Wir wissen es: In Berlin hat sie uns ver¬
treten, hat Oesterreichs geheimste Seelen¬
landschaft, die heimlich und liebessanft ver¬
schluckte Träne ins schlesische Korn ge¬
zaubert. Hier bei uns löst sie sich willens¬
stolz und herzensstark vom Biedermeier¬
klischee.
Sie spielt Schnitzler, fast in Strindberg¬
Nähe, ohne Stimmungs=Duliäh. Gesund,
blutverbunden, sinneswarm. Mit elemen¬
taren Weibestönen, mit kindlich einsamem
Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Gottes
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in
ihrer Hingabe wie in ihrem Gefühlsurteil
unerbittlich, wie es Wind, Wetter und
Wiesenhauch sind..
Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist
er?“ zählt zu den größten deutschen Büh
neneindrücken, zu den einmaligen, unum¬
stößlichen, unerbittlichen. Ihr wild zer¬
rissener Schmerzensmund verdrängt eine
Legion süß dahinschmelzender Christinen.
Ihr Sturz ins Unabsehbare, jäh, taumelnd,
verflackernd, läßt die Bühne leer, todes¬
leer
Vorher, ja vorher, hat sie die große
ahnungslose Entschlossenheit eines unbe¬
grenzt und wehrlos gütigen Schicksals¬
lächelns. Die Zitterskaln leisester Liebes¬
worte beherrscht sie ja blendend. Blendend?
Nein, schicksalslogisch. In der Stille ihres
Blicks, in dieser heiß gespannten wild und
wirr schweigenden Keuschheit lebt und liebt
die Sehnsucht einer ganzen Stadt.
Es ist schön und es ist wiederum
Schicksal, sich zu dieser jungen Träumerin
ihres eigenen Aufstieges zu bekennen. Sie
ist uns gleichwohl schon entrückt. Auf die
Höhen der Verwandlung und der restlosen
Erfüllung. Eines Wesens, einer Wesolich¬
keit, einer Hingabe, die keinen Liebesdienst
kennt. Nur den des eigenen, zuverhaft
rauschenden und berauschenden Blutes.
Wie ein Waldesbaum, deutsch und
traumgesegnet, wächst sie aus dieser heimi¬
schen Erde. In Wolkenweite, in Himmels¬
nähe...
Ihre Rückkehr hat die Josefstadt mit
einem Schnitzler=Abend gefeiert, der mensch¬
lich feinere Resonanz hatte als technisch.
Er hub mit dem Puppen=Schattenspiel des
„tapferen Kassian“ ein wenig unsicher an.
Die Groteske wie die Dämonie dieser
Capriole der Wehmut und des Wirklich¬
keitswahns fehlte. Blitzte nur vorüber¬
huschend aus Hans Thimigs bleichen, edel
angestammten Melancholiker=Antlitz. Frau
Czepa und Herr Neugebauer sekundierten
im Halb=Marionettenstil. Das Unheimlich¬
Spielerische blieb aus. Das Hintergründige,
Umschattete dieser ironisch eckigen Possier¬
lichkeit nicht minder.
Der Regisseur Paul Kalbeck fand sich
atmosphärisch, menschlich, seelisch erst in
der Flüsterelegie der „Liebelei“. Mit
großer, sanfter, strömender Musik des
Schweigens. Mit seinem zärtlichen Genie
unentrinnbarer Zurückhaltung. Mit seiner
still leuchtenden Kraft verdämmernder und
tragisch beschaulicher Ange blicke ...
Hier wird die schauspielerische Brillanz
von Friedl Czepa bestritten. Ihre Schlager¬
Mizzi, hold raffiniert bis in die winzigste
mutterwitzige Pointe, rückt sie an die
e wie dazu¬
der Todesbote.
mals ein Wunder sind und ein Glück.
Bleibt der Weyring Hugo Thimigs.
Paula Wesselys Keuschheit widerlegt
Eine saftige Leistung, aber mit unverhoh¬
alle Verwicklungen der Sexualität. Es ist
lenen Musikus=Miller=Tönen. Ohne alle
kein Theaterzauber mehr, es ist der Zauber,
Wienerwald=Resignation. Breitspurig knur¬
die Reinheit, die Schicksalsgewißheit der
rig. Eine verehrungswürdige Fehlbesetzung.
Frau.
Es ist ihr Abschied von allem, was
Solche Besetzungs=Schwankungen ver¬
diesen Zauberspielplan niedlich stören
dunkeln kaum Weiye und Wehmut einer
könnte. Die große tragische Schauspielerin
Feier des Gedächtnisses, der Persönlichkeit,
der Wiener Bühne hat den Boudoirflitter
der
unausgesprocen aufwühlendsten
abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiel¬
Menschlichkeit.
los, glüht auf.
Die „Liebelei“ wird von der Josefstadt
Und das Lächeln eines süß und still
sozusagen im Halb=Kostüm gespielt. Retro¬
verwirrten Kindes liegt auf ihm.
spektiv im Gefüge allein, nicht in der Mode¬
linie.
Ludwig Ullmann
I. Oesterr.
OBSERVER ven Bret. konz.
Büro für Zeitungsnachrichten
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1
— „Der
„Liebelei.“
tapfere Cassian.“
Schnitzler=Aufführung in der Josefstadt.
Die Skeptiker fragten: Hat uns Schnitzler
noch etwas zu geben, kann seine „Liebelei“
auch heute, wie in längst entschwundenen
Tagen der Vorkriegszeit, zu unserm Herzen
sprechen? Die Antwort darauf gab das schöne,
leidenschaftliche und naturnahe Spiel von
Paula Wessely, das alle Stilisiertheit bei¬
seite läßt und die Vergangenheit dank der
Kraft eines überströmenden Temperaments
in unmittelbare Gegenwart verwandelt. Die
Leistung dieser Künstlerin erweist wieder ein¬
mal, daß dort, wo es um emige Dinge des Ge¬
fühles geht, Moden und wechselnde Zeit¬
anschauungen verblassen müssen, daß nur der
echte, große und starke Ton der Leidenschaft zu
erklingen braucht, um die Menschen von
heute wie einst zu erschüttern.
So wie ihre Kunst klar und rein, echt
menschlich und darum im tiefsten Herzens¬
grunde adelig, so auch die Leistung Hugo
Thimigs als Vater. Auch ihm, dem das
Milieu des Wieners nicht angeboren, glaubt
man seine bodenständige Güte und Klugheit
und seine Wärme, die von der Seele kommt.
Die lebens= nd liebeslustige Jugend, dem
Augenblicke hingegeben, verkörpern Hans
Thimig und Heinrich Schnitzler, des
Dichters Sohn, aufs beste.
Als Entdeckung ist Frau Czepa in der
Rolle der Schlager Mizzi zu werten. Ein
Naturgewächs, echtester Wiener Vorstadt ent¬
sprossen. Herb und prickelnd, wie der junge
Wein von den Höhen des Kahlenberges. Ganz
famos auch Frau Rosar und Herbert
Hübner.
Ein wenig blasser das Puppenspiel
„Der tapfere Cassian“ mit Hans
Thimig, Frau Czepa und Herrn Neu¬
gebauer. Lobenswert vor allem Paul
Kalbecks kultivierte, einfühlungsstarke
Megie. Das Ganze eine Schnitzler=Renaissance,
die des Dichters große Persönlichkeit bejahte.
I. r.