box 12/3
Liebelei.
5. J eesche
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausestigel Gebucie Kabart t
vom:
15 Juli 191)
Die Geschwister von Goethe. Hierauf Liebelei von Schnit
scher (##u#s-Theäter, Sonnabend, den 13. Juli). — Ich ging hin,
##üder Johanna Zimmermann, eine weitere Neuerscheinung
in der Phalanx des von Grund auf geänderten Ensembles, ein Urteil
zu gewinnen. Bei Pailleron hatte die Darstellerin sich unlängst in
einer Nebenrolle als „molliges Weibchen“ präsentiert. Diesmal spielte
sie das süße Wiener Mädel mit der großen tragischen Liebe in Schnitz¬
lers „Liebelei“. Und wieder war sie „mollig“, hatte ein süßes Gesichtl,
wußte ein inniges Gezwitscher schmiegsam und weich anzubringen und
große, erschrockene Augen groß und ernst aufzuschlagen. Das genügte
für die beiden ersten Akte; als aber dann die fürchterliche Herzensnot
die Hüllen des Süßen Mädeltums gewaltig sprengen sollte, um der
tragischen Gestalt des weggeworfenen, betrogenen, nun jäh zum Be¬
wußtsein seines ganzen Selbst gelangenden Weibes Raum zu geben,
da blieb das die Schalen sprengende Wachsen aus. Ein Kind schrie und
n Kleinmädel=Schmerz grollte
weinte jämmerlich=eigensinnig.
sich ungebärdig aus. Das schneidende Herzweh eines
tiefsten Kern getroffenen Weibes schrie nirgends als in uns selbst
und unseren Erinnerungen. Dazu also reichen die Kräfte der Dar¬
stellerin nicht aus. Im übrigen verstärkte mir der Abend den flüch¬
tigen günstigen Eindruck, den ich bisher von Emerich Reimers
erhielt. Der Künstler zeichnet mit stillen, ernsten, diskreten Mitteln,
die zuweilen eine gewisse Sprödigkeit zu überwinden haben, ehe sie
sich voll Bahn brechen. Sein Fritz Lobheimer war der Theaterei
sympathisch fern. Ein Bravo nebenbei der tapferen Frau Retty,
die ihre Operettensphäre verlassen hatte, um der leichtlebigen Schla¬
ger=Mizzi ihr urwüchsig sprudelndes Wiener Temperament zu leihen.
Ich würde der Künstlerin nicht ungern häufiger an geeigneter Stelle
im Schauspiel begegnen. In dem Goetheschen Einakter befestigte
Clarissa Linden die Hoffnungen, die sie kürzlich bei=Pailleron
erpeckte. Ihre Marianne war zwar äußerlich an den Konturen
gas kindlicher, backsischhafter, als man dies zärtliche Goethebild
Gewöhnlich zu sehen bekommt, aber er strömte die Fülle süßer Her¬
zensinnigkeit ungebrochen aus ihr hervor, die Goethe im Herzen lage
das Mädchen schuf. Paul Becker als schön gewachseuer
als
Wilhelm offenbarte den Fehler seines sonst klangvollen Organsim
Affekt rauh und glanzlos zu werden, deutlicher.
Dr. Egbert Delspy,
Der Humorist, een
vom:
Alünchener Brief.
ein sehr Mattel.
—Der gestrige Samstag brachte zwei Schnitzler=Abende, im
Schauspielhaus eine Reprise der „Liebelei“, mit den Damen
Rosar und Ruß, den Herren v. Duniecki, Günther und
Weyner, auf die ich zurückkomme, in den „Kammerspielen“
die Premiere des Schauspiels „Der Ruf des Lebens“ bei welcher
der anwesende Dichter für den Beifall, der mäßig bestritten wurde,
danken konnte. Gespielt wurde unter der stimmungskräftigen Regie
Direktor Ziegels sehr gut, besonders Marjam Horwitz fand
für die Sehnsucht nach Licht und Liebe fesselnden Ausdruck. Den
alten kranken Mann und seinen Vergiftungstod gestaltete Manning
ergreifend, Frau Prasch=Grevenberg findet stets echte Töne,
die zu Herzen gehen. Erich Ziegel gab dem Obersten eine wirk¬
same monumentale Nuhe, Paul Marx dem philosophischen Arzte
Geist und Wärme, Max Oswald und Wahl als Leutnants,
Stahl=Nachbaur als verschmähter Liebhaber, Jenny Spiel¬
mann als lebenstrunkene Schwindsüchtige und Emilie Unda in
der kurzen Rolle der Frau Oberst stellten ein wirksames Ensemble.
