Liebele
5.— box 12/7
REICHSPOST WIEN
-REER
Theater, Kunst, Musik.
Volksbühne. Schauspieler zu spielen, hat Schau¬
spieler seit je aufs höchste gereizt. Die Wonnen und den
Fluch derei darzustellen, die unwirklich, immer in Täu¬
schungen leben, ist ja auch in der Tat für den Schauspieler
dankbaro Aufgabe. Heute hat der Gast Alexander Moissi!
in zwei solchen Schauspielerrollen geglänzt. Zuerft hat er
in der kleinen, grotesk überspitzten, doch auch an tiefe
Menschlichkeiten rührenden Szene „Talmas Ende“
von Polgar und Friedmann den alten Schauspieler
gespielt, der schauspielernd den Tod erwartet, General¬
proben des Sterbens abhält, den Arzt foppt, Sterbeposen
studiert und der dem Tod dann doch noch in kläglich unvor¬
bereitetem Augenblick verfällt. Das ist die Tragik des
Schauspielers, der sich einen guten Abgang einstudieren
möchte und dem schließlich doch der Vorhang zu früh fällt.
Dieses Ende aller Künste, allen Truges eine Sekunde vor
dem Lebensende ist aus dieser grotesken, manchmal auch
frivolen Szene doch erschütternd herausgetreten. Darauf
spielte man Schnitzlers Einakter „Der grüne
Kakadu“. Moissi gab den Schauspieler Henri. Er hat zu
erzählen, er habe eben einen Herzog ermordet, der seiner
Frau Geliebter sei. Nun ist das jener Herzog wirklich, wie
die Zuhörer wissen. Sie glauben daher die Schauder¬
geschichte und so erst erfährt der Schauspieler, daß ihn seine
Frau wirklich betrügt. Und nun erst macht er zur entsetz¬
lichen Wahrheit, was er bisher bloß vorgetäuscht: er er¬
mordet den Herzog. Das hat heute Moissi mit wahrhaft
dämonischer Glut gespielt. Bei seiner Erzählung „schwebte“
wirklich „zweifelnd jede Brust zwischen Trug und Wahr¬
Die übrige, von den Kräften der Volksbühne
heit“. —
betreute Darstellung hielt sich auf durchaus achtenswerter
Höhe. Es ist recht seltsam, zu welchen Stufen der Gast seine
Umgebung emporreißt. — Viel Beifall, vornehmlich natür¬
lich für Moissi.
553
Wiener Allgemeine Zeitung, Wien
(Volksbühne Moissi zunächst als Talma in dem
graziör boshaften Einaktek von Alfnd Polgar und Armin
Friedmnn, dessen äphyristische Pointen als ein Stück
sozusagen zeitloser Beobachtung und psychologischester Wahr¬
heit, reflektier am Objekt eines sturrilen, aber aufschlußreichen
Milieus, die Frische ihres spitzen Humors mit lächelndem
Anstand bewahren. Bei Moissi wendet sich die Farke beinahe
ins indirekt Tragische. Dunkle Schatten lagern stets über den
Causerien, die er nicht nur zu sprechen, auch zu figurieren
hat, und in alle Bissigkeit mischt sich Melancholie. Was so
vielleicht an Schnurrigkeit verloren geht, ersetzt die steinern
große Gebärde des Schauspielers, das tieft, starke Atem¬
holen seiner Kunst in den Augenblicken, die zugleich er¬
chütternd und ironisch sind. Als Arzt Laplace bewies
Marlitz wieder seine gute und sorgsame Diskretion.
nette und begabte Fräulein Jacobsen aber versuchte mit
einer keck improvisierten Drastik ihr Glück.
Schnitzlers Grünem Kakadu“ der dünn, abe
scharf stizzierten Groteske, in der allmählich das wenn
im besten Sinne Theatralische zu überwiegen beginnt,
Mrissi dann den Henri. Eine Rolle, die durchaus
fläche und Plötzlichkeit und an der man kaum das 9
entdecken kann, das diesen Darsteller zarter und kompli
Innerlichkeiten gereizt haben sollte. Er hat daher auch
mal gleichsam ins Leere gewirkt und die Feinheit, die #
und die Getragenheit seiner Rede wie seiner Geste blitzten
stollenweise hell auf, ohne die rechte Fortsetzung und An¬
knüpfung zu finden. Moissi hätte keinen besseren Beweis er¬
bringen können, daß er eigentlich kein Komödiant, daß
einen mit dichterischer Bedeutung und seelischem Feingeholt
gesättigten Boden braucht, um wurzeln zu können. Auch sein
Partner konnten nur vereinzelt der eindringlichen Bunthe
dieses preziösen Spiels der Anspielungen gerecht werder
Eine geistig elegante Silhouette Herrn Mombers Herzof
eine drollige und künstlerisch karikierte Leistung Herr
Zieglers Strolch Grain. Auch Herrn Berndts Wit
Prospere zeigie einen guten trockenen Ton. Unter den Dame
erfüllten Else Schreiber und Ida v. Norden ihr
bescheidenen Aufgaben mit hübschem und kokettem Takt.
