II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1468

iebelei
m. box 12/8
Die velt. Berl in. d. 19, 10, 25.
S
de
Theater und Musik.
Schiller=Theater.
Ein Sanitzler=Abend. Die Anatol=Szen, „Weih¬
nachtseintanengab Lina Zossen Gelegenheit, die —
Dame der Gesellschaft, der der Mut zur Sünde fehlt, liebens¬
würdig und vornehm zu gestalten. Erwin Faber war
Dann folgte die unvermeidliche
ihr eleganter Partner.
„Liebelei“ deren Sentimentalktät wie immer etwas auf
die Nerven ging. Indessen wurde sie unter Fehlings
Regie glänzend gespielt und erzielte beim Schiller=Theater¬
Publikum einen rauschenden Erfolg, um den sich in vorderster
Reihe Lucie Mannheim als Christine und Jacob
Tiedtke als deren Vater verdient machten. Marie
Paudler war das Urbild des lieben Wiener Mädels, und
Richard Duschinsky sowie Heinrich Schnitzler
nahmen sich verständnisvoll der Rollen der beiden jungen
—.
Lobemenner an.
Tonalsche Beltung, vernn
Schnitzlerabend
Schiller=Theater.
Dem gestrigen Abend des Schiller=Theaters gab Arthur
Schnitzler das Gepräge. Im Wirbel des diesjährigen
Saisonbeginns, der Sensationen aus allen Welt= und Theater¬
gegenden heranzerrt, ist es eine Seltenheit, daß ein deutscher
Gegenwartsdichter von poctischer Kraft und technischer Virtuosität
auf der Szene erscheint, und die Stimmung, die gestern das ge¬
füllte Niesenhaus erfüllte, erweckte den Wunsch, diese Ausnahme
zur Regel gemacht zu sehen. Dem Meisterstück Schnitzlers
„Liebelei“, das ein Menschenalter hindurch seine volle Kraft be¬
wahrt hat, schickte man eine Anatolszene des Dichters „Weih¬
nachtseinkäufe“ wie einen Prolog voran. Aus unbekannten
Gründen. „Liebelei“ erschöpft die Zeit und Stimmung eines
Theatersabends. Die Anatolszene hat manche Keimzelle mit dem
großen Wiener Liebesstücke gemein, und es ist darum sehr frag¬
lich, ob die wurzelstarke Behandlung der Motive glücklich mit der
genialen Skizze vorbereitet wird. Aehnlichkeiten ergänzen ein¬
ander nicht, und die Andeutung ist keine glückliche Vorbereitung
für die Deutlichkeit.
An sich betrachtet war die überaus feine Szene der Mondäne
mit dem leichtfertigen Schwärmer, der Gesellschaftsdame, der am
Weihnachtsabend der Mut zum Beglücken fehlt, mit dem träumeri¬
tschen Lebejüngling, dem dieser Mut zum Mutwillen geworden,
eine willkommene Gabe. Lina Lossen gab, wie oft vorher, die
Heldin dieses Gesprächs mit vollendeter Feinheit, die das Ge¬
fühl zögernd zurückhält und doch in einer entschlossenen Wallung
eingesteht, und Erwin Faber stand ihr mit einer gewissen Art
von Verlegenheit, die an hölzernes Wesen streifte, als Anatol
zur Seite.
Das Schauspiel „Liebelei“ hatte Jürgen Fehling mit un¬
verkennbarer Liebe inszeniert, aber es hatte ihm nicht vorgeschwebt,
daß das Stück den Wiener Erdgeruch an sich trägt, daß es von der
heimatlichen Umwelt des Dichters die Farbe erhält, wie etwa
Halbes „Jugend“ aus der westdeutschen Umwelt. Wenn ein
Haus über einen Veteran, über einen künstlerischen Meister ver¬
fügt, dem das Wienerische natürlich ist, so sollte es sich diesen Vor¬
teil für den Musikus, dem die Lebensanschauung der Donaustadt
zur Quelle der Nachdenklichkeit geworden, nicht entgehen lassen.
Den Hauch des Lokalkolorits brachten nur zwei Gestalten auf die
Szene: Mathilde Sussin als Strumpfwirkersfrau — köstlich in
der Erscheinung — im geschwätzigen und lässigen Wesen, und in
der volkstümlichen Nachgiebigkeit des Naturells, und Heinrich
Schnitzler, den man gern als schauspielerischen Interpreten
des Paters kennenlernte, treffend in der vom Moment be¬
W
herrschten fidelen Art des Wesens, im oberflächlichen Zynismus,
und in der Freundschaft des „guten Kerns“, die trotz alledem im
Wesen des leichtfertigen Genossen durchschlägt. Ein wenig Echt¬
heit des Tones brachte auch Maria Paudler als Mizzi mit,
wenn auch die sorglose Naivität des Wiener Mädels in den allzu
starken Strichen ihrer Darstellung vergröbert erschien.
Sonst drängte der typische, rein menschliche Charakter den
individuell volkstümlichen zurück, aber er erwies sich in Lucie
Mannheim und Jakob Tiedtke stark genug, dem voetischen Kern
der tief innerlichen Handlung zum Durchbruch und zum Siege
zu verhelfen. Die Mannheim war kein süßes Wiener Mädel,
aber voll Natur in der einheitlichen Empfindung, die alles im
schlichten Wesen zurückdrängt, im fessellosen Gefühl für den Ge¬
liebten, in der ergreifenden Verzweiflung um den Tod, den er
für eine andere Frau erlitten. Der Schrei des Entsetzens über
die letzte Aufklärung kann nur einem starken Talente so gelingen.
Tiedtke war als Musikus ganz Weichheit der Empfindung, die
sich für voll berechtigt hält; er wirkt in den letzten Szenen er¬
greifend mit Christinen, in deren Gefühl das alte Herz aufgegan¬
gen, zusammen. Richard Duschinsky hatte als Fritz nur
eine Seite des Charakters erfaßt; die Empfindsamkeit, die
ihn ganz und gar beherrschte; den Lebejüngling, der wenigstens
in den Aeußerlichkeiten hervortreten muß, blieb er schuldig. Sein
Fritz hatte zu viel von einem Schlemihl (worauf auch die weißen
Handschuhe, die er im Straßenanzuge trug, deuteten), von einem
erwischten Schuljungen in der Szene mit dem „Herrn“ den
Patry mit vollendeter Gewandtheit darstellte. Die Hauptszenen
waren glücklich inszeniert, namentlich das Gelage der jungen
Leute im ersten Akt, und die ergreifende Wirkung des Stückes
A. K.
zu vollem, lange nachhallendem Erfolsge geführt.