II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1140

Liebele1
5 box 12/4
Ausschnitt aus Armeeblatt, Wien
760KT 1972
vom:
1
olksop Oesterreich gebürtige, derzeit in
Frankfurt als Stadttheaterkapellmeister wirkende Musiker Franz
Neumann, hat sich schon vor drei Jahren angeregt gefunden,
Schnitzlers Tragödie „Liebelei“, eine Süsse Mädel-Geschichte
im Wiener Volkston, als Oper zu bearbeiten. Als ein starkes
Talent der modernen Musikrichtung, fand er die poetischen Motive
und theatralisch wirksamen Gegensätze, die in Schnitzlers Bühnen¬
werk liegen, feinfühlig heraus und er versprach sich mit Recht
auch für sich einen grossen Erfolg. Durch Studium und Routine
mit allen Effekten neuzeitlicher Orchesterbehandlung wohl ver¬
traut, und gewohnt mit grossen Mitteln auf den höchsten Klang¬
effekt hinzuarbeiten, vergrift er sich leider in der Dosierung der
dramatischen Accente, indem er bei fast Wagnerischen Leitmotiv¬
grundsätzen nach Tristan und Isoldeschem Vorbilde, seine Aus¬
drucksformen in wuchtigster Linienführung häufig zu einem wahr¬
haften Tonorkan anschwellen lässt, was bei der zarten, duftigen
und — sicherlich etwas banalen Handlung des Textbuches, zu
krassen Unstimmigkeiten zwischen den Bühnen- und Orchester¬
vorgängen führt. Ausserdem beging Neumann leider den un¬
begreiflichen Missgrift, den sich vor ihm schon Puccini in seiner
„Bohème“ zu Schulden kommen liess, dass er den unpoetischen
Text des Schauspiels tale quale als Libretto übernahm, so dass er
an dessen unbesiegbaren Geschmacklosigkeiten Schaden nehmen
musste. Man versuche es nur einmal einen Satz wie „Ab. Du hast
ein Konversations-Lexikon“ (I. Akt, 6. Szene) mit der Begleitung
von gröhlenden Bässen, gestopften Hörnern, sordinierten Violinen,
umgaukelt von Triolenpassagen durchgehaltenen Nonenakkorden
und Harfenarpeggien singen zu lassen. Es ist dabei eben un¬
möglich zu vermeiden, dass das Orchester meist für sich deklamiert
und die nach dem Takte skandierenden armen Sänger stellenweise
Gsoliert dastehen lässt.
Die Handlung der Liebelei ist vom Burgtheater und
Deutschen Volkstheater her bekannt.
Ohne Vorspiel, gleich mit einem kontrapunktisch sehr
geistreich behandelten dunklen Bläsermotiv einsetzend, das wir das
Verführungsmotiv“ nennen möchten, spielt sich genau wie im
Schauspiel zunächst die Souperszene ab, die aber leider lange nicht
so Wienerisch milieuecht wirkt, weil die gedehnten, gesungenen
Wechselreden wie Bleiballast auf die Stimmung drücken Auch
war die Hauptrolle der Schlager Mizzi mit Fräulein Roeder
nicht so besetzt, um, wie es für den späteren Gegensatz nötig ist,
wirklich tolle Laune aufkommen zu lassen. Die sentimentale,
unauf hörlich tränenschwere Christine, von Fräulein Engel in
Gestalt, Haltung und Gesang wunderbar, geradezu ideal dargestellt,
transponiert ja ohnehin die ganze Angelegenheit vom 2. Akte an
dauernd nach Moll, und da im 3. Akte auch noch die schwarzen
Leichenansager aufmarschieren, kommt man aus der Trauerstim¬
mung überhaupt nicht mehr heraus. Trotzdem muss betont werden,
dass der Musik viel Schönheiten nachzurühmen sind, und dass die
Aufführung auch sehr geeignet war, diese mit allen Fassetten
glänzen zu lassen.
Der Tener Herr Lussmann hatte sehr schöne Momente,
wenn auch mitunter die ungehemmt entwickelte Fülle seines herr¬
lichen Organs den Rahmen des armseligen Dachstübchens
Christinens zu sprengen drohte. Sehr diskret war sein Partner,
Herr Brand, hervorragend Herr Bandler als Vater. Dies
Ausstattung war sehr stimmungsvoll, durchaus lobenswert. Der¬
Abend war sehr genussreich, denn bei allen kleinen Schwächen der
musikalischen Konzeption stehen wir unverkennbar vor einem be¬
deutenden Werke, dessen stellenweise grossartigen Tonmalereien,
für die wenigen dramatischen Uebertreibungen reichlich ent¬
schädigen. Zudem geht der Komponist erfreulicherweise ganz
neue Wege in der Melodiefführung und er versteht es auch, ganz
überraschende Orchesterep-kte zu erzielen. Dank den ausgezeich¬
neten Leistungen des herrlichen, von Tittel geleiteten
Orchesters, gestaltete yich die Aufführung zu einer glänzenden und
jja zu einer überraschenden
sehr interessanten Verinstaltung,
Sensafion, Der Beißll war stürmisch und anhaltend, weil wohl¬
verdibut.
Ausschnitt aus: Linzer Tadespbet
vom:
11611103
0#
Proßnitz.
