II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1683

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Liebelei
an L. — 0
I. Oesterr.
OBSERVER penerat, kons.
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Bürb für Zeltungsnachrichten
WIEN I, WOLLZEILE N
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Senes Wiener Tagblatt, Wien

geweht, in der die Menschen alle unglaublich viel Zeit
und Geld hatten, Besuche machten, Klavier spielten. „Ich
geh' in Vorlesungen — zuweilen,“ sagt Fritz. „Dann
geh' ich ins Kaffechaus ..., dann les' ich, dann plaudere
„Liebelei.“
ich mit dem oder jenem.“ Und nichts ernst nehmen als
die Liebe, die meist auch nur „Liebelei“ bleibt. Dis
Schnitzler=Abend. — Theater in der Josefstadt.
plötzlich ein „Herr“ ins Zimmer tritt, der eigentlich der
Erst hat der alte Musiker Weiring seiné Schwester
Tod ist (eine verflixt peinliche Rolle, mit der sich
behütet vor allen Gefahren des Lebens und — vor
Hübner abzufinden hatte). Man möchte auch diesen
allem Glück. Nicht einmal Erinnerungen hat das be¬
Herrn ignorieren. Nur kein Pathos! Schnitzler hat mit
tagte Fräulein mitnehmen dürfen ins Grab. Und er
so viel Pathos aufgeräumt!
hätte sich am liebsten vor ihr auf die Knie geworfen,
Unerwartet fremd und wild, Urlaut der Liebe in
um Verzeihung bittend, daß er sie zu gut bewahrt hat.
all der Liebelei, schlägt zum Schluß das jammervolle
Und dann wuchs seine Tochter heran, die Christine, und Aufschluchzen Christinens in diese spielerische Leichtig
der Vater hat genau gewußt, daß sie den eleganten keit. „Begraben — und ich hab's nicht gewußt? Er¬
jungen Herrn lieb hat und hat ihr's nicht gewehrt.] schossen haben sie ihn ... und in den Sarg haben sie
Sollte auch sein Kind, wie einst die Schwester, nichts ihn gelegt und hinausgetragen haben sie ihn — und
von ihrem armen Dasein haben?
Auch das geht ich hab' ihn nicht einmal sehen dürfen?“ — Erschütternd
tragisch aus. Beschützt sein — die Schwester hat es mit ist die schlichte Kraft Paula Wesselys in dieser An¬
einem langen, inhaltlosen Leben bezahlt. Ein paar klage, dieser Seelennot. Sie spielt die Christine ganz ein¬
Stunden des Grückes — die Tochter zahlt's mit dem
fach, blutwarm, nicht sentimental, wie sie sonst erfaßt
Leben selbst. Wie man's macht, macht man's schlecht. Es
wurde, nur innig, ohne sich zum szenischen Mittelpunkt
liegt wohl im Menschen.
zu machen (das spricht für ihre Kunst). Bis es zur Ver¬
Oder: Fritz liebt die verheiratete Frau und geht zweiflung des Endes kommt, zu diesem stöhnenden,
an ihr zugrunde. Das war die große Liebe. Und ringenden Ruf der Menschlichkeil aus all dem Konven¬
nebenbei die Liebelei mit der Christine. Daran stirbt tionellen und Halben, der wie ein Hilferuf jener Zeit
wieder das arme Mädel. Wo ist der richtige Weg?
ist. „Daß er mein Herrgott gewesen ist und meine Selig¬
Diese offenen Fragen sind für Arthur Schnitzler so keit ... hat er das gar nicht bemerkt? Vater, Vater,
bezeichnend. Nicht Stellung nehmen, alles begreifen verstehst du das?“
Gewiß, Hugo Thimig ist auch in dieser Szene
und alles vergeben. Auch das Leben hat kein Programm
virtuos, immer ein großer Darsteller. Aber er ist un¬
und keinen Helden, nur Spieler, gute und schlechte, die
wienerisch, mehr alter Miller als alter Weiring in
immer wieder aneinander vorbeispielen. ... Vielleicht
haben Theodor und Mizzi recht. Nichts ernst nehmen! diesem typisch wienerischen Stück, in dem übrigens die
Christine an die Figur der Millerin gemahnt. Sonnen¬
„Wer wird denn im Mai an den August denken?“ sagt
thal, der erste Beiring im Burgtheater, mag zuckender,
Mizzi und ist lieb und lustig.
aufgewühlter gewesen sein und Viktor Kutschera war
Friedl Czepa ist eine entzückende Schlager=Mizzi.
ein Vater, ein Vater der Vorstadt, von ganz stiller, er¬
Feiner als die Waldow und alle andern sie spielten,
gar nicht derb, sondern leicht — man spürt's: leicht= greifender Herzenswärme. Ausgezeichnet die Strumpf¬
sinnig, das heißt gänzlich unbeschwert — beschwingt, wirkersgattin Annie Rosars, die bei aller Drastik
niemals auch nur um einen Strich überzeichnet. Ganz
flatterhaft, gutherzig, ein bißchen albern und zutraulich,
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locker, jung, frisch natürlich, nicht betonter „Feschare.
das echte süße Schnitzler=Mädl, in das man sich ver¬
Heinrich Schnitzler als Theodor, der Freund,
lieben muß.
der sich als Räsonneur durch alle Schnitzler=Werke
Paul Kalbeck hat in der Führung des Spieles
zieht. Auch Hans Thimig ist kein ganz böden¬
dieses Schnitzlerisch Leichte so betont, Schnitzlers lockere ständiger Fritz, aber doch eingefügt in jede Schwingung
Hand. Alles geht scheinbar von selbst, und doch, wie
des Spieles, von Anfang an ein wenig steif, am Drahte
prachtvoll ist diese szenische Technik, wie sitzt da jedes
seines Schicksals hängend.
Wort und jede Silbe. Würde nicht Hugo Thimigs
Im Puppenspiel „Der tapfere Cassian“
alter Weiring ein wenig aus dem Stil fallen — es wäre
aber, das, dem Zyklus „Marionetten“ entnommen, der
eine vollkommene Aufführung, weich gerundet und voll
„Liebelei“ vorausging, war Hans Thimig meister¬
ferner Schnitzlerscher Melodie, aus seiner Welt herüber¬
haft. Und mit ihm die reizende Czepa, der köstlich
bramarbasierende Münchhausentyp Neugebauers.
Harlekin, Pierrot und Kolumbine — das Weib
zwischen zwei Männern, von denen es keiner wirklich
liebt, die es in aufgeblasener männlicher Eitelkeit
einander nur streitig machen, fesselnd zu sehen, wie bei
Arthur Schnitzler der Gedanke des Lebensspieles so
zwingend wurde, daß es ihm selver die Drähte in die
Hand nötigte, an denen er Puppen sich bewegen ließ,
die wirken, als wären sie Menschen. Wo hört die
Parodie auf? Wo fängt das Menschliche an? Und
verzerrt sich nicht Menschliches oft zur Parodie?
Immer wieder, wenn es zu einer großen oder koketten
Gebärde kommt, schnurrt die Spieldose ein paar Takte
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