L. U.
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Theater, Kunst, Musik.
Volksbühne. Schauspieler zu spielen, hat Schau¬
spieler seit je aufs höchste gereizt. Die Wonnen und den
Fluch derei darzustellen, die unwirklich, immer in Täu¬
schungen leben, ist ja auch in der Tat für den Schauspieler
dankbaro Aufgabe. Heute hat der Gast Alexander Moissi!
in zwei solchen Schauspielerrollen geglänzt. Zuerft hat er
in der kleinen, grotesk überspitzten, doch auch an tiefe
Menschlichkeiten rührenden Szene „Talmas Ende“
von Polgar und Friedmann den alten Schauspieler
gespielt, der schauspielernd den Tod erwartet, General¬
proben des Sterbens abhält, den Arzt foppt, Sterbeposen
studiert und der dem Tod dann doch noch in kläglich unvor¬
bereitetem Augenblick verfällt. Das ist die Tragik des
Schauspielers, der sich einen guten Abgang einstudieren
möchte und dem schließlich doch der Vorhang zu früh fällt.
Dieses Ende aller Künste, allen Truges eine Sekunde vor
dem Lebensende ist aus dieser grotesken, manchmal auch
frivolen Szene doch erschütternd herausgetreten. Darauf
spielte man Schnitzlers Einakter „Der grüne
Kakadu“. Moissi gab den Schauspieler Henri. Er hat zu
erzählen, er habe eben einen Herzog ermordet, der seiner
Frau Geliebter sei. Nun ist das jener Herzog wirklich, wie
die Zuhörer wissen. Sie glauben daher die Schauder¬
geschichte und so erst erfährt der Schauspieler, daß ihn seine
Frau wirklich betrügt. Und nun erst macht er zur entsetz¬
lichen Wahrheit, was er bisher bloß vorgetäuscht: er er¬
mordet den Herzog. Das hat heute Moissi mit wahrhaft
dämonischer Glut gespielt. Bei seiner Erzählung „schwebte“
wirklich „zweifelnd jede Brust zwischen Trug und Wahr¬
Die übrige, von den Kräften der Volksbühne
heit“. —
betreute Darstellung hielt sich auf durchaus achtenswerter
Höhe. Es ist recht seltsam, zu welchen Stufen der Gast seine
Umgebung emporreißt. — Viel Beifall, vornehmlich natür¬
lich für Moissi.
553
Wiener Allgemeine Zeitung, Wien
(Volksbühne Moissi zunächst als Talma in dem
graziör boshaften Einaktek von Alfnd Polgar und Armin
Friedmnn, dessen äphyristische Pointen als ein Stück
sozusagen zeitloser Beobachtung und psychologischester Wahr¬
heit, reflektier am Objekt eines sturrilen, aber aufschlußreichen
Milieus, die Frische ihres spitzen Humors mit lächelndem
Anstand bewahren. Bei Moissi wendet sich die Farke beinahe
ins indirekt Tragische. Dunkle Schatten lagern stets über den
Causerien, die er nicht nur zu sprechen, auch zu figurieren
hat, und in alle Bissigkeit mischt sich Melancholie. Was so
vielleicht an Schnurrigkeit verloren geht, ersetzt die steinern
große Gebärde des Schauspielers, das tieft, starke Atem¬
holen seiner Kunst in den Augenblicken, die zugleich er¬
chütternd und ironisch sind. Als Arzt Laplace bewies
Marlitz wieder seine gute und sorgsame Diskretion.
nette und begabte Fräulein Jacobsen aber versuchte mit
einer keck improvisierten Drastik ihr Glück.
Schnitzlers Grünem Kakadu“ der dünn, abe
scharf stizzierten Groteske, in der allmählich das wenn
im besten Sinne Theatralische zu überwiegen beginnt,
Mrissi dann den Henri. Eine Rolle, die durchaus
fläche und Plötzlichkeit und an der man kaum das 9
entdecken kann, das diesen Darsteller zarter und kompli
Innerlichkeiten gereizt haben sollte. Er hat daher auch
mal gleichsam ins Leere gewirkt und die Feinheit, die #
und die Getragenheit seiner Rede wie seiner Geste blitzten
stollenweise hell auf, ohne die rechte Fortsetzung und An¬
knüpfung zu finden. Moissi hätte keinen besseren Beweis er¬
bringen können, daß er eigentlich kein Komödiant, daß
einen mit dichterischer Bedeutung und seelischem Feingeholt
gesättigten Boden braucht, um wurzeln zu können. Auch sein
Partner konnten nur vereinzelt der eindringlichen Bunthe
dieses preziösen Spiels der Anspielungen gerecht werder
Eine geistig elegante Silhouette Herrn Mombers Herzof
eine drollige und künstlerisch karikierte Leistung Herr
Zieglers Strolch Grain. Auch Herrn Berndts Wit
Prospere zeigie einen guten trockenen Ton. Unter den Dame
erfüllten Else Schreiber und Ida v. Norden ihr
bescheidenen Aufgaben mit hübschem und kokettem Takt.
L. U.