(Erstaufführung der Oper „Liebelei“ vom ehemaligen
Linzer Thealerkap#eister Franz Neumann in Wien.) Aus
Wien wirdjus gesthrieben: In der Saison 1900/01 wirkte ein
blutjunger Kzellmeiser, Franz Neumann, an der Linzer
Bühne, derssschon datials sehr Tüchtiges leistete und nur wegen
seiner allzuktemperämentvollen Bewegungen beim Dirigieren oft
den Ernst der Stimmung gefährdete. Wie er erzählt, war er,
selbst ein Würstlerssohn aus Proßnitz, nicht gar lange vor
seiner Kapellmeisterlaufbahn Lehrling beim bekannten Selcher
Weißhappel in Wien, wo er in den Pausen zwischen der Tag= uni
Nachtarbeit fleißig die Hofoper besuchte. Nach Absolvierung dei
Handelsakademie machte er das Freiwilligenjahr und nachher
in einem Jahre bei dem berühmten Mozartinterpreten Reineck¬
in Leipzig die gesamten Konservatoriumsstudien. In Linz kan
schon eine Oper Neumanns, „Die Brautwerbung“ zu
erfolgreicher Aufführung. Auf dem Umwege über Reichenberg
und Teplitz erlangt er einen Kapellmeisterposten in Frankfurt an¬
Main, einem der reichsten Operninstitute Deutschlands, an den
er nun schon neun Jahre in hervorragender Stellung wirkt und
noch weitere Jahre engagiert bleibt. Der Erfolg der Oper
„Liebelei“ an der Volksoper in Wien wird ihm jedoch balt
den Weg in die österreichische Kaiserstadt ebnen.
Neumann begegnete anfangs dem Widerstande de¬
Dichters der „Liebelei“, des preisgekrönten Wiener Literater
Dr. Artur Schnitzler. Als ihm jedoch Neumann den schor
vollendeten ersten Akt vorgespielt hatte, willigte Schnitzlei
ein. Er wohnte auch der Uraufführung des Tonwerkes in Frank¬
furt a. M. bei, der seither die Aufführungen an 26 Bühner
folgten. Wir zweifeln nicht, daß nach dem Wiener Erfolge aud
die österreichischen Provinztheuterdirektoren nach der Partitu
zreifen werden. Denn der Beifall, der nach allen Aktschlüsser
den Kompenisten ungezählte Male vor die Rampe rief, war ein
Tissed=Post.
chrlicher und einmätiger. Auch die Zwischenspiele nuach, deir.
ersten und zweiten Akte wurden lebhaft akklamiert. Selbst die
das stumme Spiel Christinens im letzten Akte begleitende Musik
übte ungetrübte, tiefe Wirkung, so daß man den Erfolg nicht etwe
auf Rechnung des Textes allein setzen kann. Daß sich Neuman
eine riesig schwere Aufgabe gestellt hat, als er Schnitzlers Tra#
gödie des süßen Mädels Wort für Wort in dem Wiene Dialek¬
in Musik setzte (ganz kleine Textkürzungen abgesehen), in richtig
Es ist ihm aber doch gelungen, das schwere Rätsel zu lösen.=Natür
lich mußte er, wenn er dem modernen Geschmacke entgegenkomt
men wollte, schwerere Mittel anwenden, als vielleicht zu den
einfachen Sujet passen. Andernfalls hätte man ihm wahrschein.
lich den Hang zur Operette vorgeworfen. Jedenfalls hat Neu
mann den Vorzug, daß seine den Dialog geschickt illustrierends
Musik nie langweilt und nie geschmacklos ist. Seine Leitmotiv¬
sind nicht aufdringlich, seine Instrumentierung ist farbenreich uni
sehr geschickt. Geschlossene Formen vermeidet er absichtlich, das
einzige Lied Christinens ist nur eine Transkription aus eine
volkstümlichen Liedersammlung. Neumann ist also auch ein ehr
licher Musiker, der sich nicht mit fremden Federn schmückt. Se
hat er denn auch den ersten Kranz, den er erhielt, dem verdienter
Wiener Kollegen Tittel zugeworfen und Schnitzler, der sie
in der ersten Parterteloge verborgen hielt, durch Gebärden auf
gefordert, den Triumph mit ihm zu teilen. Schnitzler erschie
aber erst auf der Bühne, als sich das Haus nach langen Hervor
rufen endlich schon halb geleert hatte, was eine Kritikerin ga
nicht abwartete.
Auf diese Art kommen ganz falsche Berichte in die Blätter
Das größte Verdienst an der gestrigen Aufführung gebühr
wohl Herrn Direktor Rainer Simons, der wieder einmal de
Hofover zuvorkam. Die Volksoper führte gute Kräfte ins Treffer
Der Tenorist Lußmann (Fritz) schmetterte seine höchsten Tön
fast mit zu viel Wucht mit der Trompete um die Wette in da
volle Haus. Das hochbegabte Fräulein Engel (Christine
rührte die Zuhörer bis zu Tränen. Herrn Brands klangvolle
Bariton paßte gut zu dem warmfühlenden Freunde Theodor
Selbst ein Neuling, Herr Klein, gab den beleidigten Ehemam
angemessen und Fräulein Macha wußte der Strumpfwirkerin
(diese Rolle ist gekürzt) komische Seiten abzugewinnen. Herr
Bandier, ein prächtiger van Bet, gestaltete den alten Musiker
sehr rührend=schlicht. Nur an Stelle der Fr. Roeder (Migzi)
hätten wir lieber das schalkhafte Fräulein Musil gesehen. Dis
Inszenierung leitete Herr Markows Ly“ansprechend, das Or¬
chester hielt sich sehr tapser. Es blieben also keine Wünsche un¬
erfüllt.
Zu den unermüdlich aupkäudierenden Zuhörern gehörte
Erzherzog Eugen, der fleißigste Besucher musikalischer Auf¬
führungen.
4
„Die große Samn
ritte