II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1132

5. Liebelei
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Neues Wiener Tagblatt.
15. Oktober 1913.
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Diesen hat Schnitzler ausgefüllt durch eine aus= Städten sogar gefallen hat. Auch das Publikum der
giebige Milieuschilderung, die ebenso reizvoll wie Volksoper zeigte sich gelegentlich der gestrigen
notwendig ist. Da wir es mit Gegenwartsmenschen Erstaufführung des immerhin beachtenswerten
zu tun haben, so hängt auch das ganze Drum und
Werkes sehr angeregt, es ratifizierte das günstige
Dran dieser Komödie mit den gewöhnlichsten Er¬
Urteil des Auslandes und bereitete der Neuheit eine
scheinungen des täglichen Lebens zusammen.
sehr warme, herzliche Aufnahme. Wenn die Anzeichen
Niemand kann daran Anstoß nehmen, daß Theodor
nicht trügen, dürfte die Oper sich längere Zeit im
mit englischem Akzent folgendes zum besten gibt:
Spielplan erhalten. Ein großes Verdienst an dem Er¬
„Eine Tischentuch. Erinnerst du dich nicht an den kleine
folge kommt der Aufführung zu, die in jeder Hinsicht
Clown im Orpheum? Das ist eine Blech. Das ist eine
ausgezeichnet war. Fräulein Engel brachte für die
Pikkolo.“ Niemand wird darüber verwundert sein,
Christine alles mit, bis auf das gewisse Blond eines
wenn Theodor seiner Mitzi zuruft: „Diese Namen
Wiener Vorstadtmädels. Ihre vielseitige Begabung
kennst du wohl aus dem Militärschematismus.“ Aber
läßt sie niemals im Stich. Auch diesmal zeigte sie
jeder wird bedenklich das Haupt schütteln, wenn man
sich als interessante Sängerin, die obendrein das
ihm sagen wird, daß all dies seriös in Musik gesetzt
Glück hat, einen sehr schönen Sopran ihr Eigen zu
worden ist.
nennen. Ein reizender Gegenpart war Fräulein
Und der am meisten sein Haupt schüttelte, war
[Roeder als Mitzi Schlager. Die Rolle ist musikalisch
selbstverständlich Artur Schnitzler, der wohl mit
stiefmütterlich bedacht, die charmante Künstlerin weiß
Grillparzer gedacht haben mag, die Poesie will den
ihr trotzdem vieles abzugewinnen. Die junge Dame,
Geist verkörpern, die Musik das Sinnliche ver¬
die sich unlängst als Koloratursängerin trefflich ein¬
geistigen. Durin liegt beider Wesen und der Grund
führte, toird in der Spieloper prächtig zu verwenden
ihrer Verschiedenheit. Seiner Basis aber kann nichts
sein. Sieghaft schlug wieder der strahlende Tenor
Fortschreitendes ungestraft untreu werden, darum
des Herrn Lußmann durch, dem die Rolle des
usschinitt aus:
Nonde Wiener Tigbiat, Wien
auch nie die Poesie dem Begriff und die Musik nie
Helden, des Fritz Lobheimer, zugefallen war. Sehr
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dem Sinn. Sehr wohl wußte Schnitzler, daß die
liebenswürdig waren Herr Brand als Freund
im:
Musik die Offiziersnamen des Schematismus nicht
Theodor, charakteristisch in Gesang und Spiel Herr
vergeistigen könne. Nichts natürlicher also, als daß
Bandler, der Vertreter des alten Vaters Weiring,
er die Umwandlung seines Schauspieles in eine
und bemerkenswert in kleineren Rollen Fräulein
Oper als eine unmögliche Zumutung abgelehnt hat.
Macha und Herr Klein. Herr Markowsky
Aber Franz Neumann, der, ehe er anfragte, mit
Theater, Kunst und Titeratur.
bewährte sich neuerlich als geschmackvoller Regisseur,
der Komposition fast schon fertig war, appellierte an
er stellte sehr schöne und intime Bühnenbilder. Be¬
das Herz des Dichters, das sich nun doch erweichen
sonderes Lob gebührt dem Orchester, das unter der
Schnitzlers „Liebelei als Oper.
ließ. So wurde denn die „Liebelei" ohne die geringste
befeuernden Leitung des Kapellmeisters Tittel noch
Aufführung in der Volksoper.
Aenderung, ohne jedwede Auslassung vertont.
selten so glänzend gespielt hat wie gestern. Das
Franz Neumann, ein Oesterreicher, der seit
Artur Schnitzler, der tiefsinnige Wiener
Publikum zeichnete den Komponisten durch viele
einem Jahrzehnt als Kapellmeister am Frankfurter
Dichter, hat auch ein feines Ohr für die Musik. Ein
Hervorrufe aus. Am=Schlusse der Vorstellung erschien
Stadttheater wirkt, ist nicht die starke Persönlichkeit,
Poet von edelstem Geblüt, wie er es ist, vermag sich
auch Schni#rer, er wurde stürmisch akklamiert.
die das Unmögliche möglich hätte machen können.
der Eindrücke nicht zu erwehren, die die Macht der
Ludwig Karpath.