Die einzelnen Akte interessierten, manche Szene ergriff und die
Probleme fesselten. Ihre Häufung verstärkte jedoch nicht den Ein¬
druck, sondern verminderte ihn eher. Auch läßt der Dichter zu viele
Fragen offen — zweifelsohne aus künstlerischer Absicht; allein
das Ergebnis ist eben doch, daß der Zuhörer mehr verwiret als
erschüttert zur Trambahn geht.
mi
Budapert, G.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Kölnische Velkszeitung
oat.
1912
vom:
12 J
Theater und Konzerte.
Das Deutsche Theater in Köln bot am Mittwoch einen
Schnitzler=Abend, und zwar hatte man das dreiaktige Schau¬
spiel Liebelei und den Einakter Literatur gewählt, Stücke,
die man früher schon im Schauspielhaus gesehen hat. Die Liebelei,
die in einem ziemlich frivolen Wiener Milien spielt, das aber nur
dazu dient, die Tragik des zweiten Teiles vorzubereiten, gelangte
zu ganz vortrefflicher Darstellung. Die leichtlebigen jungen Leute
wurden durch die Herren Grünberg und Wengard flott und echt
gegeben, Frl. Reimann war die verkörperte frohe Ausgelassenheit,
und Rob. Garrison stellte als alter, in seiner Art guter, allzu nach¬
sichtiger Vater Christinens eine prachtvolle, lebenswahre Charakter¬
figur auf die Bühne. Eine Ueberraschung bot uns Frl. Janober.
Man hatte die Künstlerin schon in anderen Rollen, zuletzt in
Gabriele d'Annunzios Toter Stadt als Bianca Maria, schätzen ge¬
lernt, aber ein so tiefes, echtes, ergreifendes Empfinden, wie sie als
Sie unglückliche Christine zeigte, doch kaum in ihr gesucht. Dieser
chmerz einer treu und aufrichtig liebenden Seele über den un¬
wiederbringlichen Verlust des Geliebten wirkte erschütternd, weil er
wirklich erlebt und gefühlt wa Wir haben die Rolle zuletzt von
der Sorma gesehen, können abet feststellen, daß der Eindruck da¬
mals nicht tiefer war, als ihn gestern Frl. Janover erzielte. Mit
Anerkennung zu nennen sind endlich Hedwig Golandt als spitz¬
züngige und neugierige Strumpfwirkersgattin und Hr. Karl Haaß
als beleidigter Ehemann. Das Zusammenspiel, von Hrn. Garrison
einstudiert, ließ nichts zu wünschen übrig, nur die Dialekt ä bung
kam lediglich bei Frl. Reimann wirklich wienerisch zum Ausdruck.
In dem folgenden Lustspiel Literatur, das sich zwischen nur
drei Personen abspielt, kam der feingeschliffene und witzige
Dialog Schnitzlers trefflich heraus. Das nach sittlicher Fauk¬
nis übel duftende Trio der geschiedenen Frau, ihres zu¬
künftigen Gatten und ihres früheren Liebhabers wurde durch
Frl. Dittmar und die Herren Grünberg und Meyer=Sanden
dargestellt. Die beiden „literarischen Kameraden“ Margarete
und Gilbert, die der aristokratische Herrenreiter Clemens in München
in „genialischer“ Caféhausgesellschaft kennen gelernt hat, erschienen
als einander würdiges Paar, von dem sich der literaturfeindliche
Rennstallkulturmensch in seiner Weise wirksam abhob. Frl. Dittmar
stattete die Margarete mit allen Eigenschaften dieser Art von Frauen
aus. Mit verhaltener Pikanterie, hinterlistigem, lügnerischem,
gleisnerischem Wesen, Egoismus unter dem Schein der Uneigen¬
nützigkeit und was dergleichen schöne Züge mehr sind; nur die
Wahrheit muß in diesem mondän=konventionellen Charakterbild
fehlen. Max Grünberg traf den dumm=gespreizten Typus des
Menschen mit Pferdeverstand richtig; seine gezier“zeckigen Bewegungen
waren der Wirklichkeit abgelauscht, und die ganze Art und Weise
seines Benehmens war das Ergebnis einseitiger Gehirnausbildung
und naiber Gemütsverfassung. Den Gilbert des Hrn. Meyer¬
Sanden hätten wir gern etwas genialischer aufgefaßt gesehen, dann
wäre noch mehr Farbe in die Darstellung gekommen. Das Publi¬
kum unterhielt sich bei diesem zweiten Stückchen ebenso gut, wie es
sich von dem ersten hatte mitreißen lassen.
