box 12/8
Liebelei
e e e ee
Deutsche Tagesseitung, Berlin
B SAr
HLkLina
Ein Schnitzler=Jubiläum.
Staatliches Schiller=Theater.
Es ist notwendig, festzustellen, daß es sich um eine Art
Schnitzter=Feier handelte. Sonst könnte man kaum verstehen,
warum man im Staatstheater Dinge wieder ausgräbt, die jedem
Wiederbelebungsversuch spotten. Als vor genau 30 Jahren die.
„Liebelei“ am Wiener Burgtheater ihre Uraufführung erlebte, da
empfand man diese Verfeinerung des Naturalismus durch Bei¬
mischung einer gehörigen Dosis dekadenter Eleganz und tragischer
Liebesspielerei sehr angenehm als eine Erlösung vom Allzu¬
brutalen. Das süße Vorstadtmädel und das liebe Wiener Gemüt
gehören nun einmal zusammen, wollen zu ihrem Recht kommen.
Heute ist man schon wieder anspruchsvoller geworden. Mar hat
genug, übergenug vom bloßen Kitsch des Lebens, will hören, ob
nicht einer da ist, der eine Idee hat, diesen Kitsch zu überwinden.
Wenn gleichwohl die Beispielsstürme kein Ende nehmen wollten,
so waren sie in der Hauptsache als Dank für eine prächtige Auf¬
führung zu bewerten.
Jürgen Fehling brachte „Stimmung“, ließ das „Wiener
Herz“ so zart und seelenvoll schlagen, daß selbst der nordische Klang
der Sprache keinen Mißton erzeugte. Jede Stimmung, selbst das
schrillste Klagen, der übermütigste Jubel blieben gedämpft durch
einen Hauch überlegener Verfeinerung des Genusses. Eine unver¬
meidliche Alltagserscheinung, dieses Herzweh des „Ringes“ und
der „Vorstadt“ sorgsam zugedeckt von Eleganz und Schicksals¬
ergebenheit. Ein glücklicher Gedanke zudem, all die Liebesspielerei
in das Gewand einer vergangenen Zeit zu stecken. Die Knopf¬
Stiefeletten, Puffärmel und frei schwebenden Strohhütchen
schmeichelten leicht in tränenschwangere Wehmut hinein.
Innerlich bei weitem am stärksten schöpfte Lina Lossen in
der kurzen Anatol=Szene „Weihnachtseinkäufe“ die spielerischen
Liebeseffekte aus. Eine reifende Frau der großen Welt, ängstlich
die Formen der Konvention wahrend und doch nur mühsam die
starken Sehnsüchte eines unbefriedigten Herzens bändigend. Der
Anatol Erwin Fabers dagegen um eine wesentliche Nuance
zu sehr der selbstzufriedene Gemütsmensch.
Lucie Mannheim, die Christel in der „Liebelei“ fand
wundervollen, bald verhaltenen, bald stürmischen Ausdruck für die
Tragik eines gebrochenen Herzens. Ihr erster Liebesjubel jedoch
trug für meinen Geschmack schon zu deutlich den Ausdruck der
drohenden Katastrophe. Noch schwerblütiger benahm sich der Fritz
Richard Duschinskys. Er kam auf diese Weise in einen zu
starken Gegensatz zu dem leichtlebigen, unbekümmerten Theodor
Heinrich Schnitzlers, ebenso wie die robuste Schlager=Mizi,
Maria Paudlers das scheue Geschöpf Christel zuweilen fast
erdrückte. Laute wie tragische Töne müssen in einer Wiener
„Liebelei“ sehr fein dosiert werden. Prachtvoll echt in einer
Mischung von Klatschsucht und Mütterlichkeit die Katharina
Binder Mathilde Sussins, rührend der hilflose alte Vater
Jakob Tiedtkes.
Man hat Schnitzler gespielt, man hat Schnitzler gefeiert, aber
nun wende man sich wirklichen Aufgaben zu. Erich Metzger.