Offenbar angelockt von dem Beispiele Richard
Tonkunst auf jedes zartbesaitete Gemüt ausübt. Und
Strauß', der, beiläufig gesagt, sein musikalischer Ahn¬##
wer empfände zarter und reiner als ein wahrhaftiger
herr ist, hat Neumann ein erfolgreiches Schauspielf
Dichter, der die Geheimnisse unsrer Seele erlauscht
musikalisch untermalen wollen. Aber die „Liebelei“
und mit verstärkte. Empfindung offenbart! Wie
ist nicht „Salome“ und nicht „Elektra“, der Schau¬
mändervoll versteht es gerade Schnitzler, das Gemeine
platz nicht der Palast des Herodes, nicht die Stadt;
Des Alltags zu verklären, die rauhe Wirklichkeit durch
Mykene. Und dann, was Strauß erlaubt ist, bleibt
die dichterische Form milder erscheinen zu lassen!
allen andern noch lange versagt. Die Frage ob
Das Schauspiel „Liebelei“ hat Schnitzlers Namen
Schnitzlers „Liebelei“ bar aller musikalischen
berühmt gemacht, es ist ein Beispiel dafür, mit
Elemente ist, läßt sich nicht kurzweg verneinen. Eine
welchem Auge ein Poet die Menschlichkeiten des
Liebesszene ist immer musikalisch zu gestalten, also
Lebens erschaut, wie er sich dessen bewußt ist, daß
auch die der „Liebelei". Vielleicht hätte man aus dem
man den Schleier nicht ganz in die Höhe ziehen, daß
Schauspiel ein brauchbares Opernlibretto machen
man nicht mit plumper Hand zutappen darf, wo man
können. Fraglos ist nur, daß die Vertonung des
das Gefühl des Empfangenden anrufen will.
Schauspiels in dessen Urform untunlich war. Man
Wie teilnahmslos stünden wir dem „Süßen
berufe sich nicht auf Puccini, der j ebenfalls Dinge
Mädel“, dieser Christine gegenüber, kennten wir alle
und Situationen des Alltags musikalisch zu
Phasen ihrer Liaison mit dem jungen Lebemann
illustrieren versucht hat. Die eindringliche, süße
Fritz, der wegen einer andern Frau im Duell er¬
Melodik Puccinis schlägt alle Argumente tot. Hätten
schossen wird. Die Stürme in dem Herzen Christinens
die Einfälle des Herrn Neumann eine wuchtende, be¬
bewegen uns, weil sie es nicht weiß, daß mit ihrer
zwingende Kraft, sicherlich würde sein Werk von einem
Empfindung bloß getändelt, gespielt wurde. Hätte
andern Gesichtspunkte aus beurteilt werden. Das ist
sie sich mit vollem Vorbedacht den Freuden und
aber nicht der Fall und so sehen wir immer nur
kleinen Leiden eines landläufigen Liebesverhältnisses
Artur Schnitzler mit seinem Meisterstück vor uns,
hingegeben, was würde uns das weiter anfechten.
dem Herr Neumann Gewalt angetan hat. Wie sehr
Der Flirt eines jungen Mannes aus der guten
der Komponist gefühlt haben mag, daß die vor¬
Gesellschaft erregt nicht unser Interesse, er ist eine
handenen Worte nicht ausreichen zur Erschöpfung
alltägliche Erscheinung, eine Liebelei, der man gar
des Stimmungsgehalts, beweist seine Flucht in das
keine Bedeutung beimißt. Da ist ja das zweite Paar,
Orchester. Nicht weniger als drei große Instrumental¬
die Mizzi Schlager und der Theodor. Die wissen
nummern sind in dieser Oper enthalten, als wollte
genau Bescheid und warten förmlich auf den Augen¬
der Komponist gleichsam im Orchester aussprechen,
blick, in dem mit einer flüchtigen Träne der Abschied
wozu ihm auf der Bühne kaum Gelegenheit geboten
für immer erfolgt. Aber Christine! Sie glaubt an
wird. Er hat uns leider nichts geschenkt, was die
eine aus der tiefsten Tiefe quellende Liebe, sie ist
Banalität seines Unternehmens hätte mildern
sicher, daß Fritz früher oder später ihr alleiniger
können, nicht einmal den Marsch von J. F. Wagner
Besitz sein werde. Darum haben wir Mitleid mit ihr,
„Unter dem Doppeladler“, unter dessen Klängen wir
als es ihr zum Bewußtsein gelangt, daß sie nur
zur Wacheablösung in den Burghof zu marschieren
Gegenstand einer „Liebelei“ gewesen sei. Aus dem¬
gewöhnt sind. Man müßte von einem geringen Maß
selben Grunde wendet sich unsre Teilnahme ihrem
künstlerischen Denkens und Empfindens sprechen,
Vater, dem alten Theatergeiger Weiring zu. Auch
der war in dem Irrwahne befangen, der reiche
würde Herr Neumann nicht auch Eigenschaften auf¬
S#dtherr müßte es ernst meinen. Zwar Weiring,
zuweisen haben, die das Gegenteil bekunden. Er
! ded im Theaterleben erfahrene Mann, hätte steptisch
ist zweifellos ein ausgezeichneter Musiker, ein starker