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5. Liebelei
——
Ausschnitt aus:
Wiener Mitisge. Zelt#
vom: 150K1.197.
Cheater und Kunst.
1
(BolemneAnhur Schnitzlers
„Liebelei“, mit der das Wiener „Süße Mädel“ aus
dem Leben in die Literatur eingeführt ward, wurde von
einem talentierten und versierten Tonsetzer in Musik gesetzt.
Franz Neumann, der an der Frankfurter Oper als
Kapellmeister tätig ist, genießt als Dirigent und Kom¬
ponist einen guten Ruf; er hat aus Schmitzlers „Liebelei“
weniger eine Oper im eigentliches Sinne geschaffen, als
sich auf die melodische Untermalung des Sprechgesanges be¬
schränSchnitzler: Dialog ist zu spröde, um für den
Rusikek ergiebig und befruchtend zu sein. Zumal im ersten
##fl., wo, singende Gegenwartsmenschen Zigaretten rauchen,
Wein trinken und sich mit Oberflächlichkeiten unterhalien.
Dafür „Retet der zweite Akt lyrischen und der britte Akt
drumatischen Gehalt genua, der die Komposition des Text¬
gbuches rechtfertigt. Aber auch hier ergeht sich die Invention
des Tondichters mehr im orchestralen Teile, als in breit¬
ausgesponnenen Kantilenen. Den Höhepunkt der modernen
Liebe bildet ein langer Kuß, begleitet von einem sordi¬
Fnierten Geigenthema. Ein Vorzug der Musik Neumanns
ist, daß sie mit geschmackyoller Loblesse auch über dürr¬
prosaische Stellen des Dielogs Einweggleitet und auf alle
heute beliebten Künsteleien, Mätzchen und Verstiegenheiten
verzichtei. Auf diese Weise gelingt es ihm, in der Liebes¬
und Abschirdsszene des zweiten Akts, im Verspiel zum
dritten Akt, das den tragischen Ausgang des Duells und
der jungen Liebe erraten läßt, und im Schlußaki selbst
nicht nur äußere Wirkungen zu erzielen, ondern dem
Hörer auch ans Herz zu greifen. Obgleich die Oper bereits
auf mehreeen deutschen Bühnen mit Erfolg aufgeführt
wurde und wegen ihres Inhalts so recht eigentlich nach
Wien gehört, wäre ihr gewiß kein so entschiedener, nicht
nur äußerer, Erfolg beschieden gewesen, hätte sie in der
Volksoper nicht eine so vorzügliche Darstellung gesunden.
Die Hauptgefahr liegt in der schauspielerischen Leistung der
Darsteller, sind diese war bei dem fast durchwegs neuen
Sängerensemble überraschend gut. Man wird kaum
leicht wieder gute Sänger finden, die sich auf der Bühne
im modernen Straßenkleid so ungezwungen benehmen und
singend so deutlich wie Herr Geza Brand als der lebe¬
männische Theodor und Fräulein Roeder als die köst¬
liche Grisette Mizzi Schlager. Dazu das sentimeniale
seigentlich tief=sensitive) „füße Mädel“ des Fräulein
Engel, der träumerische, unsichere Talmi=Don Juan des
Herrn Lußmann, der einen prächtigen, unverbrauchten,
wohl auch noch zu ungezügelten Tenor entfaltet, die bos¬
hafte Nachbarin des Fräulein Macha und die gemütlich
angelegte Figur des Musikers Weiling (Herr Bandler).
Das gibt ein Ensemhle, das schon allein die Aufführung
sehenswert macht und dem Stück ein anhaltendes Interesse
sichert. Auch in der Inszenierung wurde der Gegensatz
zwischen dem „vornehmen" und dem kleinbürgerlichen
Milieu sehr gut getroffen. Der Erfolg der Novität war ein
sehr starker; alle Darsteller, der anwesende Komponist,
Kapellmeister Tittl und Regisseur Markowsky
wurden wiederholt vor die Rampe gerufen. In der Hof¬
loge sah man die sympathische Erscheinung Erzherzog
Eugens, der der Premicke bis zum Schlusse beiwohnte.
Artca Schnitzler verfolfste vom Hintergrund einer Loge
a#s den Sieg seines“ musikalisch neuerweckten „Süßen
Mädels“.
