II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1682


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treten, hat Oesterreichs geheimste Serlen¬
landschaft, die heimlich und liebessanft ver¬
schluckte Träne ins schlesische Korn ge¬
zaubert. Hier bei uns löst sie sich willens¬
stolz und herzensstark vom Biedermeier¬
klischee
Sie spielt Schnitzler, fast in Strindberg¬
Nähe, ohne Stimmungs=Duliäh. Gesund,
blutverbunden, sinneswarm. Mit elemen¬
taren Weibestönen, mit kindlich einsamem
Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Gottes
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in
ihrer Hingabe wie in ihrem Gefühlsurteil
unerbittlich, wie es Wind, Weiter und
* Wiesenhauch sind ...
Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist
er?“ zählt zu den größten deutschen Büh¬
neneindrücken, zu den einmaligen, unum¬
stößlichen, unerbittlichen. Ihr wild zer¬
rissener Schmelzensmund verdrängt eine
Legion süß dahinschmelzender Christinen.
Ihr Sturz ins Unabsehbare, jäh, taumelnd,
verflackernd, läßt die Bühne leer, kodes¬
leer
Voryer, ja vorher, hat sie die große
ahnungslose Entschlossenheit eines unbe¬
grenzt und wehrlos gütigen Schicksals¬
lächelns. Die Zitterskala leifester Liebes¬
worte beherrscht sie ja blendend. Blendend?
Nein, schicksalslogisch. In der Stille ihres
Blicks, in dieser heiß gespannten wild und
wirr schweigenden Keuschheit lebt und liebt
die Sehnsucht einer ganzen Stadt.
Es ist schön und es ist wiederum
Schicksal, sich zu dieser jungen Träumerin
ihres eigenen Aufstieges zu bekennen. Sie
ist uns gleichwohl schen entrückt. Auf die
Höhen der Verwandlung und der restlosen
Erfüllung. Eines Wesens, einer Weiblich¬
keit, einer Hingabe, die keinen Liebesdienst
kennt. Nur den des eigenen, zauberhaft
ranschenden und beranschenden Blutes.
Wie ein Waldesbaum, deutsch und
treumgesegnet, wächst sie aus dieser heimi¬
schen Erde. In Wolkenweite, in Himmels¬
nähe
Ihre Rückkehr hat die Josefstadt mit
einem Schnitzler=Abend gefeiert, der mensch¬
lich feinere Resonanz hatte als technisch.
Er hub mit dem Puppen=Schattenspiel des
„tapferen Kassian“ ein wenig unsicher an.
Die Groteske wie die Dämonie dieser
Capriole der Wehmut und des Wirklich¬
keitswahns fehlte. Blitzte nur vorüber¬
huschend aus Hans Thimigs bleichen, edel
angestammten Melancholiker=Antlitz. Frau
Czepa und Her: Neugebauer sekundierten
im Halb=Marionettenstil. Das Unheimlich¬
Spielerische blieb aus. Das Hintergründige,
Umschattete dieser ironisch eckigen Possier¬
lichkeit nicht min.der.
Der Regisseur Paul Kalbeck sand sich
atmosphärisch, menschlich, seelisch erst in
der Flüsterelegie der „Liebelei“ Mit
großer, sanfter, strömender Musik des
Schweigens. Mit seinem zärtlichen Genie
unentrinnbarer Zurückhaltung. Mit seiner
still leuchtenden Kraft verdämmernder und
tragisch beschaulicher Augenblicke...
Hier wird die schauspielerische Brillanz
von Friedl Czepa bestritten. Ihre Schlager¬
Mizzi, hold raffiniert bis in die winzigste
mutterwitzige Pointe, rückt sie an die


