II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1234


die Leistungen unserer braven Schauspieler durch regen
Theater, die Bühne von Bahrs Heimat- und Geburtsstadt,
Besuch anzuerkennen und anzueifern. Leider war der Be¬
sich der Ehrung des Dichters anschloß. Schon in der Mai¬
such der letzten beiden Schauspielabende ein keineswegs
Saison, als die Meininger hier gastierten, wurde von
starker. Die bedauerliche Tatsache merken wir jetzt schon
ihnen Bahrs neuestes Stück „Prinzip“ aufgeführt und
seit einigen Jahren, daß der Kreis der Schauspielfreunde
Montag bildete die Aufführung von Bahrs „Meister“
immer enger wird. Wir gehören nicht zu jenen Zöpfen.
die offizielle Feier unserer Landesbühne. „Der Meister“
die es dem Publikum verargen, daß es auch gern den
gehört zweifellos zu des Dichters besten Stücken, ja man
pilanten Reizungen der Operette folgt, sich an der tollen
kann ihn als seine reifste dramatische Arbeit bezeichnen.
Heiterkeit und den einschmeichelnden Melodien derselben
Ziemlich genau vor neun Jahren, nämlich am 24. Sep¬
ergötzt, aber schließlich ist es doch ein böses Zeichen, wenn
tember 1904, wurde „Der Meister“ zum erstenmal in Linz
die Operette in einem so ausgedehnten Maße die Allein¬
gegeben und wir haben in einem längeren Feuilleton das
herrschaft im Geschmacke des Publikums sich zu erzwingen
Stück besprochen und gewürdigt. Es hat unter allen Bahr¬
droht. Wir gönnen dem Publikum gewiß auch die leichte
schen Dramen den festgefügtesten Bau und es führt seinen
Unterhaltung, aber es müßte denn doch in einer Stadt wie
Grundgedanken ebenso fesselnd, wie konsequent durch,
Linz noch immer eine genug große kunstverständige, ge¬
wenngleich, wie bei den meisten Bahrschen Stücken, uns das
bildete Gemeinde übrig bleiben, die auch für das Wert¬
Ende auch diesmal nicht volle Befriedigung schafft. Der
vollere, für die geistige Anregung Sinn hat und die sich
Meister, dieser große Chirurg, fühlt sich und gibt sich als
auch nach literarischen Genüssen sehnt. Insbesondere unsere
Ausnahmsmensch, der ohne Rücksicht auf die allgemeine
Jugend sollte dazu angeleitet werden und es wäre Sache
Meinung seine Wege geht und über die anderen lacht, die¬
der Professoren unserer Mittelschulen, in dieser Hinsicht
jenigen aber, die in seiner Nähe leben, dadurch in volle
auf den Besuch guter, wertvoller Stücke nicht nur der
Abhängigkeit von sich zwingt, daß er ihnen alles Persön¬
klassischen, sondern auch der modernen Literatur einzu¬
liche, alles Selbstvertrauen und individuelles Empfinden
wirken. In dieser Hinsicht ist auch das Theater eine Bil¬
raubt, um sie so zu seinen hilfreichen Maschinen herab¬
dungsstätte, die ins#esondere den Unterricht im Deutschen
zudrücken. Sein Gott ist die Vernunft, Gefühl haßt er und
zu unterstützen geeignet ist. Der Lehrplan unserer Mittel¬
sucht es auch den anderen auszutreiben. So schreitet er
schulen hat nicht viel Raum für die Literatur unserer Zeit,
auf der Höhe über den übrigen daher, bewundert aber
hier muß das Theater ersetzend eingreifen. Es mag be¬
nicht geliebt von seiner Umgebung, ja, diejenigen, die mit
greiflich erscheinen, wenn Leute, die in den Mühen und
ihm leben, faßt oft ein gelinder Schauder vor ihm an.
