Kürzermachen
des Beinkleides durch verschiedene Personen aus
einer köstlichen Schnurre Roseggers. Doch ent¬
schieden geschickt ist die Situationsmache. Alles
schwamm in Heiterkeit.
Mit Rücksicht auf Raummangel können wir
nur feststellen, daß die Herren Jos. Wratitsch
jun., Meister in Miene und Sprache, und Jost
Berger, ferners Frl. Mitzi Holm vor¬
züglich spielten. Es gab wiederholt Beifall bei
offener Szene.
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