II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1361

5. Liebele
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Bartels einen gewissen Grad von vornehmem Ra¬
turalismus zugesteht, erweist sich auch hier wierer
als geistreich und witzig, als geschmackvoller und
trefflicher Schilderer, als scharfer Beobachter Die
dem Dichter eigene Schwermut und der Hang zum
Düstersehen verleihen dem Schauspiel das für Schnitz
ler bezeichnete Gepräge. Die Handlung ist ein Stück
Wirklichkeit und wegen ihrer Lebenswahrheit so
packend. Sind auch die Beziehungen der Menschen
zueinander immer nur leicht und flüchtig angedentet
genießen sie das Erlebte auch nur in der Erinnerung
und endet die wahre Liebe stets nur mit Trauer,
so ist die Hauptlache des tiefen Eindruckes in der
Gegenüberstellung der beiden Weltmenschen, der bei¬
den gebildeten jungen Leute, die der besten Gesell¬
schaft angehören, aller geldlichen Sorgen enthoden
sind, jeden Wunsch erfüllen und jedem Zuge ihre¬
Herzens folgen können, und den beiden Mädeln aus
dem Volke zu suchen, von denen das eine als eine
Vertreterin jener erscheint, die zärtlich lieben kön¬
nen, ohne aber dabei das Bedürfnis nach Treue zu
haben, während das andere in Einfalt und Un¬
schuld sein Herz verlangend und heiß an den Einzi¬
gen hängt und von ihm die gleiche Liebe restlos
heischt. Der Vorwurf des Schauspieles, das für
Schnitzler ein großer Erfolg wurde, ist einfach und
schlicht. Beim Vergleiche der heurigen Aufführung
mit denen vergangener Jahre vermißten wir man¬
ches. Die mehrfach wahrgenommenen Pausen und
die dadurch notwendig gewordenen Verlegenheits¬
gespräche wären bei einer Wiederholung zu ver¬
meiden. Der erste Akt ist kein tatsächliches Ge¬
schehen, sondern eine muntere, leichtflüssige Plaude¬
rei. Die Szene zwischen der vier jungen Leute litt
unter nervöser Hast und die zur Schau getragene
Lustigkeit wurde nicht als echt empfunden. Frau
Schartmüller, die wir als denkende Künstle¬
rin schätzen, war auch diesmal wieder mit Herz
und Kopf bei der Sache. Leider faßte sie ihre
Rolle nicht im Sinne des Dichters auf. Die Chr¬¬
stine soll ein süßes Wiener Mädel sein, etwas me¬
lancholisch, nicht berückend, nicht elegant, nicht über¬
mäßig schön, aber begabt mit einem warmen Her¬
zen voll sehnender Liebe, das noch den Glauben an
die Menschen nicht verloren hat und alle mit sei¬
nem eigenen offenen, geraden Sinn mißt. Frau
Schartmüller aber paßte nicht in ihre Umgebung;
sie war viel zu vornehm und hätte eher eine Bür¬
gerstochter aus altem Hause sein können. Frl. En¬
zinger spielte mit viel Temperament und brachte
frisches Leden in die Aufführung. Die männlcchen
Rollen waren mit den Herren Lichtenberg und
Neuhardt gut besetzt. Letzterer war der leicht¬
sinnige, bedenkenlose, von Abenteuer zu Abenteuer
Eilende, den aber doch dann in Vorahnung des
nahenden Verhängnisses tiefe Schwermut befällt.
Herr Lichtenberg (Theodor) verkörperte den
gebildeten Lebemann, der wohl zu lieben weiß, we¬
gen seines kühlen und nüchternen Verstandes aber
jede tiefere Leidenschaft von sich fern hält und im
Weibe keine Traumgestalt sucht. Herr Hübner
(Weiring) stellte den alten Musiker in ergreifender
Weise dar. In kleineren Rollen waren Frl. Pro߬
nitz und Herr Horn mit Vorteil für die Auffüh¬
rung beschäftigt. Die Vorstellung war trotz der
langen Pausen vor halb 10 Uhr zu Ende, ob¬
schon der Zettel ¾10 Uhr als Schluß angegeben
hatte. In der Voranzeige war die gleichzeitige Auf¬
führung des Abschiedssoupers angekündigt worden,
die aber dann ohne Begründung unterblieb, ob¬
wohl „Liebelei“ nicht abendfüllend ist und hier frä¬
her meist mit einem Einakter zusammen gegeben
wurde. Nicht unerwähnt darf bleiben, wessen Gei¬
stes manche der Theaterbesucher — nicht etwa auf
der Galerie nein, auf den teueren Plätzen sind.
Während der packendsten, zu Herzen gehenden Stel¬
len konnte man halblautes Sprechen, ja sogar mehr¬
fach lautes Lachen hören. Es ist doch etwas schö¬
nes um die Rücksicht auf den ach so anspruchs¬
Lt.
vollen Nächsten!