000
Ausse'mitt aussene Md
#mers 1913e, Wien
vorrl:
[Volksoper.] Keine aus Schnitzlers „Liebelei“ neuge¬
formte Oper, das Schauspiet schlschthin, in der Urgestalt mit
Musik verjehen, war die heutige Novität der Volksoper. Das
Werk reicht bereits einige Jahre zurück; die Wiener Christine
und Fritz, Mizzi und Theodor sind also gerade in Wien
verhältnismäßig spät dazu gelangt, ihren, sich in wohlabge.
wogener Alltagssprache ergehenden Prosadialog zu einem illu¬
strierenden Orchester abzusingen. Wiens Opernbühnen glaubten
vielleicht das Schauspiel des Dichters mehr respektieren zu
müssen als dieser selbst. ... Der Komponist Franz Neu¬
mann, Opernkapellmeister in Trankfurt, hat mit der vielfach
musikwidrigen Aufgabe, die er sich gestellt, mit erstaunlichem
Geschick gerungen und manches, das zu bezwingen war, be¬
zwungen. Im ganzen hätte auch ein weit inspirierterer
Komponist, als dieser auß rordentlich gewandte Theatermusiker,
an dem Problemne scheitern müssen. Künstlerisch meinen wir;
gewisse Bedingungen des Erfolges sind durch die starke
theaterwirksame Dichtung unter allen Umständen gegeben. ...
Ueberraschend das wschester unter Kapellmeister Dittl,
tadellos die Inszenierung. Fräulein Engel bewährt als
Christine neuerdings ihre starke Begabung. Stimme und
Gesang scheinen allerdings der Spannungen dramalischer
Erregung zu bedürfen; ein schlichtes Volksliedchen legt da
und dort Lücken bloß. Eines schmetternden Tenors erfreut
sich Herr Lußmann; er läßt ihn nur zu reichlich
schmettern. Dem guten Fritz läge es ob, das ihm vom
Komponisten beigegebene Pathos, das zu Schnitzlers fein¬
abgestimmter Dramatik der leicht hingeworfenen Worte nicht
immer passen will, zu mildern, nicht zu übertreiben. Aus¬
gezeichnet Herr Brand als Theodor; er ist natürlich,
sompathisch, guter Kamerad beinahe mit Kutschera=Tönen.
Fräulein Röder, sonst gewandt, brachte in das Bild der
sorglosen Schlager=Mizzi den fremden Zug unwienerischer
Schärfe. Warmen Ton verleiht Herr Bandler seinem Vater
Weiring; Fräulein Macha als Frau Binder, Herr
Klein als „der Herr“ lassen nichts zu wünschen. Der Erfolg
war überaus lebhaft und rauschend, wie zumeist an den ersten
Abenden der Volksoper. Der Komponist mußte sich un¬
gezählte Male an der Seite der Darsteller zeigen. J. K.
5. Liebelei
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Ausschnitt aus:
Wiener Mitisge. Zelt#
vom: 150K1.197.
Cheater und Kunst.
1
(BolemneAnhur Schnitzlers
„Liebelei“, mit der das Wiener „Süße Mädel“ aus
dem Leben in die Literatur eingeführt ward, wurde von
einem talentierten und versierten Tonsetzer in Musik gesetzt.
Franz Neumann, der an der Frankfurter Oper als
Kapellmeister tätig ist, genießt als Dirigent und Kom¬
ponist einen guten Ruf; er hat aus Schmitzlers „Liebelei“
weniger eine Oper im eigentliches Sinne geschaffen, als
sich auf die melodische Untermalung des Sprechgesanges be¬
schränSchnitzler: Dialog ist zu spröde, um für den
Rusikek ergiebig und befruchtend zu sein. Zumal im ersten
##fl., wo, singende Gegenwartsmenschen Zigaretten rauchen,
Wein trinken und sich mit Oberflächlichkeiten unterhalien.
Dafür „Retet der zweite Akt lyrischen und der britte Akt
drumatischen Gehalt genua, der die Komposition des Text¬
gbuches rechtfertigt. Aber auch hier ergeht sich die Invention
des Tondichters mehr im orchestralen Teile, als in breit¬
ausgesponnenen Kantilenen. Den Höhepunkt der modernen
Liebe bildet ein langer Kuß, begleitet von einem sordi¬
Fnierten Geigenthema. Ein Vorzug der Musik Neumanns
ist, daß sie mit geschmackyoller Loblesse auch über dürr¬
prosaische Stellen des Dielogs Einweggleitet und auf alle
heute beliebten Künsteleien, Mätzchen und Verstiegenheiten
verzichtei. Auf diese Weise gelingt es ihm, in der Liebes¬
und Abschirdsszene des zweiten Akts, im Verspiel zum
dritten Akt, das den tragischen Ausgang des Duells und
der jungen Liebe erraten läßt, und im Schlußaki selbst
nicht nur äußere Wirkungen zu erzielen, ondern dem
Hörer auch ans Herz zu greifen. Obgleich die Oper bereits
auf mehreeen deutschen Bühnen mit Erfolg aufgeführt
wurde und wegen ihres Inhalts so recht eigentlich nach
Wien gehört, wäre ihr gewiß kein so entschiedener, nicht
nur äußerer, Erfolg beschieden gewesen, hätte sie in der
Volksoper nicht eine so vorzügliche Darstellung gesunden.
