II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1671

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Liebele
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I. Oesterr.
SIOBSERVER vonerel, konz.
Büro für Zeltungsnachrichten
WIEN I, WOLLZEILE 71
WR. MITTAGSTZTTUNG
21. FEB. 1933
Paula Wessely in „Liebelei“
Die Christine Paula Wesselys zerreißt mit
genialer Wucht die Tradition und den billigen
Wehmutsschimmer dieser Rolle. Sie steigert sich
bis zum elementaren Schrei, bis zur verzerrten,
durch ihre Gefühlskraft zermalmenden Schmerz¬
grimasse. Sie wächst am Schluß dieser noch
immer seelen= und theaterfesten Tragödie mi߬
Nachteter Liebe zu gewaltigem Ausbruch, zu ge¬
waltiger Menschlichkeit und zu gewaltiger Er¬
schütterung an.
Der SchnitzlerAbend der Josefstadt war
sonst mehr menschlich als schauspielerisch her¬
vorragend, unter der ebenso zarien wie ziel¬
sicheren Spielleitung Paul Kalbecks. Der
„Liebelei“ ging „Der tapfere Cassian“ voran,
ein Marionattenspiel tragischer Ironie. der
diesmal allerdings weder den richtigen grotes¬
ken noch den entsprechenden unheimlichen Ton
hatte.
In der „Liebelei“ trat die stille und ge¬
schlossene Schmerzlichkeit Hans Thimigs als
Fritz, wenn auch nicht ganz in Uebereinstim¬
mung mit der Rolle, sehr hervor. Die frech
und süß bewegliche Anmut Friedl Czepas als
Schlagermizzi hatte einen besonderen Persön¬
lichkeitserfolg. Des Dichters Sohn Heinrich
Schnitzler spielte den Therdor abseits der üb¬
lichen saloppen Lustigmacherei mit auffallend
warmem und kultiviertem Ton.
Als alter Weyring machte Hugo Thimig
den bei ihm üblichen, schauspielerisch vollen
Eindruck, aber hier denn doch in einer sehr ver¬
L. u.
ehrungswürdigen Fehlbesetzung.
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Neues dien Journal,
21.8.19 3
vom:
Theater und Kunst.
Pania Wessech als Chrisiine
„Der tapfere
Artur Schnitzlers „Liebelei“.
Cassian“ im Theater in der Josefstadt. Regie:
Paul Kalbeck.
Von
Alfred Grünwald.
Die Jugend eines Dichters singt da das herbe Lied vom
süßen Mädel. Ein Mollwalzer von wienerischer Verträumtheit
klingt auf, aus einer Zeit, da die Herzen der Musikanten¬
töchter und Modistenmädel noch im Dreivierteltakt für gelbe
Dragoneroffiziere schlugen: da jedes Mädel vom Ballett
zumindest einen aktiven Grafen und einen Leutnant in der
Reserve hatte; da es noch die soziale Geborgenheit von Fix¬
angestellten gab und im Orchester des Josefstädter Theaters einen
Violinspieler Weyring mit seiner einzigen Tochter Christine...
Es duften die Fliedersträuche auf dem äußeren Burgplatz;
auf goldgeränderten Gummirädern rollen lautlos lackglänzende
Hofequipagen; die junge, kurze Pracht der rosarot blühenden
Kastanien umsäumt die Hofmuseen; in der Seufzerallee des
Volksgartens promeniert Leutnant Gustl mit seinem G’spusi;
und alle Mäderln heißen Mitzi und im Musikpavillon spielt
die Militärkapelle des k. und k. Infanterieregiments Gro߬
herzog von Hessen eine Phantasie aus „Aida“. Im Café
Griensteidel aber sitzt das junge, literarische Oesterreich. Aus
der Perspektive dieser Zeit gesehen, ist Schnitzlers „Liebelei“
ein Meisterwerk. Und heute? Wenn auch ein bißchen Staub
drauf liegt, so ist es doch der Blütenstaub der Poesie, jene
köstliche Verstaubtheit eines geliebten Zimmers, in dem man
lange nicht gewesen. Was nicht sterblich an diesem Drama,
das ist die wundervolle Cellomelodie der Liebe Christinens,
dieses urewige Lied vom Leid eines Mädchenherzens, diese
„Sah ein Knab' ein Röslein steh'n"=Weise, wie sie das Leben
und seine Dichter immer wieder singen werden. Christine, das
süße Mädel: sie wurde zum Typus, wie Nora, wie Lulu, wie
Gretchen: vom Leben geschaffen, vom Dichter gestaltet. Was
Schnitzlers Werk den Wert des Bleibenden gibt, ist auch noch
der Eindruck der wundervollen Wirklichkeit, des tatsächlich
Erlebten, die Wucht und Zwangsläufigkeit des Geschehens und
die wunderbare Lebensechtheit der Sprache. Ein anmutiger,
graziöser, ein wienerischer Naturalismus redet da, wie ihm
der Schnabel an der Donau gewachsen ist. Einmal nur wird
es pathetisch: wenn Fritz sich gegen die Dauerhaftigkeit der
Liebe Christinens wehrt: „Sprich nicht von Ewigkeit!“ Und
da steht auch ein sprachlich seltsam verzeichnetes Bild: „Es
gibt ja vielleicht Augenblicke, die einen Duft von Ewigkeit
um sich sprühen!“
Daß die Schauspieler im Theater in der Josefstadt —
manchmal, leider nicht sehr oft, von Max Reinhardt geführt —
sich jetzt auf Artur Schnitzler besinnen, ist wohl der heimgekehrten
[Paula Wessely zu danken, in der man eine ideale Christine zu
finden glaubte. Sie ist es. Sie ist zwar mehr herbes als süßes
Mädel, aber von jener köstlich süßen Herbheit oder zärtlich
herben Süße, wie wir sie einzig richtig finden für die Darstellung
dieses wienerischen Gretchens. Selten mag sich dichterisches
Wollen und schauspielerisches Erfüllen so absolut decken. Ich
kann mir nicht denken, daß die leibhaftige Christine, wie
ino best
re.