Liebelei
box 13/1
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Hangoverscher Anzeiger
Marz ISET
Deutsches Theater.
„Liebelei“. Schauspiel von Arthur Schnitzler.
Vor 20 Jahren hat Schnitzlers „Liebelei“ die Ge¬
müter der Theaterbesucher gerührt, weil man in jener
Zeit noch recht empfindjam war. Man liebte Sen¬
timentalitaten, wenngleich es auch Kreise gab, die
Ggesellschaftliche Schwächen nicht auf der Bühne sehen
aus Prestigegrunden. Heute ist man
wallten
reglistischer, die moderne Jugend weniger feinfühlig.
Man will nicht mehr glauben, daß ein Mädchen, das
den Liebhaber erst einige Tage kennt, ihm in den
Tod folgt, nachdem er im Duell um eine andere
Frau gefallen ist. Trotz der dünnen Handlung hatte
das Schauspiel früher jahrelang einen guten Bühnen¬
erfolg. Heute muß die Sa,wäche des Inhalts durch
wirksames Spiel ersetzt werden. Man muß anerken¬
nen, daß die Aufführung im Deutschen Theater am
Sonntagabend dieser Anforderung gerecht wurde.
Die geschickte Auswahl der Kräfte ergab ein gutes
Zusammenarbeiten aller Teile, die sich zu einem ge¬
schlossenen Ganzen verwebten. Paul Bohne hat
sich als Spielleiter an die alten Vorbilder gehalten.
Man sollte aber doch einmal überlegen, ob nicht eine
Anderung ratsam ist die dem heutigen Empfinden
näherkommt. So sollte man den Freund Theodor,
der dem vertassenen Mädchen die Todesnachricht
bringt, nicht mit theatralischer Feierlichkeit in Geh¬
rock und Zylinder auftreten lassen. Ein einfacher
dunkler Anzug würde die Situation in dem einfachen
Stübchen des alten Violinspielers natürlicher er¬
scheinen lassen.
Die Jugendrollen waren in besten Händen. Den
ernst veranlagten Liebhaber Fritz stellte Walter
Grüters in allen Momenten der wechselnden
Stimmung durchaus glaubhaft dar. Er gab dem vom
Gewissen bedrückten jungen Menschen, der den Aus¬
gang aus seinem Irrweg sucht und doch vom Schicksal
ereilt wird, überzeugenden Ausdruck. Auf den gleichen
Ton wur die Christine der Margarete Schorn ab¬
gestimmt, die in Sprache und Mimik viel Warm¬
herzigkeit gab. Wenn der dramatische Höhepunkt im
letzten Akt. als sie die Wahrheit erfährt, zu packender
Wirkung emvorgehoben wurde, so ist es ihrer lebens¬
vollen Darstellung zu danken, die der Szene den
Ton der Echtheit verlieh. In Verbindung mit ihr
charakterisierte Paul Bohne den alten Vater als
eine sympathische Gestalt, die Mitleid erweckte. Seine
tränenerstickten Schlußworte „Sie kommt nicht wie¬
der“ hinterließen einen ergreifenden Eindruck. — Die
fesche Freundin Mizi wurde von Putti Rupprecht
mit der ihr eigenen Fröhlichkeit und Schelmerei ge¬
spielt. Als Freund Theodor legte Walter Sieg die
mit Humor gepaarte Schlauheit des leichtlebigen
jungen Mannes an den Tag. Adele Hübsch und 4#
Werner Böger fügten sich in ihren Evisodenrolle#
dem Ganzen gut ein. Das Publikum zeigte sich sehs
Seifallsfreudig.
4
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Hamburger Echo
16. Apr 1927
Schnitzler: Liebelei.
Käthe-Dorsch-Gastspiel in den Kammerspielen.
Liebeoi, das ist ein melancholisches Wort, ist etwas, das nie
ganz ernst und nie ganz harmlos ist, ist Hoffnung und Verzicht,
ein Gaukeln, ein Tändeln mit großen Worten, ein gefährliches;
Spiel mit dem Feuer, das, wenns zündit, hell auflodert unb
Unheil anrichtet.
Für die wohlsitulerten Herren Reserveof###re Fritz und
Theodor ist's ein erholender Zeitvertreib nach ihren aufregender
Erlebnissen mit komplizierten Frauen. Für die Christine, dech
kleinen Musikankenmädel, aber war's erfüllte Sehnsucht diess
herrlichen Frühlings, war's tiefstes Glück, war's alles, wasdes
nur auf Erden gibt. Und als es plötzlich abschnitt, so ganz hn¬
vorbereitet, so hart und grausam — der Frißz fiel einer andern
wegen im Duell —, da sinkt in ihr alles zusammen, und mit dem
Blück die Hoffnung, der Lebensmut überhaupt, sie entflieht der
grauen Oede ihrer Seele und wird wohl nicht wiedergekommen sein.