Die Hauptgefahr liegt in der schauspielerischen Leistung der
Darsteller, sind diese war bei dem fast durchwegs neuen
Sängerensemble überraschend gut. Man wird kaum
leicht wieder gute Sänger finden, die sich auf der Bühne
im modernen Straßenkleid so ungezwungen benehmen und
singend so deutlich wie Herr Geza Brand als der lebe¬
männische Theodor und Fräulein Roeder als die köst¬
liche Grisette Mizzi Schlager. Dazu das sentimeniale
seigentlich tief=sensitive) „füße Mädel“ des Fräulein
Engel, der träumerische, unsichere Talmi=Don Juan des
Herrn Lußmann, der einen prächtigen, unverbrauchten,
wohl auch noch zu ungezügelten Tenor entfaltet, die bos¬
hafte Nachbarin des Fräulein Macha und die gemütlich
angelegte Figur des Musikers Weiling (Herr Bandler).
Das gibt ein Ensemhle, das schon allein die Aufführung
sehenswert macht und dem Stück ein anhaltendes Interesse
sichert. Auch in der Inszenierung wurde der Gegensatz
zwischen dem „vornehmen" und dem kleinbürgerlichen
Milieu sehr gut getroffen. Der Erfolg der Novität war ein
sehr starker; alle Darsteller, der anwesende Komponist,
Kapellmeister Tittl und Regisseur Markowsky
wurden wiederholt vor die Rampe gerufen. In der Hof¬
loge sah man die sympathische Erscheinung Erzherzog
Eugens, der der Premicke bis zum Schlusse beiwohnte.
Artca Schnitzler verfolfste vom Hintergrund einer Loge
a#s den Sieg seines“ musikalisch neuerweckten „Süßen
Mädels“.
000
Ausse'mitt aussene Md
#mers 1913e, Wien
vorrl:
[Volksoper.] Keine aus Schnitzlers „Liebelei“ neuge¬
formte Oper, das Schauspiet schlschthin, in der Urgestalt mit
Musik verjehen, war die heutige Novität der Volksoper. Das
Werk reicht bereits einige Jahre zurück; die Wiener Christine
und Fritz, Mizzi und Theodor sind also gerade in Wien
verhältnismäßig spät dazu gelangt, ihren, sich in wohlabge.
wogener Alltagssprache ergehenden Prosadialog zu einem illu¬
strierenden Orchester abzusingen. Wiens Opernbühnen glaubten
vielleicht das Schauspiel des Dichters mehr respektieren zu
müssen als dieser selbst. ... Der Komponist Franz Neu¬
mann, Opernkapellmeister in Trankfurt, hat mit der vielfach
musikwidrigen Aufgabe, die er sich gestellt, mit erstaunlichem
Geschick gerungen und manches, das zu bezwingen war, be¬
zwungen. Im ganzen hätte auch ein weit inspirierterer
Komponist, als dieser auß rordentlich gewandte Theatermusiker,
an dem Problemne scheitern müssen. Künstlerisch meinen wir;
gewisse Bedingungen des Erfolges sind durch die starke
theaterwirksame Dichtung unter allen Umständen gegeben. ...
Ueberraschend das wschester unter Kapellmeister Dittl,
tadellos die Inszenierung. Fräulein Engel bewährt als
Christine neuerdings ihre starke Begabung. Stimme und
Gesang scheinen allerdings der Spannungen dramalischer
Erregung zu bedürfen; ein schlichtes Volksliedchen legt da
und dort Lücken bloß. Eines schmetternden Tenors erfreut
sich Herr Lußmann; er läßt ihn nur zu reichlich
schmettern. Dem guten Fritz läge es ob, das ihm vom
Komponisten beigegebene Pathos, das zu Schnitzlers fein¬
abgestimmter Dramatik der leicht hingeworfenen Worte nicht
immer passen will, zu mildern, nicht zu übertreiben. Aus¬
gezeichnet Herr Brand als Theodor; er ist natürlich,
sompathisch, guter Kamerad beinahe mit Kutschera=Tönen.
Fräulein Röder, sonst gewandt, brachte in das Bild der
sorglosen Schlager=Mizzi den fremden Zug unwienerischer
Schärfe. Warmen Ton verleiht Herr Bandler seinem Vater
Weiring; Fräulein Macha als Frau Binder, Herr
Klein als „der Herr“ lassen nichts zu wünschen. Der Erfolg
war überaus lebhaft und rauschend, wie zumeist an den ersten
Abenden der Volksoper. Der Komponist mußte sich un¬
gezählte Male an der Seite der Darsteller zeigen. J. K.