iebelei
5. L####. box 13/3
Nr. 14.101
Dienstag
er schnarche so schr, daß des eine Forsetzung des chelchen
Zusammenseins unmöglich mache. Vor die Wahl gestellt, die
Polypen aus der Nase herausoperieren zu lassen oder das
Risiko einer Scheidungsklage auf sich zu nehmen, hat der Ehe¬
mann die letzte Möglichkeit gewählt. Ob Schnarchen ein
Scheidungsgrund ist? In der französischen Judikatur war noch
kein Präzedenzfall dieser Art zu verzeichnen. Jedenfalls
behauptet der Anwalt Delavente, der die Frau in diesem
Prozeß vertritt, daß das Schnarchen sehr wohl einen Scheidungs¬
grund bilden könne.
Raslaf, #7.F. 133.
Wiener
Mittwoch, 22. Februar
Allgemeine Zeitung
Was hat sich denn Verändert? Dra¬
matisch, an diesem Meistergriff ins ewig
verratene Liebes= und Weibesleben nichts.
—
Erotisch? Nur die Phrase, nicht die Flamme
des Blutes.
Gewaltiger Eindruck, daß Schnitzler
überzeugender lebt denn je. Daß seine
Der Schmerzensschrei der Wessel
Jugend verräterische Schatten mitten in
unsere selbstbewußte Sexualemanzipation
Schnitzier-Abend der Josefstadt:„Liebelei“ und der „Tapfere Kassian“
wirft. Daß dieses Biedermeier der Erotik
Das tragische Erlebnis heißt auch an
groß und glühend aufleuchtet, wortkarg
vorderste Josefstädter Front. Dieses
diesem Abend Paula Wessely. In Tränen
zermalmend, lebenswahr wie eh und je ..
Quecksilbergeschöpfchen sprüht gepfefferte
der Liebe, des Hasses und der Demut ge¬
Ein tiefes Stück, diese „Liebelei“, ein
Anmut, berachnendsten Uebermut und den
badet. Mit heroisch verzerrter Schönheits¬
Mädchenreiz der verführerischesten Vor¬
schlummerstilles Stück Liebesbitternis. Ein
linie. In monumentaler Verachtung nicht
städte der Erde. Frau Czepa ist seit gestern
Theaterstück ohnegleichen. Ein Evangelium
eine „Nummer“. Und eine auf schlaueste
nur des Kitsches, auch des Begriffs: Süßes
launig verzweifelter Abschiedsbereitschaft.
Art sehr reizende.
Mädl. Unheimliche Erinnerung: So schrie
Ein Puppenspiel des Todeseros. Heu¬
Kriemhild auf an Siegfrieds Bahre. So
Der Fritz Hans Thimigs scheint eine
rigenmusik des Untergangs und der Er¬
brach die Wolter los: Grell und gellend,
Edel=Notbesetzung. Mit Verzicht auf die
lösung durch eine Mädchenträne. Diesmal:
gewisse romantisch flirtmüde Blasiertheit.
Der Beschämung durch einen Mädchenschrei.
Aber von einer spröden Innigkeit, die ans
schamgepeitscht. Eine große Schauspielerin?
Herz greift. Ein Schicksalsspieler, starr
Mehr: Eine große Frau!
und stolz, ist Hans Thimig ja immer...
Veraltet? Dann würde Paula Wessely
Die Wessely hats nicht leicht. Das Ver¬
Als Theodor ist Heinrich Schnitzler,
nicht leben. Sie selbst ist Christine, das
hängnis ihrer billigeren Wiener Beliebtheit
des Dichters Sohn, keineswegs über¬
Mädchen mit dem irrend sicheren Herzen
ist gerade ihr Berliner Sturmerfolg. Aber:
schäumend von entsprechend kontrastieren¬
und dem schonungslos wehen und wahr¬
Sie hat dort zum erstenmal diesen Schrei
der Laune. Aber er hat einen Gefühlston
haften Liebesmund. Eine Generation, die
schriller Entfesselung aus sich selbst gehört.
der Konversation, der die gute Kinderstube
diese Schauspielerin und diese Frau hervor¬
Ein großes Dichterwort entrückte sie dem
einer Seele verrät.
brachte, hat sie immer noch die Schnitzler¬
Spielplan=Charme der Gemütskokotten. Sie
Prächtig ungeschminkt die Bosheits¬
Tiefe des Abschieds und der Treue. Im
bringt erfreulich viel, erschütternd viel zu¬
komik Frau Rosars. Herr Hübner sehr
Blätterfall, im Maimorgenglanz, im Berg¬
rück von solcher Schärfe, von solcher Zucht,
theatersicher, aber gerade kein beklemmen¬
wiesenwind. Unter Tränen, die wie dazu¬
von solch strammer und klarer Bitternis.
der Todesbote.
mals ein Wunder sind und ein Glück.
