Grillparzer gedacht haben mag, die Poesie will den ihr trotzdem vieles abzugewinnen. Die junge Dame,
Geist verkörpern, die Musik das Sinnliche ver= die sich unlängst als Koloratursängerin trefflich ein¬
geistigen. Darin liegt beider Wesen und der Grundführte, wird in der Spieloper prächtig zu verwenden
ihrer Verschiedenheit. Seiner Basis aber kann nichts
sein. Sieghaft schlug wieder der strahlende Tenor
Fortschreitendes ungestraft untreu werden, darum
des Herrn Lußmann durch, dem die Rolle des
usschnitt aus:
auch nie die Poesie dem Begriff und die Musik nie
Nonse Wiener Wagblatt Wien
Helden, des Fritz Lobheimer, zugefallen war. Sehr
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dem Sinn. Sehr wohl wußte Schnitzler, daß die liebenswürdig waren Herr Brand als Freund
im:
Musik die Offiziersnamen des Schematismus nicht Theodor, charakteristisch in Gesang und Spiel Herr
vergeistigen könne. Nichts natürlicher also, als daß
Bandler, der Vertreter des alten Vaters Weiring,
ser die Umwandlung seines Schauspieles in eine
und bemerkenswert in kleineren Rollen Fräulein
Oper als eine unmögliche Zumutung abgelehnt hat.
Macha und Herr Klein. Herr Markowsky
Aber Franz Neumann, der, ehe er anfragte, mit
bewährte sich neuerlich als geschmackvoller Regisseur,
Theater, Kunst und Titeratur.
der Komposition fast schon fertig war, appellierte an
er stellte sehr schöne und intime Bühnenbilder. Be¬
das Herz des Dichters, das sich nun doch erweichen
sonderes Lob gebührt dem Orchester, das unter der
Schnitzlers „Liebelei als Oper.
ließ. So wurde denn die „Liebelei“ ohne die geringste
befeuernden Leitung des Kapellmeisters Tittel noch
Aufführung in der Volksoper.
Aenderung, ohne jedwede Auslassung vertont.
selten so glänzend gespielt hat wie gestern. Das
Franz Neumann, ein Oesterreicher, der seit
Publikum zeichnete den Komponisten durch viele
Artur Schnitzler, der tiefsinnige Wiener
einem Jahrzehnt als Kapellmeister am Frankfurter
Dichter, hat auch ein feines Ohr für die Musik. Ein
Hervorrufe aus. Am=Schlusse der Vorstellung erschien
Stadttheater wirkt, ist nicht die starke Persönlichkeit,
Poet von edelstem Geblüt, wie er es ist, vermag sich
auch Schnieter, er wurde stürmisch akklamiert.
die das Unmögliche möglich hätte machen können.
der Eindrücke nicht zu erwehren, die die Macht der
Ludwig Karpath.
Offenbar angelockt von dem Beispiele Richard
Tonkunst auf jedes zartbesaitete Gemüt ausübt. Und
Strauß', der, beiläufig gesagt, sein musikalischer Ahn¬#
wer empfände zarter und reiner als ein wahrhaftiger
Dichter, der die Geheimnisse unsrer Seele erlauscht herr ist, hat Neumann ein erfolgreiches Schauspiel
und mit verstärkter Empfindung offenbart! Wie musikalisch untermalen wollen. Aber die „Liebelei“
ist nicht „Salome“ und nicht „Elektra“, der Schau¬
mlndervoll versteht es gerade Schnitzler, das Gemeine
½ des Alltags zu verklären, die rauhe Wirklichkeit durch
platz nicht der Palast des Herodes, nicht die Stadt
Mykene. Und dann, was Strauß erlaubt ist, bleibt
die dichterische Form milder erscheinen zu lassen!
allen andern noch lange versagt. Die Frage ob
Das Schauspiel „Liebelei“ hat Schnitzlers Namen
Schnitzlers „Liebelei“ bar aller musikalischen
berühmt gemacht, es ist ein Beispiel dafür, mit
Elemente ist, läßt sich nicht kurzweg verneinen. Eine
welchem Auge ein Poet die Menschlichkeiten des
Liebesszene ist immer musikalisch zu gestalten, also
Lebens erschaut, wie er sich dessen bewußt ist, daß
auch die der „Liebelei". Vielleicht hätte man aus dem
man den Schleier nicht ganz in die Höhe ziehen, daß
Schauspiel ein brauchbares Opernlibretto machen
man nicht mit plumper Hand zutappen darf, wo man
können. Fraglos ist nur, daß die Vertonung des
das Gefühl des Empfangenden anrufen will.
