II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1456

Liebelei
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Neus- Berliner 12 Uhr-Zeitung
Okt. 1925
Schnitzlerabend
im Schillertheater.
Der Dichter Schnitzler und der Regisseur
Fehling: im wesentlichen ist es ein Zusammen¬
stoß. Das wird an dem gestrigen Schnitzler¬
abend im Schillertheater nicht durch¬
gehend evident, weil Herr Fehling, durch die Er¬
fahrungen seiner Max=Halbe=Inszenierung schon
gewitzigt, der Ausemandersetzung teilweise aus¬
biegt. Er hat bestimmt nicht die entserntesten
Beziehungen zu Schnitzler, seine, überaus saubere,
Regiearbeit ist Vergröberung, die feineren Be¬
standteile des Wiener Lyrodramatikers fallen, wo
Fehling ist, unter den Tisch und bleiben nur da
erhalten, wo dieser Spielleiter sich zurückhält und
schauspielerischen Eleenenten, die Schnitzler näher
stehen als er, freien Lauf läßt. Gewisse An¬
erzogenheiten des jüngsten Theaiers haben hier
jede Existenzberechtigung verloren: gegenüber
der feinen, leisen Charakterisierung Schnitzlers,
in der Leichtigkeit, Humor und Traurigkeit zu¬
gleich sind, wirkt ein zeitgemäßer, auf Lautheit
gedrillter Schauspieler, wie Herr Faber,
in der kleinen Anatolszene „Weihnachtseinkäufe“
leider wie ein gespreizter Komödiant.
Reife, ausgeglichene Kunst gibt, in diesem Ein¬
akter, die Partnerin. Lina Lossen. Aber für
die „böse“ Dame der großen Welt ist sie, von
Natur, zu weich. In „Liebelei“ arbeitet
Fehling sehr volksstückmäßig, mit dem Erfolg daß
einem dies schon ohnehin etwas modrige Stück
vollends verekelt wird. Wenn Tiedke einen
feinen, sentimentalen, stillen Wiener Musiker
spielen muß, kennzeichnet das die völlige Be¬
ziehungslosigkeit des Spielleiters zur Sache des
Dichters. Lucie Mannheim, der die Zügel
freigegeben werden, läßt, als das süße Mäderl,
das seine Seele verschenkt, alle Register los: echtes,
erfreulich frisches und tief rührendes Theater. Ein
beachtenswertes Talent ist der junge Heinrich
Schnitzler — der einzige, der einen ganzen
Abend lang die „Atmosphäre“ des Stückes, des
Dichters hat; Mathilde Sussin und Maria
Paudler, gute Typen der Wiener Vorstadt.
bleiben ihm dabei am nächsten. Hilflos, kein
„moderner“ und auch kein Schnitzler=Schauspieler,
bleibt der eigentliche „Held“ der Liebelei, Richard
Duschinsky.
u.
Berliner Tageblatt
4R Okt. 4025
Arthur Schnitzler: „Tiebelei“.
Staatliches Schiller=Theater.
Christine, das naiv=gutgläubige Mädel aus dem Volke, das sicht
in einen etwas dekadenten Jüngling verliebt, so aufrichtig verliebt,
daß sie, als eben dieser junge Mann im Duell um eine andere Frau
fällt, in der Einfalt ihres Herzens ihm in den Tod nachfolgen will, —
nein, diese Christine hat wohl nie dichterische Aktualität besessen.
Sie lebt in einer Sphäre, die hart ans Märchen grenzt, heute noch
viel mehr als vor dreißig Jahren, da Schnitzlers „Liebelei“ zum
erstenmal gesvielt #orden ist. Dieser Schnitzler=Abend im staat¬
lichen Schiller=Theater war darum mehr ein Abend der Reminiszen¬
zen, mit seinen Schwächen, aber auch mit seinen Reizen.
Letzten Endes ist bei Schnitzler nicht der Vorgang das Primäre,
wesentlich sind vielmehr die Zwischentöne, die atmosphärischen Schattie¬
rungen. Diese „Liebelei“, die in der Unberührtheit ihrer dichterischen
Diktion nun wie ein altes Volkslied klingt, besitzt die ganze Zart¬
heit, die ganze Farbenfülle des alten Wien, das wir nur noch aus ¬
Büchern kennen. Es hat sich mancherlei in diesen dreißig Jahren
ereignet, wir haben viel brutalere Schicksale erlebt, darum können
wir Christinens Tragik kaum noch begreifen. Mit leiser Andacht
blicken wir nun auf diese Menschen, die so merkwürdige Erregungen
und so merkwürdige Leidenschaften besitzen.
Aber auch die Feinheiten der Schnitzlerschen Werke haben sich er¬
halten, sie sind lebendig geblieben als dichterische Spiegelung eines
historisch gewordenen Zeitabschnitts. Hier setzte Jürgen Fehling,
der Spielleiter des Abends, ein, von hier aus entwickelte er das
Milien der neunziger Jahre. Fehling gibt weniger den Ablauf eines
Schicksals, als dessen Ausstrahlungen auf die Umwelt; er drängt die
drei Akte nicht zusammen, er schaltet gern Pausen ein, er varüert ein
Thema, zu dem uns heute die innere Beziehung fehlt. Wundervoll
ist die gedämpfte Heiterkeit des ersten Aktes, wundervoll trifft er auch
den tragischen Schatten, den der zweite Akt vorauswirft. Der dritte
Akt schwächt die Wirkung ab, weil er zu breit, zu überladen ist.
obwohl die Christine der Lucie Mannheim hier ihre stärksten
Momente hat. Ihre äußere Gestalt deckt sich nicht mit der Vor¬
stellung vom „Wiener süßen Mädel“, es fehlt ihr die schwebende
Leichtigkeit der Wiener Atmosphäre, sie spielt schon von Beginn an
zu stark betont die tragische Rolle. Aber am Ende, da hat sie die
Schwermut des enttäuschten Mädels, da ist sie das ewige Kind mit
dem ewigen Kinderherzen.
Gut abschattiert werden um sie die Menschen zweier Gesellschafts¬
chichten bewegt. Mizzi Schlager, Modistin, die „fesche Wienerin“ ist
Maria Paudler, ein immer heiteres Mädel, das nichts von Ernst
und Tragik wissen will. Den umworbenen Duellanten spielt Richard
Shen
Duschinsky, oft noch unsicher im Tonfall, aber mit den Zeichen
eines starken Talents für junge Liebhaber; sein Freund ist Heinrich
Schnitzler, des Dichters Sohn, ein liebenswerter Kerl, der mit
der Wiener Erde verwachsen ist. Jacob Tiedtke, als Christinens
Vater, ist echt menschlich im Ausdruck des Leids, ein Mensch voll Güte
und Verstehen.
Auftakt des Abends waren Schnitzlers „Weihnachtsein¬
käuse“ aus dem Anatol=Zyklus. Ein szenischer Dialog mit feinen
Reflexionen über Liebe und Leben, ein dialektisches Schmuckstück, das
von Lina Lossen und Erwin Faber sehr diskret, sehr einfühlsam
Bur.
gespielt wurde.