Käthe Dorsch lieh dieser seinen psychologischen Studie
Schnitzlers in der Rolle der armen Christine das vielfältige
Leben ihrer reifen Kunst. Um die keimende tiefe Liebe
und Angst und Sorge dieses stillen, naiven, kostbaren
Menschen, der in dem weichen melancholischen Dialekt seiner
wienerischen Heimat spricht, wirklich überzeugend zu gestalten,
bedarf es einer ungemein strengen Oekonomie aller künstlerischen
Mittel. In einem zarten Mezzoforte, oft nur eben anklingendem,
gedämpftem Piano ersteht diese Rolle, um nur einmal
erheben zu dem durchdringenden Schrei der
sich
tödlich Getroffenen. Diese unendlich subtile Partitur verborgener
Regungen einer reinen Menschenseele mit selten schauspielerischer
Kultur zur vollen Geltung gebracht zu haben, ist die bedeutende
Leistung des Gastes.
In ihrer Aufgabe wurde sie in verständnisvoller Weise unter¬
stützt von dei guten schauspielerischen Arbeit ihrer Ensembles.
Der Beifall des überfüllten Hauses war stark und steigerte
Br.
sich zu ungewöhnlichem Ausdruck.
Der Donnerstag brachte ein als Tragödie endendes
Schauspiel aus dem Leben des gefälligen Wiener Mädels:
Flamme, von Hans Müller. Die Geschichte von dem
Künstleridealismus, der ein reizendes liebes Mädchen vor
dem Versinken retten, dabei aber auch sich selbst einen
Schaffensantrieb gewinnen möchte. Die Flamme im Blut macht
stillgeruhiges Leben dem Mädchen unerträglich, sie muß wieder
einmal in den Schlamm glitschen und wirft dann im Ekel
ihr Leben von sich. Wundersam führt die Dorsch ihre Rolle
durch, sie spricht zum Herzen; der Zuschauer möchte ihr
wünscht
das Blondhaar streicheln: liebes armes Ding! Er
dem Künstler allen Erfolg und bangt und zittert um den Ausgang.
Ein großes Spiel von packender Gewalt, außerordentlich, wie
durch die Unbedeutendheit des kleinen Mädchens der Dämon¬
bricht. Achtung aber auch vor den Mitspielern, die ihren Rollen
eignes Leben gaben und doch einen Nahmen bilden, in dem
R. V
Käthe Dorschs Bild wundersam leuchtet.
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Dr. Max Goldschmidt
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Ausschnitt aus:
Hangoverscher Anzeiger
Marz ISET
Deutsches Theater.
„Liebelei“. Schauspiel von Arthur Schnitzler.
Vor 20 Jahren hat Schnitzlers „Liebelei“ die Ge¬
müter der Theaterbesucher gerührt, weil man in jener
Zeit noch recht empfindjam war. Man liebte Sen¬
timentalitaten, wenngleich es auch Kreise gab, die
Ggesellschaftliche Schwächen nicht auf der Bühne sehen
aus Prestigegrunden. Heute ist man
wallten
reglistischer, die moderne Jugend weniger feinfühlig.
Man will nicht mehr glauben, daß ein Mädchen, das
den Liebhaber erst einige Tage kennt, ihm in den
Tod folgt, nachdem er im Duell um eine andere
Frau gefallen ist. Trotz der dünnen Handlung hatte
das Schauspiel früher jahrelang einen guten Bühnen¬
erfolg. Heute muß die Sa,wäche des Inhalts durch
wirksames Spiel ersetzt werden. Man muß anerken¬
nen, daß die Aufführung im Deutschen Theater am
Sonntagabend dieser Anforderung gerecht wurde.
Die geschickte Auswahl der Kräfte ergab ein gutes
Zusammenarbeiten aller Teile, die sich zu einem ge¬
schlossenen Ganzen verwebten. Paul Bohne hat
sich als Spielleiter an die alten Vorbilder gehalten.
Man sollte aber doch einmal überlegen, ob nicht eine
Anderung ratsam ist die dem heutigen Empfinden
näherkommt. So sollte man den Freund Theodor,
der dem vertassenen Mädchen die Todesnachricht
bringt, nicht mit theatralischer Feierlichkeit in Geh¬
rock und Zylinder auftreten lassen. Ein einfacher
dunkler Anzug würde die Situation in dem einfachen
Stübchen des alten Violinspielers natürlicher er¬
scheinen lassen.
