II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1684

Schnitzler=Abend. — Theater in der Josefstadt, die Liebe, die meist auch nur „Liebelei“ bleibt. Bis
plötzlich ein „Herr“ ins Zimmer tritt, der eigentlich der
Erst hat der alte Musiker Weiring seine Schwester
Tod ist (eine verflixt peinliche Rolle, mit der sich
behütet vor allen Gefahren des Lebens und — vor
Hübner abzufinden hatte). Man möchte auch diesen
allem Glück. Nicht einmal Erinnerungen hat das be¬
Herrn ignorieren. Nur kein Pathos! Schnitzler hat mit
tagte Fräulein mitnehmen dürfen ins Grab. Und er
so viel Pathos aufgeräumt!
hätte sich am liebsten vor ihr auf die Knie geworfen,
Unerwartet fremd und wild, Urlaut der Liebe in
um Verzeihung bittend, daß er sie zu gut bewahrt hat.
all der Liebelei, schlägt zum Schluß das jammervolle
Und dann wuchs seine Tochter heran, die Christine, und
Aufschluchzen Christinens in diese spielerische Leichtig¬
der Vater hat genau gewußt, daß sie den eleganten
keit. „Begraben — und ich hab's nicht gewußt? Er¬
jungen Herrn lieb hat und hat ihr's nicht gewehrt.
schossen haben sie ihn ..., und in den Sarg haben sie
Sollte auch sein Kind, wie einst die Schwester, nichts
ihn gelegt und hinausgetragen haben sie ihn — und
von ihrem armen Dasein haben? ... Auch das geht ich hab' ihn nicht einmal sehen dürfen?“
Erschütternd
tragisch aus. Beschützt sein — die Schwester hat es mit ist die schlichte Kraft Paula Wesselys in dieser An¬
einem langen, inhaltlosen Leben bezahlt. Ein paar klage, dieser Seelennot. Sie spielt die Christine ganz ein¬
Stunden des Glückes — die Tochter zahlt's mit dem fach, blutwarm, nicht sentimental, wie sie sonst erfaßt
Leben selbst. Wie man's macht, macht man's schlecht. Es wurde, nur innig, ohne sich zum szenischen Mittelpunkt
liegt wohl im Menschen.
zu machen (das spricht für ihre Kunst). Bis es zur Ver¬
Oder: Fritz liebt die verheiratete Frau und geht zweiflung des Endes kommt, zu diesem stöhnenden,
an ihr zugrunde. Das war die große Liebe. Und ringenden Ruf der Menschlichkeit aus all dem Konven¬
nebenbei die Liebelei mit der Christine. Daran stirbt
tionellen und Halben, der wie ein Hilferuf jener Zeit
wieder das arme Mädel. Wo ist der richtige Weg?
ist. „Daß er mein Herrgott gewesen ist und meine Selig¬
Diese offenen Fragen sind für Arthur Schnitzler so keit ... hat er das gar nicht bemerkt? Vater, Vater,
verstehst du das?“
bezeichnend. Nicht Stellung nehmen, alles begreifen
Gewiß, Hugo Thimig ist auch in dieser Szene
und alles vergeben. Auch das Leben hat kein Programm
virtuos, immer ein großer Darsteller. Aber er ist un¬
und keinen Helden, nur Spieler, gute und schlechte, die
wienerisch, mehr alter Miller als alter Weiring in
immer wieder aneinander vorbeispielen. ... Vielleicht
haben Theodor und Mizzi recht. Nichts ernst nehmen! diesem typisch wienerischen Stück, in dem übrigens die
„Wer wird denn im Mai an den August denken?“ sagt Christine an die Figur der Millerin gemahnt. Sonnen¬
thal, der erste Weiring im Burgtheater, mag zuckender,
Mizzi und ist lieb und lustig.
Friedl Czepa ist eine entzückende Schlager=Mizzi. aufgewühlter gewesen sein, und Viktor Kutschera war
Feiner als die Waldow und alle andern sie spielten, ein Vater, ein Vater der Vorstadt, von ganz stiller, er¬
gar nicht derb sondern leicht — man spürt's: leicht= greifender Herzenswärme. Ausgezeichnet die Strumpf¬
sinnig, das heißt gänzlich unbeschwert — beschwingt, wirkersgattin Annie Rosars, die bei aller Drastik
niemals auch nur um einen Strich überzeichnet. Ganz
flatterhaft, gutherzig, ein bißchen albern und zutraulich,
locker, jung, frisch natürlich, nicht betonter „Feschak“.
das echte süße Schnitzler=Mädl, in das man sich ver¬
Heinrich Schnitzler als Theodor, der Freund,
lieben muß.
der sich als Räsonneur durch alle Schnitzler=Werke
Paul Kalbeck hat in der Führung des Spieles zieht. Auch Hans Thimig ist kein ganz böden¬
dieses Schnitzlerisch Leichte so betont, Schnitzlers lockere ständiger Fritz, aber doch eingefügt in jede Schwingung
Hand. Alles geht scheinbar von selbst, und doch, wie des Spieles, von Anfang an ein wenig steif, am Drahte
prachtvoll ist diese szenische Technik, wie sitzt da jedes
seines Schicksals hängend.
Wort und jede Silbe. Würde nicht Hugo Thimigs
Im Puppenspiel „Der tapfere Cassian“
alter Weiring ein wenig aus dem Stil fallen — es wäre
aber, das, dem Zyklus „Marionetten“ entnommen, der
eine vollkommene Aufführung, weich gerundet und voll
„Liebelei“ vorausging, war Hans Thimig meister¬
ferner Schnitzlerscher Melodie, aus seiner Welt herüber¬
haft. Und mit ihm die reizende Czepa, der köstlich
bramarbasierende Münchhausentyp Neugebauers.
Harlekin, Pierrot und Kolumbine — das Weib
zwischen zwei Männern, von denen es keiner wirklich
liebt, die es in aufgeblasener männlicher Eitelkeit
einander nur streitig machen, fesselnd zu sehen, wie bei
Arthur Schnitzler der Gedanke des Lebensspieles so
zwingend wurde, daß es ihm selber die Drähte in die
Hand nötigte, an denen er Puppen sich bewegen ließ,
die wirken, als wären sie Menschen. Wo hört die
Parodie auf? Wo fängt das Menschliche an? Und
verzerrt sich nicht Menschliches oft zur Parodie?
Immer wieder, wenn es zu einer großen oder koketten
Gebärde kommt, schnurrt die Spieldose ein paar Takte
ab. Ein wunderhübscher Kalbeckscher Einfall. Schlie߬
lich sinkt Pierrot, Flöte blasend, zu Tode getroffen,
nieder. Die Schöpferhand, die ihn hielt, erlahmte. Es
sah nur aus, als hätte er Eigenleben gehabt. Armer,
kleiner Pierrot.
Zum Ausgang der „Marionetten“ kommt ein
bleicher Ritter. Der „Herr“ aus „Liebelei“, nun
schwarz gelockt, im blauen Mantel. Er hat ein Schwert
in der Hand und zerschneidet mit scharfem Hieb die
Drähte, an denen die Puppen hingen — Theater¬
puppen, Puppen des Lebens?
„Dies Schwert hier macht es offenbar,
War eine Puppe, wo ein Mensch nur war....“
Und zum Schluß faustisches Sinnen des Puppen¬
spielers, des schöpferischen Menschen selbst:
„Bin ich ein Gott?..., ein Narr — bin ich euresgleichen?
Bin ich, ich selber — oder nur ein Zeichen?...“