Bleibt der Weyring Hugo Thimigs.
Paula Wesselys Keuschheit widerlegt
Eine saftige Leistung, aber mit unverhoh¬
alle Verwicklungen der Sexualität. Es ist
lenen Musikus=Miller=Tönen. Ohne alle
kein Theaterzauber mehr, es ist der Zauber,
Wienerwald=Resignation. Breitspurig knur¬
die Reinheit, die Schicksalsgewißheit der
rig. Eine verehrungswürdige Fehlbesetzung.
Frau.
Es ist ihr Abschied von allem, was
Solche Besetzungs=Schwankungen ver¬
diesen Zauberspielplan niedlich stören
dunkeln kaum Weihe und Wehmut einer
könnte. Die große tragische Schauspielerin
Feier des Gedächtnisses, der Persönlichkeit.
der Wiener Bühne hat den Boudoirflitter
der
unausgesprochen aufwühlendsten
abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiel¬
Menschlichkeit.
los, glüht auf.
Die „Liebelei“ wird von der Josefstaht
Und das Lächeln eines süß und still
sozusagen im Halb=Kostüm gespielt. Retro¬
verwirrten Kindes liegt auf ihm.
spektiv im Gefüge allein, nicht in der Mode¬
linie.
Ludwig Ullmann
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richten 22.2. 1933
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„Liebelei“
Erslaufführung im Thealer in der Josefstadt
Paula Wessely spielt wieder im Theater in der Josef¬
stadt und ihre Christine war inmitten einer ausgezeichneten,
stimn ungsvollen Aufführung das Ereignis des Abends.
An ArthuxSSchauspiel sind freilich vierzig
Jahre nicht spurlos vorübergegangen und „Gegenwart“
als Zeitangabe der Handlung will in so manchen Punkten
nicht mehr recht stimmen. Immerhin hat das Stück sich
seinen wehmütigen Reiz erhalten, und da gerade in der
„Liebelei“ die bei Schnitzler übliche Mischung von Senti#
mentalität und Frivolität nur in Spuren vorkommt und
auf eine sonst oft unerträgliche hysterische Psychologie zu¬
gunsten schlicht selischer Motivierung verzichtet wird, so
hinterläßt eine Aufführung auch heute noch einen reinen,
nachhaltigen Eindruck.
Der erste Akt zieht sich allerdings mit der Breite und
Weitschweifigkeit seiner impressionistischen Detailmalerei be¬
denklich in die Länge. Leichte Ermüdung würde sich ein¬
stellen, fände das Freundespaar Fritz und Theodor nicht
in Haus Thimig und Heinrich Schnitzler charak¬
teristisch kontrastierende Darsteller, wäre Paula Wessely
nicht die Christine und würde Fräulein Czepa, deren
zarte Erscheinung und schauspielerische Inlagen im Gründe
der derb=wienerisch gezeichneten Schlager Mitzi widersprechen,
in glücklicher Ueberwindung solcher Schwierigkeiten eine
geradezu interessante, heiter=liebenswürdige Gestalt geschaffen
haben. Die Sentimentalität des folgenden Aufzugs wird
schon durch die famose Strumpfwirkersgattin der Frau
Rosar und Hugo Thimigs natürlichen Vater Wey¬
ring gemildert, der seine Mahnung zur Lebensfreude wohl
melancholisch, doch fern von jeder Rührseligkeit vorzu¬
bringen weiß; in der Liebesszene bannt dann der Wessely
und Hans Thimigs schlichtes Zusammenspiel völlig die
sentimentale Gefahr. Den Schlußakt aber reißt Paula
Wessely weit über das Stück hinaus in tragische Höhe
empor: wie in Blicken und Tonfall die Ahnung vom ge¬
schehenen Unheil aufflackert, wie sie herzbeklemmend auf
Wahrheit dringt, wie hier bewunderungswürdig ergreifend

Keegennerzetaeteene
idie reife Kunst des alten Thimig hineinspielt und welch
Verschütternden Gefühlsausbruch die volle Erkenntnis auslöst,
all dies läßt das Theater vergessen. Ein trauriger Alltags¬
fall wandelt sich zur Tragödie des menschlichen Herzens.
Dem Drama ging das Puppenspiel vom „Tapferen
Cassianl voraus, dem das Trio
Hans Thinig, Czepd und Neugebauer
eine spielerisch leichte und an¬
mutige Darstellung zuteil werden
liees. Paul Kalbecke Regie hat
denczierlich parodierenden Sti1
des kleinen Spiels sehr amisant
getroffen.
E. H.
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