II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1309

Liebelei
5 box 12/7
HDMEN
Ost.-schlesisch-deutern Zeitung
Bielitz-Biala.
„ v mak. „Hansn geht lanzen“
Opéretten=Neuheit von Edmund Eysler.
„Liedele# W## bei einem guten alten Wiener
Walzer-Alth d0 Sedetein Freudiges, bald ein Schmerz¬
licheg zieht, in gleicher Weise berührt uns Schnitzlers
„Liebelei“ mit dem mildversöhnlichen Lebensbild
aus Wien, dem alten Wien, der engen idyllischen Stadt
von seinerzeits. Nie ist die seltsam aus Sentimentalität
und Frivolität gemischte Wiener Luft mit ihrer berau¬
schenden Eigenart seiner wiedergegeben worden, als in
viesem Lebensbild voll wehmütigen Reizes, voll intimer
Wahrheit und voll ergreifenden Mitlebens mit denen,
die zu schwach zum Leben sind. Alles ist Wien, die
zwei Madeln, die jungen Leute, der alte Spielmann
vom Josefstädter Theater, die Frau Binder, der stille
Erker im Dachstübchen mit dem Blicke auf den Kahlen¬
berg, alles Stimmung innerer Echtheit und Gefühls¬
einigkeit.
Die Regie (Herr Jores) hat das Schauspiel
äußerst sorgsam vorbereitet, so daß es, eine einzige
Störung ausgenommen, eine Prachtleistung wurde.
Die Gesamtaufführung ließ es an Hingabe und sorg¬
fältigem Aufbau aller Wirkungen nicht fehlen. Herrn
Wanaus haben wir bereits bei der Operette schätzen
gelernt. Mittwoch vertrat er sein Können im Schau¬
spiel. Ungesuchte Natürlichkeit, der ihm eigene leichte
Plauderton, in welchen er in der Rolle des Theodor
einen ganz leich Wiener Dialekt legt, macht ihn auch
in diesem Stücke zu einem Liebling des Publikums,
das nur zu gerne ein natürliches Talent sich entwickeln
sieht. Gerade das Gegenteil ist Herr Oel
Ihm
fehlt die selbstverständliche Art der Natürlichkeit, ihm
haftet bei jeder Rolle etwas theatralisches an, das an
die Schule eines Abrichters erinpert. Mit besonderem
Interesse erwartete das Publikum das erste Auftreten
## Frl. Weber in einer größeren Rolle. Sie hat
gefallen. Frl. Weber spielt nicht für die Zuhörer, sie
pielt für sich, für ihre Rolle. Anfänglich zurückhaltend,
wuchs sie von Szeue zu Szene, gestaltete die Christine
zum Schlusse mit tiefer Wirkung aus, sie wußte anzu¬
ziehen, zu rühren. Frl. Koch war ein echtes Wiener
Madel, nichts weniger als zimperlich, nicht spröde,
vielleicht etwas zu frei, augenscheinlich um den Kontrast
zwischen den zwei Mädchenseelen stärker hervorzubringen
and war besonders im ersten Akt in ihrem Element.
Eine vorzügliche Darstellung war auch die Frau Strumpf¬
wirkersgattin Binder duich Frau Blechner. Den
spitzen Ton der lieben Frau Nachbarin traf sie vor¬
lefslich. Heir Jores, der alte Spielmann, der die
Stimmung des Ganzen in der trüben Mabnung zur
Lebensfreude in sich verkörpert, fesselte durch sein inneres
und äußeres Wesen. Der genußreiche Abend fand
ungeteiltes Lob und ist einer Wiederholung wert.
W—m. 1
11½
Theater. („Liebelei", Schauspiel von A.
