II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1233

Liebelei
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zwei Akte lang die Schauspielerin zur Pastostät verurteit,
worauf ihr im dritten Akt plötzlich eine große Szene zu¬
fällt. Fräulein Simon machte auch diesmal guten Ein¬
druck, wenngleich sie noch nicht ganz aus sich herauszugehen
schien. Eine schauspielerische Kraft, von der wir viele
schöne Leistungen erwarten dürfen, ist die neue Senti¬
mentale Fräulein Alice Lilard, die sowohl als
Ida Nessel im „Meister“ als insbesondere als Christine in
der „Liebelei“ allen Anforderungn voll entsprach. Die
große Szene im dritten Akt der „Liebelei“, der Schmerzens¬
ausbruch des armen, um sein Lebensglück betrogenen
Mädchens, der furchtbare Aufschrei, als sie von dem Duell
ihres Geliebten erfährt, waren erschütternd. Als Schlager
Mizzi stellte die Naive Fräulein Vicky Pistor uns ein
— —
frisches, lustiges Wiener Mädel dar. Von unseren be¬
währten alten Kräften seien an beiden Abenden Frau
Ausschnitt aus: nzer Tagespost
Maltana, die beidemal zwei köstliche Chargen bot,
Herr Beckmann, der den japanischen Doktor Kokoro
2-0T1913
vom:
äußerst gelungen darstellte, und der immer pflichttreue
Herr Le Bret ehrenvoll erwähnt. So fügten sich neue
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und alte Kräfte zusammen zu einem vorzüglichen Ensemble.
Cheater, Bung= und Literater.
Gen
Die drei bisherigen Schauspielvorstellungen gingen
Linz, 1. Oktober.
flott vonstatten und waren bis auf jede Kleinigkeit sorg¬
(„Der Meistr. „Liebelei.“) Hermann Bahr
fältig einstudiert. Insbesondere die beiden letzten waren
feierke in diesew-Jahre seinen 50. Geburtstag und zahl¬
Abende, die einen wirklich künstlerischen Genuß boten, wahre
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reiche deutsche Bühnen haben dessen gedacht, indem sie
Mustervorstellungen, die sich überall sehen tassen
eines der Bahrschen Stücke wieder in ihren Spielplan auf¬
könnten. Im vorigen Jahre zeigte das Schauspiel bekannt¬
nahmen. Diese Anerkennung verdient Bahr zweifellos,
lich einige störende Lücken. Sie sind heuer auf das glück¬
denn man mag sonst über ihn urteilen wie man will, daß
lichste ausgefüllt, so daß wir, wie schon oben gesagt, auf
er dem deutschen Theater eine Reihe interessanter und er¬
diesem Gebiete eine fruchtbringende, genußreiche Tätigkeit
folgreicher Dramen geschenkt und daß er in der modernen
erwarten können. Die Direktion hat ihre Pflicht getan.
Literatur eine Rolle spielt, an der man nicht achtlos vorbei¬
Nun heißt es allerdings auch für das Publikum, seine
gehen kann, steht fest. Es war begreiflich, daß auch unser
Pflicht zu tun und die Bemühungen der Direktion und
Theater, die Bühne von Bahrs Heimat- und Geburtsstadt,
die Leistungen unserer braven Schauspieler durch regen
sich der Ehrung des Dichters anschloß. Schon in der Mai¬
Besuch anzuerkennen und anzueifern. Leider war der Be¬
Saison, als die Meininger hier gastierten, wurde von
such der letzten beiden Schauspielabende ein keineswegs
ihnen Bahrs neuestes Stück „Prinzip“ aufgeführt und
starker. Die bedauerliche Tatsache merken wir jetzt schon
Montag bildete die Aufführung von Bahrs „Meister“
seit einigen Jahren, daß der Kreis der Schauspielfreunde
die offizielle Feier unserer Landesbühne. „Der Meister“
immer enger wird. Wir gehören nicht zu jenen Zöpfen.