Sorgen des Geschäftslebens stehen, am Abend eine lustige
Solche Ausnahmsmenschen, die sozusagen ein wenig „über¬
Unterhaltung einem ernsten Stücke vorziehen, aber die
Amenscherln“, haben Bahr wiederholt gereizt. In diese
Jugend, die doch noch begeisterungsfähig sein soll, die sollte
Kategorie gehört sein Baron im „Athlet“, der der direkte
nicht von vornherein nur in den sogenannten „leichten
Vorgänger des Meisters ist, dann gewissermaßen die be¬
Reizungen“ aufgehen. Wir wünschte wie gesagt, daß das
rühmte Schauspielerin im „Star“ ebenso wie der be¬
alte Interesse, das noch vor wenigen Jahren in Linz dem
rühmte Schauspieler in der „Gelben Nachtigall“ und
schließlich der Dr. Esch in seinem neuesten Stück „Prinzip“.
ernsten und guten Schauspiele entgegengebracht wurde —
wir erinnern uns beispielsweise, daß Gerhart Hauptmanns,
Auch stofflich hat Bahr im „Meister“ ein Thema ange
schlagen, das er mit Vorliebe behandelt: das Eheproblem
„Fuhrmann Henschel“ in einer Saison neun oder zehn
Wiederholungen erlebte —, wieder auflebt und damit die
Auch hier natürlich hat der „Meister“ seine eigenen Theo¬
##rien, die mit denen der übrigen Menschheit nicht überein¬
Diektion unseres Theaters auch in der Pflege des Schau¬
stimmen. Als aber diese Theorien durch seine Frau über¬
spieles eine dankbare und erfolgreiche Aufgabe finden¬
fraschenderweise in die Praxis übersetzt werden, als auch
könnte.
dieser Uebermensch von seiner Gattin betrogen wird, da
(Aus der Theaterianzlei) wird uns berichtet: Dau¬
wird er denn doch empfindlich in seinem Innersten ge¬
stroffen und fast droht das verbannte Gefühl, das Gitter nersta den 2—
welches die Vernunft um dasselbe gezogen, zu durchbrechen.
[Als aber seine Frau sich von ihm wendet, als auch sein
Assistent und seine Sekretärin ihn verlassen, da sehen wir.
daß dieser vielgepriesene Meister doch ein armer Mensch ist,
der sich in seiner Einsamkeit zu dem japanischen Toktor
Kokoro flüchten muß, um sich durch öde Theoretisiererei
über die Einsamkeit und innere Leere seines Lebens hin¬
überzutäuschen.
Auf den „Meister“ folgte Dienstag abermals ein
Werk eines österreichischen Dichters, Artur Schnitzlers
(„Liebelei“. Dieses Drama eines Mädchenherzens, das
keinem Manne seine ganze Liebe gibt, während er nur eine
Liebelei sucht, war der erste und auch größte Erfolg
Schnitzlers. In Linz wurde es am 11. Jänner 1897 zum
serstenmal aufgeführt und seither wiederholt gegeben und
natürlich auch besprochen.
An beiden Abenden hatten die neuen Schauspiel¬
kräfte Gelegenheit, sich dem Publikum vorzustellen. Der
günstige Eindruck, den schon die Eröffnungsvorstellung
machte, hat sich durch die beiden folgenden Abende nur noch
iverstärkt und wir können in bezug auf das Schauspiel mit
den besten Hoffnungen der heurigen Spielzeit entgegen¬
sehen. Herr Kurt Walter wußte den komplizierten
Charakter des Meisters ebenso überzeugend darzustellen
wie den lebensfrischen, lustigen Wiener Lebemann Theodor
in der „Liebelei". Er ist ein ungemein sympathischer Schau¬
spieler, dessen ganzes Wesen etwas Anheimelndes hat, er
pointiert fein und ohne Aufdringlichkeit und Ernst und
Scherz liegen ihm gleich gut. Er wird im modernen Schau¬
spiel die Helden=, wie die Bonvivant=Rollen gewiß dem
Publikum zu Danke spielen. Wie er sich mit den schweren
Helden des klassischen Dramas abfindet, werden wir ja
wohl auch bald sehen. Auf alle Fälle ist Herr Walter für
unsere Bühne ein Gewinn. Der jugendliche Held und Lieb¬
haber Herr Willi Rolden bewies mit dem Doktor
Balsam, dem bescheidenen, gedrückten Assistenten des
Meisters, daß er auch solche Rollen zu spielen versteht, die
eine schärfere Charakteristik erfordern, während er in der
„Liebelei als Fritz den schwerer veranlagten der beiden
Freunde ebenso glücklich durchführte. Herr Hübner, der
neue Charakterspieler, der uns schon in der Eröffnungs¬
vorstellung angenehm auffiel, gab in der „Liebelei“ den
alten Geiger Weiring mit zu Herzen gehenden Tönen und
ohne in das Weinerliche zu verfallen, was bei dieser Rolle
so leicht ist. Die neue Heldin und Salondame Fräulein
[Simon, deren Zarin wir schon besprochen haben, gab im
Bahrschen Stücke die Frau des Chirurgen, eine Rolle, die