Schnitser). Die „Liebelei“ des Dichters „der Wie¬
ner Debewelt“ häk von ihrer dramatischen „Sto߬
kraft“ in dem seit seinem Erscheinen in kurzem sich
jährenden Vierteljahrhundert nichts eingebüßt; es
ist ein wirkungsvolles Schauspiel geblieben kraft
seines ausgezeichneten szenischen Rythmus, des raffi¬
niert sein abgetönten Spiels der Wirkungen und Ge¬
genwirkungen, der straff geführten Handlung und
vor allem, weil ein Hauch echten, in das anhei¬
melnde Wiener Kolorit getauchten Lebens von ihm
ausgeht. Der merklich mundartlich gefärbte Dia¬
log gleitet flüssig, munter, ungezwungen dahin,
und während auf der dramatischen Bildfläche sich
im großen und ganzen eine munter drauflos plau¬
dernde Sippschaft von Mittelmäßigkeiten zu trollen
scheint, wächst sich das Schicksal eines zartbesaiteten
Mädchenherzens, das sich in vertrauensseliger An¬
schmiegsamkeit und „unvorsichtigem“ Getändel an
einen Mann verloren hat, zu einer Tragödie aus.
Erst als über Christine die niederschmetternde Er¬
leuchtung gekommen, daß sie ihrem Herzenserko¬
renen, der in einem Duell um ein verheiratetes
Weib sein Leben lassen mußte, bloß ein Gegen¬
stand wechselnder Laune, unverbindlicher „Lie¬
belei“, des schalen Zeitvertreibs war, bricht sie in¬
nerlich zusammen; die sie durchzuckenden Schmer¬
zensschauer und die dumpfe, leise verhauchende
Ahnung ihres Vaters („sie konumt nicht wieder")
lassen es als unausbleiblich erscheinen daß sie mit
ihrem Leben für immer abschließt. Die wehmuts¬
volle Frage ihres zärtlichen, gramgebeugten Vaters:
„Was hat denn das Mädel eigentlich von ihrem
Leben?“ klingt als Grundton aus dem Stück hin¬
durch.
Aus dem im ganzen einwandfreien Zusammen¬
spiel ragte Frl. Margarethe Weber hervor; sie
schuf in ihrer Christine“ eine einprägsame Figur;
die gemütvolle Weichheit des in ihrem „Fritz“ auf¬
gehenden, zutraulichen Mädchens brachte sie tref¬
fend zur Geltung. Die „Mizzi“ des Frl. Koch
versuchte mit stark wechselndem Glück ein mollertes,
in Liebelei gewitzigtes Modistenmädel zu mimen;
eher war wirkungsvoll ausgeprägt die Darstellung
der flatterhaften Mittelmäßigkeit, die eines tiefer
verankerten Gefühls und irgendwelcher Hingabe un¬
fähig ist, deren „Weisheit letzter Schluß“ darin
gipfelt, daß „ein Mann es nicht erlebt, daß ich
mich um ihn kränken tät“. Das echte „Wiener
Blut“ merkte man ihr im verschlissenen Gewand
und der dick aufgetragenen Vordringlichkeit nicht
an. Der trauniverlorene resignierte Violinspieler,
Weiring des Herrn Jores ließ eindrucksvoll Saiten
tiefer Menschlichkeit, abgeklärter Einsicht und rühren¬
der väterlicher Zärtlichkeit in seinen Worten er¬
klingen. Herrn Oeller möchten wir modulationsrei¬
chere, durchgebildetere Stimmittel wünschen, sonst
machte er samt Herrn Wanaus und Frl. Blechner
die der ungenfertigen Tratschbase ergötzliche Kon¬
turen lieh, gute Figur. Die Aufführung muß als ein
demertenswerter Bühnenerfolg gewertet werden
wenn auch das in ziemlich regelmäßigen Zeitab¬
ständen unvermutet wie ein Fliegerschrapnell aus
heiterem Himmel in den rückwärtigen Sitzreihen auf¬
knallende, höchst unliebsam berührende Lachen den
„ästhetischen Genuß“ in einer mehr krähwinkelhaf¬
ten Manier bekundete. — Stammte doch bekanntlich
selbst der „lachende Philosoph“ Griechenlands, De¬
mokritos aus
— Abdera. (Es gibt auch in Bielit
Abderiten (Schildbürger).