II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1097

Liebelei
box 12/3
5. Lanhund
— —r).
Ausschnitt aus:
•0 4 1972. JER ANZEIGL
vom:—
Im zweiten Aktfiel das Dehnen sehr auf. Frau
Kunst und Wissenschaft
Bardon=Müller, sonst eine treffliche Künstlerin,
breitete sich in ihrer Szeue, die ohnedies keinen Fortschritt
bringt, zu behaglich aus. Hanns Fischer, der in Stücken,
woser Regie führt, so wenig wie möglich als Darsteller tätig
Königliches Schauspielhaus
sein sollte, ließ sich als Christinens Vater den großen Grund¬
ton des Aktes entgehen (das Beste des ganzen Stückes), die
Liebelei
rührende Motivierung: weshalb der alte Mann dem Liebes¬
Rückwärts gewendete Betrachtungen übex Schnitzlers
glück des Mädchens nicht wehren kann und nicht wehren
Liebelei anzustellen, ist aus mehr als einem
will. Doch der Darsteller, der schon gewöhnlich zuviel unter¬
behrlich. Das Wiener Stück von dem süßen Mädel,
streicht, hat es im entscheidenden Fall nicht in der Gewalt,
glaubte, eine Liebe zu erleben, und einsehen mußte, daß
mit stillen, leisen Mitteln noch ein letztes Menschenweh aus
alles nur eine Liebelei gewesen ist, hat seine Zeit vor 17
den Worten herauszuholen.
Jahren gehabt. Heute fällt uns nur seine übergroße
Der dritte Aktist ganz und gar ein Verbluten, ein Ver¬
Sentimentalität auf. Das Werk dem Spielplan des Hof¬
strömen der Seele Christinens: die blitzartige Kunde vom
theaters einzuverleiben, wo es nach einem halben
Tod des Geliebten — die Ursache seines Endes um der Liebe
Menschenalter doch nur eine flüchtige Welle sein kann,
eines anderen Weibes willen — die Nachricht, daß er schon
die bald verrinnt, lag keine volle Notwendigkeit vor.
im Grabe ruht — die wehe Erkenntnis, daß der Mann, der
Wohl die meisten Theaterbesucher werden das Werk vor
für sie alles war, ihr keinen letzten Brief, keinen letzten
Jahren im Residenztheater gesehen haben, wo es zwar
Zettel hinterlassen hat. Alice Velden bringt viel mit,
nicht mit der gleichen Sorgfalt und Abgeschliffenheit, aber
aber sie hat die Innerlichkeit und die Ausdrucksmittel nicht,
mit einem Schuß kräftigeren Realismus und mit mehr
uns das zu sagen, was hier zu sagen ist, in warmer, heller,
Blutwärme gegeben wurde als jetzt im Hoftheater. Im
überströmender Menschlichkeit zu sagen ist: das tiefe, ewige
Residenztheater war einst die Liebelei ein Frühlingssonnen= Leid des Weibes, das sich, dem innersten Wesen gehorchend,
tag mit schweren, düstereichen Abendschatten; im Hof=an den Geliebten ganz dahingegeben hat und ihres Irrtums
theater wirkte es die ein „Albumblatt“ mit etwas blassengewahr werden muß, daß sie dem Manne doch nicht alles
Schriftzügen, mit einem abgebröckelten, trock in Veilchen
war. Es leidet stets am meisten, wer den anderen am
und einer wehleidigen Widmung von geliebte. Hand. Wer
stärksten liebt ... In Episodenrollen waren Mehnert
sich entsinnt, wie einst die Agnes Sorma als Christine auf die und Weinmann sehr-gut; Paula Müller war etwas
Szene kam, unter ihrem Strohhnt ein liebes, rundes,zu zapplig. Im Schluß liegt die entscheidende Probe auf
rosiges Gesichtel, das ganze Wesen kosend, leuchtend, von das Exempel. Ist das wirklich die richtige Darstellung der
der Liebe der Wiener Mädels so erfüllt, wie ein Tautropfen Christine, ist das die erschöpfende Verkörperung des Werkes,
von der Sonne — der wird von unserer Aufführung in wenn ein Zuschauer am Schluß noch im Zweifel sein kann,
dem nobleren Raume des Hoftheaters nicht befriedigt ge= daß Christine nicht zum Grabe des Geliebten, sondern in
wesen sein. Es war in ihr eine Stimmung, die ich wohl der den Tod gegangen ist? Diese Frage aber wird nicht jeder
kühlen Farblosigkeit der Sonnenfinsternis vor einigen
Zuschauer sich mit völliger Sicherheit beantwortet haben.
Tagen vergleichen möchte: der Himmel fahl, die Dunsthülle
Wir sahen eben eine Liebelei, aber nicht die Liebelei. F. K.
grau, nur der Lufthauch, der sich plötzlich erhebt, wehts
geisterhaft im Nachbarzimmer die Blätter von dem Schreih=!
tisch fort ...
Die letzte Wirkung des Stückes war wohl traurg,
54
gaber ohne Süßigkeit. Nimm aber dem Werke Schnitzlers
Die tränmerische, kosende, schmeichelnde Stimmung, und du
Kbehältst ein ziemlich dürftiges Ding. Der Grundfihler
war, daß das Stück, das von der Verschmelzung der
Wiener Fröhlichkeit mit der Wiener Schwermut lebt, von
Anfang an so
gespielt wurde, als ob die Leichen¬
beerdigungsanstalt schon von dem endgültigen Ausgang
des Stückes unterrichtet wäre. Dem späteren dunklen Ende
fehlte der helle, fröhliche Kontrast am Beginn. Das ganze
Stück war der Entwicklung, der Wiener Lokalfarbe, damit
aber der Schattierung beraubt. Welch ein Gegensatz muß
sich ergeben, wenn in die Lustigkeit des improvisierten Fest¬
mahls der eiskalte Schatten des Nächers fällt! Es muß
wie ein Schlag durch die Nerven gehen. Wir aber waren
vorher schon darauf gefaßt; die jungen Wiener waren schon
vorher mit ihrem Schicksal lässig vertrant. Ein Finale, ein
wahrer Trauermarsch! In einem norwegischen Fjord
könnte sich die Handlung auch nicht trüber abspielen.
Alexander Wierth fand für seinen Fritz Lobheimer
nicht den eignen Wiener Ton. Der Spielleiter Hanns
Fischer hat die durch das Stück gehauchten zarten, leisen
Wiener Walzerklänge, die weiche, zur Hingabe strömende
Liebesmelodie des Werkes nicht gehört. Und wenn das!
Wienerische und das Lyrische fehlt —
was kann von einem
Werk wie die Liebelei da bleiben?