Liebelei.
5. J eesche
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausestigel Gebucie Kabart t
vom:
15 Juli 191)
Die Geschwister von Goethe. Hierauf Liebelei von Schnit
scher (##u#s-Theäter, Sonnabend, den 13. Juli). — Ich ging hin,
##üder Johanna Zimmermann, eine weitere Neuerscheinung
in der Phalanx des von Grund auf geänderten Ensembles, ein Urteil
zu gewinnen. Bei Pailleron hatte die Darstellerin sich unlängst in
einer Nebenrolle als „molliges Weibchen“ präsentiert. Diesmal spielte
sie das süße Wiener Mädel mit der großen tragischen Liebe in Schnitz¬
lers „Liebelei“. Und wieder war sie „mollig“, hatte ein süßes Gesichtl,
wußte ein inniges Gezwitscher schmiegsam und weich anzubringen und
große, erschrockene Augen groß und ernst aufzuschlagen. Das genügte
für die beiden ersten Akte; als aber dann die fürchterliche Herzensnot
die Hüllen des Süßen Mädeltums gewaltig sprengen sollte, um der
tragischen Gestalt des weggeworfenen, betrogenen, nun jäh zum Be¬
wußtsein seines ganzen Selbst gelangenden Weibes Raum zu geben,
da blieb das die Schalen sprengende Wachsen aus. Ein Kind schrie und
n Kleinmädel=Schmerz grollte
weinte jämmerlich=eigensinnig.
sich ungebärdig aus. Das schneidende Herzweh eines
tiefsten Kern getroffenen Weibes schrie nirgends als in uns selbst
und unseren Erinnerungen. Dazu also reichen die Kräfte der Dar¬
stellerin nicht aus. Im übrigen verstärkte mir der Abend den flüch¬
tigen günstigen Eindruck, den ich bisher von Emerich Reimers
erhielt. Der Künstler zeichnet mit stillen, ernsten, diskreten Mitteln,
die zuweilen eine gewisse Sprödigkeit zu überwinden haben, ehe sie
sich voll Bahn brechen. Sein Fritz Lobheimer war der Theaterei
sympathisch fern. Ein Bravo nebenbei der tapferen Frau Retty,
die ihre Operettensphäre verlassen hatte, um der leichtlebigen Schla¬
ger=Mizzi ihr urwüchsig sprudelndes Wiener Temperament zu leihen.
Ich würde der Künstlerin nicht ungern häufiger an geeigneter Stelle
im Schauspiel begegnen. In dem Goetheschen Einakter befestigte
Clarissa Linden die Hoffnungen, die sie kürzlich bei=Pailleron
erpeckte. Ihre Marianne war zwar äußerlich an den Konturen
gas kindlicher, backsischhafter, als man dies zärtliche Goethebild
Gewöhnlich zu sehen bekommt, aber er strömte die Fülle süßer Her¬
zensinnigkeit ungebrochen aus ihr hervor, die Goethe im Herzen lage
das Mädchen schuf. Paul Becker als schön gewachseuer
als
Wilhelm offenbarte den Fehler seines sonst klangvollen Organsim
Affekt rauh und glanzlos zu werden, deutlicher.
Dr. Egbert Delspy,
Der Humorist, een
vom:
Alünchener Brief.
ein sehr Mattel.
—Der gestrige Samstag brachte zwei Schnitzler=Abende, im
Schauspielhaus eine Reprise der „Liebelei“, mit den Damen
Rosar und Ruß, den Herren v. Duniecki, Günther und
Weyner, auf die ich zurückkomme, in den „Kammerspielen“
die Premiere des Schauspiels „Der Ruf des Lebens“ bei welcher
der anwesende Dichter für den Beifall, der mäßig bestritten wurde,
danken konnte. Gespielt wurde unter der stimmungskräftigen Regie
Direktor Ziegels sehr gut, besonders Marjam Horwitz fand
für die Sehnsucht nach Licht und Liebe fesselnden Ausdruck. Den
alten kranken Mann und seinen Vergiftungstod gestaltete Manning
ergreifend, Frau Prasch=Grevenberg findet stets echte Töne,
die zu Herzen gehen. Erich Ziegel gab dem Obersten eine wirk¬
same monumentale Nuhe, Paul Marx dem philosophischen Arzte
Geist und Wärme, Max Oswald und Wahl als Leutnants,
Stahl=Nachbaur als verschmähter Liebhaber, Jenny Spiel¬
mann als lebenstrunkene Schwindsüchtige und Emilie Unda in
der kurzen Rolle der Frau Oberst stellten ein wirksames Ensemble.