Liebelei
e e e ee
Deutsche Tagesseitung, Berlin
B SAr
HLkLina
Ein Schnitzler=Jubiläum.
Staatliches Schiller=Theater.
Es ist notwendig, festzustellen, daß es sich um eine Art
Schnitzter=Feier handelte. Sonst könnte man kaum verstehen,
warum man im Staatstheater Dinge wieder ausgräbt, die jedem
Wiederbelebungsversuch spotten. Als vor genau 30 Jahren die.
„Liebelei“ am Wiener Burgtheater ihre Uraufführung erlebte, da
empfand man diese Verfeinerung des Naturalismus durch Bei¬
mischung einer gehörigen Dosis dekadenter Eleganz und tragischer
Liebesspielerei sehr angenehm als eine Erlösung vom Allzu¬
brutalen. Das süße Vorstadtmädel und das liebe Wiener Gemüt
gehören nun einmal zusammen, wollen zu ihrem Recht kommen.
Heute ist man schon wieder anspruchsvoller geworden. Mar hat
genug, übergenug vom bloßen Kitsch des Lebens, will hören, ob
nicht einer da ist, der eine Idee hat, diesen Kitsch zu überwinden.
Wenn gleichwohl die Beispielsstürme kein Ende nehmen wollten,
so waren sie in der Hauptsache als Dank für eine prächtige Auf¬
führung zu bewerten.
Jürgen Fehling brachte „Stimmung“, ließ das „Wiener
Herz“ so zart und seelenvoll schlagen, daß selbst der nordische Klang
der Sprache keinen Mißton erzeugte. Jede Stimmung, selbst das
schrillste Klagen, der übermütigste Jubel blieben gedämpft durch
einen Hauch überlegener Verfeinerung des Genusses. Eine unver¬
meidliche Alltagserscheinung, dieses Herzweh des „Ringes“ und
der „Vorstadt“ sorgsam zugedeckt von Eleganz und Schicksals¬
ergebenheit. Ein glücklicher Gedanke zudem, all die Liebesspielerei
in das Gewand einer vergangenen Zeit zu stecken. Die Knopf¬
Stiefeletten, Puffärmel und frei schwebenden Strohhütchen
schmeichelten leicht in tränenschwangere Wehmut hinein.
Innerlich bei weitem am stärksten schöpfte Lina Lossen in
der kurzen Anatol=Szene „Weihnachtseinkäufe“ die spielerischen
Liebeseffekte aus. Eine reifende Frau der großen Welt, ängstlich
die Formen der Konvention wahrend und doch nur mühsam die
starken Sehnsüchte eines unbefriedigten Herzens bändigend. Der
Anatol Erwin Fabers dagegen um eine wesentliche Nuance
zu sehr der selbstzufriedene Gemütsmensch.
Lucie Mannheim, die Christel in der „Liebelei“ fand
wundervollen, bald verhaltenen, bald stürmischen Ausdruck für die
Tragik eines gebrochenen Herzens. Ihr erster Liebesjubel jedoch
trug für meinen Geschmack schon zu deutlich den Ausdruck der
drohenden Katastrophe. Noch schwerblütiger benahm sich der Fritz
Richard Duschinskys. Er kam auf diese Weise in einen zu
starken Gegensatz zu dem leichtlebigen, unbekümmerten Theodor
Heinrich Schnitzlers, ebenso wie die robuste Schlager=Mizi,
Maria Paudlers das scheue Geschöpf Christel zuweilen fast
erdrückte. Laute wie tragische Töne müssen in einer Wiener
„Liebelei“ sehr fein dosiert werden. Prachtvoll echt in einer
Mischung von Klatschsucht und Mütterlichkeit die Katharina
Binder Mathilde Sussins, rührend der hilflose alte Vater
Jakob Tiedtkes.
Man hat Schnitzler gespielt, man hat Schnitzler gefeiert, aber
nun wende man sich wirklichen Aufgaben zu. Erich Metzger.