II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1257

Liebeler
9. Klhennennn
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Aussehy
icher Anzeiger, Hannover
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vom:
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1. Beilage zu Nr. 227 des
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spielerische Fähigkeiten, die beträchtlich über den
Durchschnitt herausragen müssen. Das „Deutsche
Theater und Musik.
Theater“ kann sich solcher darstellerischen Kräfte rüh¬
men und durfte daher getrost an die Aufgabe heran¬
Deuisches Theater.
treien, die es denn auch mit vollem Erfolg gelöst hat.
Literarischer Abend: „Liebelei“, Schau¬
Der ganze Stimmungszauber, der über dem Werk
spiel in 3 Aufzügen von Arthur Schnitzler.
ausgebreitet liegt, die ungemein feine Seelenmalerei,
Ein Rückblick auf die Geschichte unseres Runstrem¬
mit der der scharfe Kenner der menschlichen Psyche
pels in der Reuterstraße (der am verflossenen 16. Sep¬
seine Charaktere gestrichelt hat, die tragische Steige¬
tember in das 39. Jahr seines Bestehens eingetreten
rung bis zur Katastrophe — das alles kam in kaum
ist) zeigt einen sehr wechselvollen Schickcksalsweg dieser
übertrefflich naturwahren Worten von erstaunlichster
seinerzeit durch Umbau der Rejtbahn des Königlichen
Einfachheit (auch beim elementaren Aufschrei der Ver¬
Marstalls entstandenen Bühne. Eine schematische Dar¬
zweiflung), in unsäglich tiefen Blicken, die den Grund
stellung ihrer Entwickelung bis zum heutigen Tage
des Herzens mit seinen seelischen Schmerzen schauen
nach Art der ärztlichen Fieberkurve würde eine sehr
ließen und in einer Skala differenziertester Gebärden
windungsreiche Linie sein müssen, bei der, getreu dem
und Bewegungen zu packender Wirkung.
physikalischen Gesetz, auf jeden Wellenberg ein Wellen¬
Ida Wüst (Christine) und Ewald Schind¬
tal zu folgen hätte, je höher jener, desto tiefer dieses,
ler (Fritz) wetteiferten als Hauptträger der Hand¬
Durch eine schroff absteigende Linie wäre auch die
lung in dem Bestreben, den Absichten des Dichters bis
jüngste Vergangenheit des Deutschen Theaters zu
ins kleinste gerecht zu werden. Beider reifes Können
kennzeichnen, wobei als Ursache auch die den drama
sicherte ihnen einen Gesamtsieg auf der ganzen Linie,
tischen Künsten ungünstige Kriegszeit gebührend
der vielleicht noch vollständiger sich gestaltete haben
berücksichtigt werden müßte. Gleichwohl ist. obschon
würde, wenn Fräulein Wüst außerlich nicht auf Kosten
der Weltenbrand noch lodert, der tiefste Stand bereite
ihrer jugendlichen Erscheinung Christinens soliden
überschritten und von neuem beginnt die Kurve zu
Charakter zu stark betont hätte. Von den übrigen
steigen, seitdem als neuer Leiter der alte Besitzer wie¬
Darstellern verdienen an erster Stelle lobend erwähnt
der die Zügel der Regierung in die Hände genommen
zu werden Toni Rupprecht als fesche Modistin
hat. Und alle bisherigen Anzeichen lassen die freudige
Mizi Schlager und Leopold Murauer, dem der
Hoffnung keimen, daß für geraume Zeit die neue
leichtlebige Wiener Lebemann — wie das nach seiner!!
Kurvenfortsetzung stetig sich aufwärts bewegen wird.
bisherigen Tätigkeit hier nicht anders zu erwarten
Diese Hoffnung, die durch die ersten Vorstellungen
war — ganz besonders lag. Die kleineren Rollen
der neuen Spielzeit geweckt wurde, erhält neue, ge¬
lagen bei Meta Harden (Katharina Binder),
sunde Nahrung durch die Wiederaufnahme der