Schauspiels in dessen Urform untunlich war. Man
Wie teilnahmslos stünden wir dem „Süßen
berufe sich nicht auf Puccini, der ja ebenfalls Dinge
Mädel“, dieser Christine gegenüber, kennten wir alle
und Situationen des Alltags musikalisch zu
Phasen ihrer Liaison mit dem jungen Lebemann
illustrieren versucht hat. Die eindringliche, süße
Fritz, der wegen einer andern Frau im Duell er¬
Melodik Puccinis schlägt alle Argumente tot. Hätten
schossen wird. Die Stürme in dem Herzen Christinens
die Einfälle des Herrn Neumann eine wuchtende, be¬
bewegen uns, weil sie es nicht weiß, daß mit ihrer
zwingende Kraft, sicherlich würde sein Werk von einem
Empfindung bloß getändelt, gespielt wurde. Hätte
andern Gesichtspunkte aus beurteilt werden. Das ist
sie sich mit vollem Vorbedacht den Freuden und
aber nicht der Fall und so sehen wir immer nur
kleinen Leiden eines landläufigen Liebesverhältnisses
Artur Schnitzler mit seinem Meisterstück vor uns,
hingegeben, was würde uns das weiter anfechten.
dem Herr Neumann Gewalt angetan hat. Wie sehr
Der Flirt eines jungen Mannes aus der guten
der Komponist gefühlt haben mag, daß die vor¬
Gesellschaft erregt nicht unser Interesse, er ist eine
handenen Worte nicht ausreichen zur Erschöpfung
alltägliche Erscheinung, eine Liebelei, der man gar
des Stimmungsgehalts, beweist seine Flucht in das
keine Bedeutung beimißt. Da ist ja das zweite Paar,
Orchester. Nicht weniger als drei große Instrumental¬
die Mizzi Schlager und der Theodor. Die wissen
nummern sind in dieser Oper enthalten, als wollte
genau Bescheid und warten förmlich auf den Augen¬
der Komponist gleichsam im Orchester aussprechen,
blick, in dem mit einer flüchtigen Träne der Abschied
wozu ihm auf der Bühne kaum Gelegenheit geboten
für immer erfolgt. Aber Christine! Sie glaubt an
wird. Er hat uns leider nichts geschenkt, was die
eine aus der tiefsten Tiefe quellende Liebe, sie ist
Banalität seines Unternehmens hätte mildern
icher, daß Fritz früher oder später ihr alleiniger
können, nicht einmal den Marsch von J. F. Wagner
# Besitz sein werde. Darum haben wir Mitleid mit ihr,
„Unter dem Doppeladler“, unter dessen Klängen wir
als es ihr zum Bewußtsein gelangt, daß sie nur
zur Wacheablösung in den Burghof # marschieren
Gegenstand einer „Liebelei“ gewesen sei. Aus dem¬
gewöhnt sind. Man müßte von einem geringen Maß
selben Grunde wendet sich unsre Teilnahme ihrem
künstlerischen Denkens und Empfindens sprechen,
Vater, dem alten Theatergeiger Weiring zu. Auch
würde Herr Neumann nicht auch Eigenschaften auf¬
der war in dem Irrwahne befangen, der reiche
zuweisen haben, die das Gegenteil bekunden. Er
R#dtherr müßte es ernst meinen. Zwar Weiring,
ist zweifellos ein ausgezeichneter Musiker, ein starker
im Theaterleben erfahrene Mann, hätte skeptisch
Könner, ein glänzender Orchestrator, ein Mann von
sein dürfen, aber sein Vaterherz konnte, wollte es
Geschmack, der sich sehr gewählt auszudrücken weiß.
nicht zugeben, daß ein „süßes Mädel“ wie Christine
Es hat fast den Anschein, als hätte es Neumann auf
zum Opfer eines vorübergehenden Sinnentaumels
eine Art Justamentstück abgesehen gehabt.
berabgewürdigt werden könnte. Und als Christine
sach ihren Hut aufsetzt und davonläuft, wissen wir
Dort wo die Dichtung der Musik entgegen¬
auch nicht, was ihr Vorhaben sei. Alles bleibt
kommt, findet auch Neumann starke dramatische
unausgesprochen in diesem Stücke, man kann
Höhepunkte. Am wohlsten fühlt er sich in zarten
manches ahnen, manches erraten, aber wir werden
Stimmungsmalereien, in der Ausnützung alles
nur zu der einzigen Erkenntnis geführt: von dem
Lyrischen. Zwar eine originelle Note vermag Neu¬
tiefen Weh, das in der Welt verbreitet wird,
mann nirgends anzuschlagen, aber er ist außer¬
und der Schnödigteit einer verwerflichen Welt¬
ordentlich gewandt als Nachempfinder, als welcher
anschauung.
er große Beachtung verdient. Die Szene zwischen
Mit dem Seherauge des Dichters hat Schnitzler Christine und Fritz am Schluß des zweiten Aktes
diese Dinge gesehen, mit der Hand des Künstlers hat legitimiert Herrn Neumann als talentvollen Opern¬
er seine Gestalten geformt, ihnen Leben eingehaucht,
komponisten, dem nur zu wünschen wäre, daß er sich
gerade so viel Leben als er für notwendig hielt, das
in Zukunft nicht in Schrullen verbeiße. Das Merk¬
Bild nicht verschwimmen zu lassen. Die Psychologie
würdigste ist, daß die Oper „Liebelei“, als Ganzes
der einzelnen Charaktere ist immer nur angedeutet,
betrachtet, keinen belästigenden Eindruck hinterläßt.
niemals ganz durchgeführt. Diese Knappheit der Man lächelt einigemal, aber man schickt sich dann
Zeichnung ist das künstlerisch Bedeutende. Aber ein olne Murren in das Unvermeidliche. Noch merk¬
Thegterstück in drei Akten braucht einen Rahmen wärdiger ist, daß diese Oper in zahlreichen deutschen