Wir wissen es: In Berlin hat sie uns ver¬
Bleibt der Weyring Hugo Thimigs.
treten, hat Oesterreichs geheimste Seelen¬
Paula Wesselys Keuschheit widerlegt
Eine saftige Leistung, aber mit unverhoh¬
landschaft, die heimlich und liebessanft ver¬
alle Verwicklungen der Sexualität. Es ist
lenen Musikus=Miller=Tönen. Ohne alle
schluckte Träne ins schlesische Korn ge¬
kein Theaterzauber mehr, es ist der Zauber,
Wienerwald=Resignation. Breitspurig knur¬
die Reinheit, die Schicksalsgewißheit der
zaubert. Hier bei uns löst sie sich willens¬
rig. Eine verehrungswürdige Fehlbesetzung.
stolz und herzensstark vom Biedermeier¬
Frau.
klischee.
Es ist ihr Abschied von allem, was
Sie spielt Schnitzler, fast in Strindberg¬
Solche Besetzungs=Schwankungen ver¬
diesen Zauberspielplan niedlich stören
dunkeln kaum Weihe und Wehmut einer
Nähe, ohne Stimmungs=Duliäh. Gesund,
könnte. Die große tragische Schauspielerin
Feier des Gedächtnisses, der Persönlichkeit,
blutverbunden, sinneswarm. Mit elemen¬
der Wiener Bühne hat den Boudoirflitter
der
unausgesprochen aufwühlendsten
taren Weibestönen, mit kindlich einsamem
abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiel¬
Menschlichkeit.
Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Gottes
los, glüht auf.
Die „Liebelei“ wird von der Josefstabt
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in
Und das Lächeln eines süß und still
sozusagen im Halb=Kostüm gespielt. Retro¬
ihrer Hingabe wie in ihrem Gefühlsurteil
verwirrten Kindes liegt auf ihm.
unerbittlich, wie es Wind, Wetter und
spektiv im Gefüge allein, nicht in der Mode¬
linie.
Wiesenhauch sind..
Ludwig Ullmann
Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist.
er?“ zählt zu den größten deutschen Büh¬
neneindrücken zu den einmaligen, unum¬
5. L####. box 13/3
Nr. 14.101
Dienstag
er schnarche so schr, daß des eine Forsetzung des chelchen
Zusammenseins unmöglich mache. Vor die Wahl gestellt, die
Polypen aus der Nase herausoperieren zu lassen oder das
Risiko einer Scheidungsklage auf sich zu nehmen, hat der Ehe¬
mann die letzte Möglichkeit gewählt. Ob Schnarchen ein
Scheidungsgrund ist? In der französischen Judikatur war noch
kein Präzedenzfall dieser Art zu verzeichnen. Jedenfalls
behauptet der Anwalt Delavente, der die Frau in diesem
Prozeß vertritt, daß das Schnarchen sehr wohl einen Scheidungs¬
grund bilden könne.
Raslaf, #7.F. 133.
Wiener
Mittwoch, 22. Februar
Allgemeine Zeitung
Was hat sich denn Verändert? Dra¬
matisch, an diesem Meistergriff ins ewig
verratene Liebes= und Weibesleben nichts.
—
Erotisch? Nur die Phrase, nicht die Flamme
des Blutes.
Gewaltiger Eindruck, daß Schnitzler
überzeugender lebt denn je. Daß seine
Der Schmerzensschrei der Wessel
Jugend verräterische Schatten mitten in
unsere selbstbewußte Sexualemanzipation
Schnitzier-Abend der Josefstadt:„Liebelei“ und der „Tapfere Kassian“
wirft. Daß dieses Biedermeier der Erotik
Das tragische Erlebnis heißt auch an
groß und glühend aufleuchtet, wortkarg
vorderste Josefstädter Front. Dieses
diesem Abend Paula Wessely. In Tränen
zermalmend, lebenswahr wie eh und je ..
Quecksilbergeschöpfchen sprüht gepfefferte
der Liebe, des Hasses und der Demut ge¬
Ein tiefes Stück, diese „Liebelei“, ein
Anmut, berachnendsten Uebermut und den
badet. Mit heroisch verzerrter Schönheits¬
Mädchenreiz der verführerischesten Vor¬
schlummerstilles Stück Liebesbitternis. Ein
linie. In monumentaler Verachtung nicht
städte der Erde. Frau Czepa ist seit gestern
Theaterstück ohnegleichen. Ein Evangelium
eine „Nummer“. Und eine auf schlaueste
nur des Kitsches, auch des Begriffs: Süßes
launig verzweifelter Abschiedsbereitschaft.