Die Jugendrollen waren in besten Händen. Den
ernst veranlagten Liebhaber Fritz stellte Walter
Grüters in allen Momenten der wechselnden
Stimmung durchaus glaubhaft dar. Er gab dem vom
Gewissen bedrückten jungen Menschen, der den Aus¬
gang aus seinem Irrweg sucht und doch vom Schicksal
ereilt wird, überzeugenden Ausdruck. Auf den gleichen
Ton wur die Christine der Margarete Schorn ab¬
gestimmt, die in Sprache und Mimik viel Warm¬
herzigkeit gab. Wenn der dramatische Höhepunkt im
letzten Akt. als sie die Wahrheit erfährt, zu packender
Wirkung emvorgehoben wurde, so ist es ihrer lebens¬
vollen Darstellung zu danken, die der Szene den
Ton der Echtheit verlieh. In Verbindung mit ihr
charakterisierte Paul Bohne den alten Vater als
eine sympathische Gestalt, die Mitleid erweckte. Seine
tränenerstickten Schlußworte „Sie kommt nicht wie¬
der“ hinterließen einen ergreifenden Eindruck. — Die
fesche Freundin Mizi wurde von Putti Rupprecht
mit der ihr eigenen Fröhlichkeit und Schelmerei ge¬
spielt. Als Freund Theodor legte Walter Sieg die
mit Humor gepaarte Schlauheit des leichtlebigen
jungen Mannes an den Tag. Adele Hübsch und 4#
Werner Böger fügten sich in ihren Evisodenrolle#
dem Ganzen gut ein. Das Publikum zeigte sich sehs
Seifallsfreudig.
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Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Hamburger Echo
16. Apr 1927
Schnitzler: Liebelei.
Käthe-Dorsch-Gastspiel in den Kammerspielen.
Liebeoi, das ist ein melancholisches Wort, ist etwas, das nie
ganz ernst und nie ganz harmlos ist, ist Hoffnung und Verzicht,
ein Gaukeln, ein Tändeln mit großen Worten, ein gefährliches;
Spiel mit dem Feuer, das, wenns zündit, hell auflodert unb
Unheil anrichtet.
Für die wohlsitulerten Herren Reserveof###re Fritz und
Theodor ist's ein erholender Zeitvertreib nach ihren aufregender
Erlebnissen mit komplizierten Frauen. Für die Christine, dech
kleinen Musikankenmädel, aber war's erfüllte Sehnsucht diess
herrlichen Frühlings, war's tiefstes Glück, war's alles, wasdes
nur auf Erden gibt. Und als es plötzlich abschnitt, so ganz hn¬
vorbereitet, so hart und grausam — der Frißz fiel einer andern
wegen im Duell —, da sinkt in ihr alles zusammen, und mit dem
Blück die Hoffnung, der Lebensmut überhaupt, sie entflieht der
grauen Oede ihrer Seele und wird wohl nicht wiedergekommen sein.
Käthe Dorsch lieh dieser seinen psychologischen Studie
Schnitzlers in der Rolle der armen Christine das vielfältige
Leben ihrer reifen Kunst. Um die keimende tiefe Liebe
und Angst und Sorge dieses stillen, naiven, kostbaren
Menschen, der in dem weichen melancholischen Dialekt seiner
wienerischen Heimat spricht, wirklich überzeugend zu gestalten,
bedarf es einer ungemein strengen Oekonomie aller künstlerischen
Mittel. In einem zarten Mezzoforte, oft nur eben anklingendem,
gedämpftem Piano ersteht diese Rolle, um nur einmal
erheben zu dem durchdringenden Schrei der
sich
tödlich Getroffenen. Diese unendlich subtile Partitur verborgener
Regungen einer reinen Menschenseele mit selten schauspielerischer
Kultur zur vollen Geltung gebracht zu haben, ist die bedeutende
Leistung des Gastes.
In ihrer Aufgabe wurde sie in verständnisvoller Weise unter¬
stützt von dei guten schauspielerischen Arbeit ihrer Ensembles.
Der Beifall des überfüllten Hauses war stark und steigerte
Br.
sich zu ungewöhnlichem Ausdruck.
Der Donnerstag brachte ein als Tragödie endendes
Schauspiel aus dem Leben des gefälligen Wiener Mädels:
Flamme, von Hans Müller. Die Geschichte von dem
Künstleridealismus, der ein reizendes liebes Mädchen vor
dem Versinken retten, dabei aber auch sich selbst einen
Schaffensantrieb gewinnen möchte. Die Flamme im Blut macht
stillgeruhiges Leben dem Mädchen unerträglich, sie muß wieder
einmal in den Schlamm glitschen und wirft dann im Ekel
ihr Leben von sich. Wundersam führt die Dorsch ihre Rolle
durch, sie spricht zum Herzen; der Zuschauer möchte ihr
wünscht
das Blondhaar streicheln: liebes armes Ding! Er
dem Künstler allen Erfolg und bangt und zittert um den Ausgang.
Ein großes Spiel von packender Gewalt, außerordentlich, wie
durch die Unbedeutendheit des kleinen Mädchens der Dämon¬
bricht. Achtung aber auch vor den Mitspielern, die ihren Rollen
eignes Leben gaben und doch einen Nahmen bilden, in dem
R. V
Käthe Dorschs Bild wundersam leuchtet.