Robert Taube (Christinens Vater) und Gustav
„Literarischen Abende, die vor etwa elf Jahren an
Semler (Herr) in besten Händen. Arg störend
gleicher Stätte Direktor Hubert Reusch mit einem Er¬
wirkte jedoch Herrn Taubes mangelnde Dialektbeherr¬
folg ins Leben.gerufen hatte, der in der hannoverschen
schung, doppelt störend, da die übrigen Darsteller sich
Theaterwelt noch heute in starker Erinnerung fortlebt
ganz vortrefflich mit dem Wiener Idiom abfanden.
Neben dieser Tat an sich begrüßen wir auch die Wahl
Es ist dringend zu raten, daß bei Wiederholungen
des Stückes für diesen ersten litergrischen Abend mit
diesem Uebelstand abgeholfen wird, was nicht allzu
hoher Anerkennung, entspricht es auch seinem Inhalt
schwer fallen dürfte.
nach nicht den lauten Forderungen des Tages nach der
Die Spielleitung (Herr Direktor Leo W. Stein)
neuen deutschen Bühnenkunst, die von den Umwälzun¬
hatte in jeder Beziehung müsterhaft gearbeitet. Die
gen des Weltkrieges auch auf ethischem Gebiete er¬
Ausstattung war m ersten Aufzug reich und gediegen,
wartet werden. So berechtigt diese Forderungen an
in den beiden anderen Akten durchaus stilgerecht.]
sich auch sind, so soll man sich doch vor Fanatismus
Vielleicht ließe sich erwagen, ob nicht gegen Schluß sich!
hüten, der keine Grenzen kennt.
einige Kürzungen als vorteilhaft erweisen würden.
Schnitzlers „Liebelei“ erscheint uns als eines jener
Bei Wiederholungen ist auch dem Mann im Kasten
Stücke, die kaum je an Altersschwäche kranken werden.
größere Zurückhaltung zu empfehlen.
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Die Geschehnisse, die in dem Schauspiel geschildert
Das Haus war leider nicht so gut besetzt, wie es
werden, sind so einfach, so menschlich, so kebenswahr
die wohlgelungene Aufführung verdient hätte. Die
und ungekünstelt, die Menschen handeln so natürlich,
Anwesenden gaben aber durch starken Beifall nach
im Rahmen der Ereignisse so zwingend, in ihren Wor¬
jedem Aufzug, besonders am Schluß zu erkennen, daß
ten so überzeugend, daß wir bald ¬
eine gute Dar¬
sie von dem Verlauf des Abends vollauf befriedigt
stellung vorausgesetzt — das Theater ganz vergessen:
waren. Den weiteren literarischen Gaben des Deut¬
so nahe rücken wir den Personen, die da vor uns lieben
schen Theaters dürfen wir nach diesem viel versprechen¬
und leiden, daß wir schließlich ganz in sie hinein¬
den Anfang erwartungsvoll entgegensehen. S.-L.
wachsen und die Wucht der Tragik auf uns selbst un¬
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abwendbar herabstürzen fühlen. Und wie stark ist diese
Tragik im Höhepunkt des Dramas, im zweiten Aufzug
(den wir für den gelungensten und tiefst eindrucks¬
vollen halten) gesteigert! Fritz hat sich aus einer un¬
In
erlaubten Liebelei, die zu ernsten Konflikten zu füh¬
A
ren und ihn physisch und seelisch zu vernichten droht,
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retten wollen durch eine der wienerischen leichten
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Lebensauffassung gemäße erlaubte Liebelei, die ihm
gewissermaßen nichts weiter sein sollte als eine will¬
kommene Entspannung seiner Nerben, eine Genesung
versprechende Erholung. In dem Augenblick aber, in
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k
dem er von Christ'ne Abschied nimmt. Abschied — er
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fühlt, daß ihm in dem bevorstehenden Duell die Todes¬
kugel bestimmt ist — für immer, in diesem Augenblickin
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wird ihm die untröstlich schmerzliche Gewißheit, daß
dieses junge, reine, ihm allein anhängende Weib, das
t
für ihn bisher nur eine Liebelei bedeutete, die wahre
Liebe, sein echtes Glück verkörperte. Und Christine?
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Dieses wienerische „Käthcher von Heilbronn“ muß
natürlich ihrem Geliebten in die ewigen Schatten
folgen.
Meisterlich hat es Schnitzler verstanden, diesen nach
Adalbert von Hansteins wohl nicht ganz unberechtig¬
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tem aber doch zu geringschätzigem Urteil „für ein
wirkliches Schauspiel etwas zu dünnen und zu be¬
deutungsarmen Stoff“ von Anfang bis zu Ende soln
fesselnd zu behandeln, daß kein Zuhörer mit offenemsg
Gemüt und fühlendem Herzen sich dem tiefen Ein=n
druck wird verschließen können. Allerdings verlangt
die Wiedergabe gerade wegen der „bedeutungsarmen“
aber doch menschlich so ergreifenden Handlung schau¬r

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Telephion 7062.
—AandI


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