gehört zweifellos zu des Dichters besten Stücken, ja n an
die es dem Publikum verargen, daß es auch gern den
kann ihn als seine reifste dramatische Arbeit bezeichne:
pilanten Reizungen der Operette folgt, sich an der tollen
Ziemlich genau vor neun Jahren, nämlich am 24. Sep¬
Heiterkeit und den einschmeichelnden Melodien derselben
tember 1904, wurde „Der Meister“ zum erstenmal in Linz
ergötzt, aber schließlich ist es doch ein böses Zeichen, wenn
gegeben und wir haben in einem längeren Feuilleton das
die Operette in einem so ausgedehnten Maße die Allein¬
Stück besprochen und gewürdigt. Es hat unter allen Bahr¬
herrschaft im Geschmacke des Publikums sich zu erzwingen
schen Dramen den festgefügtesten Bau und es führt seinen
droht. Wir gönnen dem Publikum gewiß uuch die leichte
Grundgedanken ebenso fesselnd, wie konsequent durch,
Unterhaltung, aber es müßte denn doch in einer Stadt wie
wenngleich, wie bei den meisten Bahrschen Stücken, uns das
Linz noch immer eine genug große kunstverständige, ge
Ende auch diesmal nicht volle Befriedigung schafft. Der
bildete Gemeinde übrig bleiben, die auch für das Wert¬
Meister, dieser große Chirurg, fühlt sich und gibt sich als
vollere, für die geistige Anregung Sinn hat und die sich
Ausnahmsmensch, der ohne Rücksicht auf die allgemeine
auch nach literarischen Genüssen sehnt. Insbesondere unsere
Meinung seine Wege geht und über die anderen lacht, die¬
Jugend sollte dazu angeleitet werden und es wäre Sache
jenigen aber, die in seiner Nähe leben, dadurch in volle
der Professoren unserer Mittelschulen, in dieser Hinsicht
Abhängigkeit von sich zwingt, daß er ihnen alles Persön¬
auf den Besuch guter, wertvoller Stücke nicht nur der
liche alles Selbstvertrauen und individuelles Empfinden
klasischen, sondern auch der modernen Literatur einzu¬
raubt, um sie so zu seinen hilfreichen Maschinen herab¬
wirken. In dieser Hinsicht ist auch das Theater eine Bil¬
zudrücken. Sein Gott ist die Vernunft, Gefühl haßt er und
dungsstätte, die insbesondere den Unterricht im Deutschen
sucht es auch den anderen auszutreiben. So schreitet er
zu unterstützen geeignet ist. Der Lehrplan unserer Mittel¬
auf der Höhe über den übrigen daher, bewundert aber
schulen hat nicht viel Raum für die Literatur unserer Zeit,
nicht geliebt von seiner Umgebung, ja, diejenigen, die mit
hier #aß das Theater ersetzend eingreifen. Es mag be¬
ihm leben, faßt oft ein gelinder Schauder vor ihm an.
greiflich erscheinen, wenr Leute, die in den Mühen und
Solche Ausnahmsmenschen, die sozusagen ein wenig „über¬
Sorgen des Geschäftsleb ns stehen, am Abend eine lustige
menscherln, haben Bahr wiederholt gereizt. In diese
Unterhaltung einem er sten Stücke vorziehen, aber die
Kategorie gehört sein Baron im „Athlet“, der der direkte
Jugend, die doch noch begeisterungsfähig sein soll, die sollte
Vorgänger des Meisters ist, dann gewissermaßen die be¬
nicht von vornherein nur in den sogenannten „leichten
rühmte Schauspielerin im „Star“ ebenso wie der be¬
Reizungen“ aufgehen. Wir wünschten, wie gesagt, daß das
rühmte Schauspieler in der „Gelben Nachtigall" und
alte Interesse, das noch vor wenigen Jahren in Linz dem
schließlich der Dr. Esch in seinem neuesten Stück „Prinzip“.
ernsten und guten Schauspiele entgegengebracht wurde —
Auch stofflich hat Bahr im „Meister“ ein Thema ange¬
wir erinnern uns beispielsweise, daß Gerhart Hauptmanns
schlagen, das er mit Vorliebe behandelt: das Eheproblem,
„Fuhrmann Henschel“ in einer Saison neun oder zehn
Auch hier natüclich hat der „Meister“ seine eigenen Theo¬
Wiederholungen erlebte —, wieder auflebt und damit die
rien, die mit denen der übrigen Menschheit nicht überein¬
Diektion unseres Theaters auch in der Pflege des Schau
stimmen. Als aber diese Theorien durch seine Frau über¬
spieles eine dankbare und erfolgreiche Aufgabe finden¬
raschenderweise in die Praxis übersetzt werden, als auch
könnte.
dieser Uebermensch von seiner Gattin betrogen wird, da
wird er denn doch empfindlich in seinem Innersten ge¬
(Aus der Theakerkanzlei) wird uns berichtet: Dan¬
troffen und fast droht das verbannte Gefühl, das Gitter, nerstag der #
welches die Vernunft um dasselbe gezogen, zu durchbrechen
Als aber seine Frau sich von ihm wendet, als auch sein
Assistent und seine Sekretärin ihn verlassen, da sehen wir.
daß dieser vielgepriesene Meister doch ein armer Mensch ist,
der sich in seiner Einsamkeit zu dem japanischen Doktor
Kokoro flüchten muß, um sich durch öde Theoretisiererei
über die Einsamkeit und innere Leere seines Lebens hin¬
überzutäuschen.
Auf den „Meister“ folgte Dienstag abermals ein
Werk eines österreichischen Dichters, Artur Schnitzlers