Die einzelnen Akte interessierten, manche Szene ergriff und die
Probleme fesselten. Ihre Häufung verstärkte jedoch nicht den Ein¬
druck, sondern verminderte ihn eher. Auch läßt der Dichter zu viele
Fragen offen — zweifelsohne aus künstlerischer Absicht; allein
das Ergebnis ist eben doch, daß der Zuhörer mehr verwiret als
erschüttert zur Trambahn geht.
mi
Budapert, G.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Kölnische Velkszeitung
oat.
1912
vom:
12 J
Theater und Konzerte.
Das Deutsche Theater in Köln bot am Mittwoch einen
Schnitzler=Abend, und zwar hatte man das dreiaktige Schau¬
spiel Liebelei und den Einakter Literatur gewählt, Stücke,
die man früher schon im Schauspielhaus gesehen hat. Die Liebelei,
die in einem ziemlich frivolen Wiener Milien spielt, das aber nur
dazu dient, die Tragik des zweiten Teiles vorzubereiten, gelangte
zu ganz vortrefflicher Darstellung. Die leichtlebigen jungen Leute
wurden durch die Herren Grünberg und Wengard flott und echt
gegeben, Frl. Reimann war die verkörperte frohe Ausgelassenheit,
und Rob. Garrison stellte als alter, in seiner Art guter, allzu nach¬
sichtiger Vater Christinens eine prachtvolle, lebenswahre Charakter¬
figur auf die Bühne. Eine Ueberraschung bot uns Frl. Janober.
Man hatte die Künstlerin schon in anderen Rollen, zuletzt in
Gabriele d'Annunzios Toter Stadt als Bianca Maria, schätzen ge¬
lernt, aber ein so tiefes, echtes, ergreifendes Empfinden, wie sie als
Sie unglückliche Christine zeigte, doch kaum in ihr gesucht. Dieser
chmerz einer treu und aufrichtig liebenden Seele über den un¬
wiederbringlichen Verlust des Geliebten wirkte erschütternd, weil er
wirklich erlebt und gefühlt wa Wir haben die Rolle zuletzt von
der Sorma gesehen, können abet feststellen, daß der Eindruck da¬
mals nicht tiefer war, als ihn gestern Frl. Janover erzielte. Mit
Anerkennung zu nennen sind endlich Hedwig Golandt als spitz¬
züngige und neugierige Strumpfwirkersgattin und Hr. Karl Haaß
als beleidigter Ehemann. Das Zusammenspiel, von Hrn. Garrison
einstudiert, ließ nichts zu wünschen übrig, nur die Dialekt ä bung
kam lediglich bei Frl. Reimann wirklich wienerisch zum Ausdruck.
In dem folgenden Lustspiel Literatur, das sich zwischen nur
drei Personen abspielt, kam der feingeschliffene und witzige
Dialog Schnitzlers trefflich heraus. Das nach sittlicher Fauk¬
nis übel duftende Trio der geschiedenen Frau, ihres zu¬
künftigen Gatten und ihres früheren Liebhabers wurde durch
Frl. Dittmar und die Herren Grünberg und Meyer=Sanden
dargestellt. Die beiden „literarischen Kameraden“ Margarete
und Gilbert, die der aristokratische Herrenreiter Clemens in München
in „genialischer“ Caféhausgesellschaft kennen gelernt hat, erschienen
als einander würdiges Paar, von dem sich der literaturfeindliche
Rennstallkulturmensch in seiner Weise wirksam abhob. Frl. Dittmar
stattete die Margarete mit allen Eigenschaften dieser Art von Frauen
aus. Mit verhaltener Pikanterie, hinterlistigem, lügnerischem,
gleisnerischem Wesen, Egoismus unter dem Schein der Uneigen¬
nützigkeit und was dergleichen schöne Züge mehr sind; nur die
Wahrheit muß in diesem mondän=konventionellen Charakterbild
fehlen. Max Grünberg traf den dumm=gespreizten Typus des
Menschen mit Pferdeverstand richtig; seine gezier“zeckigen Bewegungen
waren der Wirklichkeit abgelauscht, und die ganze Art und Weise
seines Benehmens war das Ergebnis einseitiger Gehirnausbildung
und naiber Gemütsverfassung. Den Gilbert des Hrn. Meyer¬
Sanden hätten wir gern etwas genialischer aufgefaßt gesehen, dann
wäre noch mehr Farbe in die Darstellung gekommen. Das Publi¬
kum unterhielt sich bei diesem zweiten Stückchen ebenso gut, wie es
sich von dem ersten hatte mitreißen lassen.