II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1195

Liebelei
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Dasist mnerlanbht:
Aus den G heimnissen der Filmzensur.
In einem sicher nicht sehr geschmackvollen Film kam ein Spitzbube
von Maler vor. Man sah, wie der Maler im Wirtshaus eine Oel¬
sardine in einen Kuchen schmuggelte und sich dann weigerte, einen
Kuchen zu bezahlen, in dem plötzlich Oelsardinen herumschwämmen.
Die öffentliche Vorführung dieses Films wurde vom Polizeipräsidenten
verboten — weil dadurch betrügerische Zechprellereien hervorgerufen¬
werden könnten. Der Oberpräsident meinte dasselbe und bestätigte
die Verfügung des Polizeiprasidenten. Nun kam die Sardinengeschichte
vors Oberverwaltungsgericht und dieses erklärte den Film
für nicht staatsgefährlich. Er darf aufgeführt werden auf die Gefahr
hin, daß alle unsicheren Subjekte in Groß=Berlin von nun ab eine Oel¬
sardine mitnehmen, wenn sie ins Gasthaus gehen.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts besitzt eine erhebliche
Bedeutung. Bisher hielt sich die Berliner Filmzensur starr an den
Grundsatz, daß im Kino strafbare Handlungen irgendwelcher Art nicht
gezeigt werden dürfen. Es ist gut, daß unsere Theaterzensur nicht den
gleichen schönen Grundsaß befolgt, sonst dürfte keines der großen
Dramen der Weltliteratur aufgeführt werden. „Faust“ könnte zum
Kindesmord verleiten, „Don Carlos“ zur Majestätsbeleidigung:
„Wallenstein“ könnte unser Publikum zum Hochverrat aufreizen. Von
den Shakespearedramen überhaupt nicht zu reden! So komisch der
Gedanke ist, daß die Theaterzensur alle Stücke verbieten könnte, in
denen gegen das deutsche Strafgesetzbuch gesündigt wird, so kann man
schließlich doch verstehen, daß der Polizei keine Films erwünscht sind.
in denen ein Mörder sein Opfer in Stücke hackt, kocht und in einen
Koffer legt. Es ist löblich von der Zensur, daß sie solches verhindert.
Aber wenn eine Zensur löblich ist, pflegt sie ohne Maß und Ziel löb¬
lich zu sein. Einige Beispiele mögen zeigen, wie die Berliner Zensur
den Grundsatz durchführt: das Kino darf nicht zu strafbaren Hand¬
lungen aufreizen.
In einem Film, der der Zensur vorgeführt wurde, kam folgende
Geschichte vor: ein krankes Landstreicherkind wird von guten Leuten
in ihr Haus aufgenommen und gepflegt. Schließlich nimmt das
kleine Mädchen von seinen Wohltätern wieder Abschied; bevor es
aber das Haus verläßt, eilt es in den Garten und pflückt sich zum
Andenken eine Blume. Die Berliner Polizeizensur beanstandete
diesen Film, weil in ihm das Vergehen des Felddiebstahls dar¬
gestellt werde.
Ein junger Arzt flirtet mit seiner Patientin. Während des Ge¬
sprächs läßt die Dame ein kleines Anhängsel von ihrer Kette zu
Boden fallen. Der Arzt hebt es auf und deutet an, daß er es an
seinem Herzen aufbewahren möchte. Die Dame — so sind die Damen
— sagt nicht ja, nicht nein, läßt es aber geschehen, daß der Arzt das wert¬
lose kleine Objekt einsteckt. Nicht so die löbliche Polizeibehörde. Die
läßt es nicht geschehen, denn im Kino darf sich niemand einen Fund
aneignen.
Es darf im Film nicht gezeigt werden, wie zwei Leute einander
prügeln. Nur das Boxen wird zeitweise gestattet. Harmlose April¬
scherze, bei denen jemand durch ein fingiertes Telegramm dieser oder
jener Person irgendwohin bestellt wird, sind nicht zulässig — wegen
Urkundenfälschung. Die Beispiele ließen sich ins Endlose vermehren,
Nun läßt freilich auch die Zensur mit sich reden und macht hier und
dann muß wenigstens die Stelle herausgeschnitten werden, an der die
technische Ausführung des Verbrechens geschildert wird. So sah ich
kürzlich einen Film, in dem eine Verbrecherin einem reichen Manne
Bilder stehlen wollte. Man sah, wie die Dame bei dem Mäzen
ankam, sah dann, wie er betäubt auf dem Boden lag — die Bilder
waren fort, neben dem Mäzen aber sah man eine rauchende Zigarre.
Was dazwischen lag, nämlich die Szene; in der die Dame ihrem Opfer
eine Opiumzigarre angeboten hatte, diese Szene hatte der Zensor
beseitigt. Ein andermal wurde ein Farmer in seinem Blockhaus
gezeigt; unmittelbar darauf lag der Farmer gefesselt auf den Schienen
der Bahnstrecke und ein D=Zug brauste heran. Einige hundert Meter
Film waren unter der sühnenden Schere des Zensors gefallen; daß
der Farmer von Räubern überfallen, gefesselt und auf die Schienen!
gelegt wurde, wird man nie erfahren, aber daß er dann auf wunder¬
bare Weise gerettet wurde, das durfte das Publikum wieder sehen.
Oft wird ein Film durch solche Verstümmelungen ganz unverständlich,
er wird aber dennoch aufgeführt, damit die oft sehr erheblichen Auf¬
nahmekosten nicht ganz verloren gehen.
Man wird wohl der Polizei recht geben, wenn sie das Kino nicht
zu einem illustrierten Kursus der Verbrecherkunst werden läßt. Wenn
ein Theater dem Zensor ein Stück einreicht, dann weiß der Zensor,
welches Publikum dieses Stück zu sehen bekommt. Die Films unter¬
breitet aber nicht ein bestimmtes Kinotheater der Zensur, sondern die
Filmfabrik, und es ist möglich, daß nicht nur ein behäbiges bürger¬
liches Publikum den Film sehen wird, sondern vielleicht das robuste
Publikum eines entlegenen Vorstadtkintopps, in dem die Apachen domi¬
nieren. Neuerdings versuchen manche Filmfabriken, diese Schwierig¬
keit zu beseitigen, indem sie von vornherein versprechen. der fragliche
Film werde nur in großen, vornehmen Kinos vorgeführt werden.
Das ist wohl der Weg der Zukunft. Die Filmzensur ist nur dann
berechtigt, wenn sie ein Einsehen hat und nicht das Kind mit dem
Bade ausschüttet. Wenn das Kino wirklich einer Veredelung fähig ist