Art sehr reizende.
Mädl. Unheimliche Erinnerung: So schrie
Ein Puppenspiel des Todeseros. Heu¬
Kriemhild auf an Siegfrieds Bahre. So
Der Fritz Hans Thimigs scheint eine
rigenmusik des Untergangs und der Er¬
brach die Wolter los: Grell und gellend,
Edel=Notbesetzung. Mit Verzicht auf die
lösung durch eine Mädchenträne. Diesmal:
gewisse romantisch flirtmüde Blasiertheit.
Der Beschämung durch einen Mädchenschrei.
Aber von einer spröden Innigkeit, die ans
schamgepeitscht. Eine große Schauspielerin?
Herz greift. Ein Schicksalsspieler, starr
Mehr: Eine große Frau!
und stolz, ist Hans Thimig ja immer...
Veraltet? Dann würde Paula Wessely
Die Wessely hats nicht leicht. Das Ver¬
Als Theodor ist Heinrich Schnitzler,
nicht leben. Sie selbst ist Christine, das
hängnis ihrer billigeren Wiener Beliebtheit
des Dichters Sohn, keineswegs über¬
Mädchen mit dem irrend sicheren Herzen
ist gerade ihr Berliner Sturmerfolg. Aber:
schäumend von entsprechend kontrastieren¬
und dem schonungslos wehen und wahr¬
Sie hat dort zum erstenmal diesen Schrei
der Laune. Aber er hat einen Gefühlston
haften Liebesmund. Eine Generation, die
schriller Entfesselung aus sich selbst gehört.
der Konversation, der die gute Kinderstube
diese Schauspielerin und diese Frau hervor¬
Ein großes Dichterwort entrückte sie dem
einer Seele verrät.
brachte, hat sie immer noch die Schnitzler¬
Spielplan=Charme der Gemütskokotten. Sie
Prächtig ungeschminkt die Bosheits¬
Tiefe des Abschieds und der Treue. Im
bringt erfreulich viel, erschütternd viel zu¬
komik Frau Rosars. Herr Hübner sehr
Blätterfall, im Maimorgenglanz, im Berg¬
rück von solcher Schärfe, von solcher Zucht,
theatersicher, aber gerade kein beklemmen¬
wiesenwind. Unter Tränen, die wie dazu¬
von solch strammer und klarer Bitternis.
der Todesbote.
mals ein Wunder sind und ein Glück.
Wir wissen es: In Berlin hat sie uns ver¬
Bleibt der Weyring Hugo Thimigs.
treten, hat Oesterreichs geheimste Seelen¬
Paula Wesselys Keuschheit widerlegt
Eine saftige Leistung, aber mit unverhoh¬
landschaft, die heimlich und liebessanft ver¬
alle Verwicklungen der Sexualität. Es ist
lenen Musikus=Miller=Tönen. Ohne alle
schluckte Träne ins schlesische Korn ge¬
kein Theaterzauber mehr, es ist der Zauber,
Wienerwald=Resignation. Breitspurig knur¬
die Reinheit, die Schicksalsgewißheit der
zaubert. Hier bei uns löst sie sich willens¬
rig. Eine verehrungswürdige Fehlbesetzung.
stolz und herzensstark vom Biedermeier¬
Frau.
klischee.
Es ist ihr Abschied von allem, was
Sie spielt Schnitzler, fast in Strindberg¬
Solche Besetzungs=Schwankungen ver¬
diesen Zauberspielplan niedlich stören
dunkeln kaum Weihe und Wehmut einer
Nähe, ohne Stimmungs=Duliäh. Gesund,
könnte. Die große tragische Schauspielerin
Feier des Gedächtnisses, der Persönlichkeit,
blutverbunden, sinneswarm. Mit elemen¬
der Wiener Bühne hat den Boudoirflitter
der
unausgesprochen aufwühlendsten
taren Weibestönen, mit kindlich einsamem
abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiel¬
Menschlichkeit.
Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Gottes
los, glüht auf.
Die „Liebelei“ wird von der Josefstabt
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in
Und das Lächeln eines süß und still
sozusagen im Halb=Kostüm gespielt. Retro¬
ihrer Hingabe wie in ihrem Gefühlsurteil
verwirrten Kindes liegt auf ihm.
unerbittlich, wie es Wind, Wetter und
spektiv im Gefüge allein, nicht in der Mode¬
linie.
Wiesenhauch sind..
Ludwig Ullmann
Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist.
er?“ zählt zu den größten deutschen Büh¬
neneindrücken zu den einmaligen, unum¬